UHH Newsletter

Mai 2013, Nr. 50

INTERVIEW

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Prof. Dr. Peter Wetzels mit seinen Studierenden und Kollegen vor der JVA in Oldenburg. Foto: privat


Kontakt:

Prof. Dr. Peter Wetzels
Fakultät für Rechtswissenschaft
Rothenbaumchaussee 33
20148 Hamburg

t. 040.42838-4585
e. peter.wetzels-at-uni-hamburg.de

Jurastudierende hinter Gittern: Interview mit Prof. Dr. Peter Wetzels

Manchmal greifen Lehrende zu ungewöhnlichen Maßnahmen, um Studierende an die Realität heranzuführen: Professoren der Universitäten Hamburg, Greifswald, Münster und Göttingen haben ca. 70 Studierende der Rechtwissenschaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Oldenburg untergebracht. 4 Tage und 3 Nächte – vom 17. bis 20. April – saßen die Studierenden unter realitätsnahen Bedingungen ein. Wir haben Peter Wetzels, Professor für Kriminologie an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Uni Hamburg, danach befragt, was es mit diesem ungewöhnlichen Experiment auf sich hat.

Herr Wetzels, warum ist es so wichtig, dass Studierende der Rechtswissenschaft wissen, wie es sich anfühlt, in einem Gefängnis zu sitzen?

Unsere Studierenden sollten wissen, was Strafe bedeutet, d.h. auch wie sie sinnlich erfahren wird, um nicht alleine auf Basis von Laienvorstellungen und Vorurteilen mit Fragen der Reaktion auf Straftaten umzugehen. Wir beobachten in unserer Gesellschaft an verschiedenen Stellen eine zunehmende Tendenz, bei Problemen und Normverletzung sehr schnell im Strafrecht nach einer Lösung zu suchen.

Und wie realitätsnah war dieser Aufenthalt?

Die Realitätsnähe war begrenzt. Realitätsnah waren die Hafträume, die übrigen Räume (Dusche, Hof etc.) und die zeitliche Taktung. Was natürlich fehlte, waren die Wirkung von Gewalt, Drogen und Subkultur in der Haft, die langfristige Deprivation und Langeweile oder der längere Verlust von Außenbeziehungen usw.

Gleichwohl ist es etwas anderes, eine JVA an einem Tag von außen zu betrachten, oder dreimal in einem realen Haftraum zu übernachten, eingeschlossen zu sein und dort quasi neben dem Bett auch die Toilette zu haben, morgens zur „Lebendkontrolle“ geweckt zu werden und den Tagesablauf strikt vorgegeben zu bekommen. Real waren auch die Kontakte zu Inhaftierten in den Räumen der neuen Anstalt sowie die Gespräche mit Bediensteten, deren Alltag im Rahmen der Veranstaltung auch zum Thema gemacht werden konnte.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit der Hochschulen mit der JVA?

Im Rahmen einer Tagung hatte ich Kontakt zum Leiter der JVA Oldenburg, Herrn Koop, einem sehr engagierten Anstaltsleiter, der in einem Vortrag die mangelnde Nähe der kriminologischen Forschung und Lehre an den Universitäten zur Praxis des Vollzuges kritisierte.

Wir kamen darüber ins Gespräch und haben dann nach einer Möglichkeit gesucht, Praxisnähe herzustellen. Wir haben schließlich den Umstand genutzt, dass in Oldenburg die alte JVA geschlossen wurde, die nach dem Umzug der letzten Inhaftierten noch eine Zeit zur Verfügung stehen würde.

Die Kollegen in Greifswald, Göttingen und Münster waren sehr schnell daran interessiert, hier mitzuwirken. Der Gedanke eines Austauschs zwischen Studierenden verschiedener Fakultäten schien uns in dieser Hinsicht ein weiterer sinnvoller Effekt, den eine solche Veranstaltung haben könnte, zumal der Raum für eine solche große Gruppe auch vorhanden war.

Haben Sie sich auch mit einschließen lassen?

Ja. Die beteiligten Professoren, so auch ich selbst, haben diese Erfahrung mit vollzogen und in der JVA in dieser Zeit in Hafträumen gelebt und übernachtet. Auch wir haben die dortigen Gemeinschaftsduschen nutzen müssen und das übliche Essen einer JVA gegessen.

Wie fühlt sich das Leben in Haft an? Was zeichnet es aus?

Beengt, eingeschränkt, etwas trist und beklemmend. Allerdings sind nicht alle sinnlichen Eindrücke, die reale Gefangene erleben, in dieser kurzen Zeit unseres Aufenthaltes nachvollziehbar. Aber ein erster Eindruck ist es schon, der die Berichte von Gefangenen über ihren Alltag und ihre Bedürfnisse besser nachvollziehbar werden lässt.

8 qm Platz, strenger Geruch, einfaches Gefängnisessen, jederzeit Kontrolle. Was haben die Studierenden gesagt: Welcher Aspekt am „Knastleben“ war am schwersten zu ertragen?

Besonders negativ erlebt wurde der Verzicht auf Handy und Internet. Weiter berichteten die Studierenden, dass die Geräusche wie auch die Beleuchtung in der Nacht ungewöhnlich und irritierend waren. Auch das Gefühl, aus eigener Kraft die Türe für viele Stunden nicht öffnen, den Raum nicht einfach alleine nach Gutdünken verlassen zu können, wurde als beeinträchtigend erlebt.

Wie haben die Studierenden die Zeit verbracht? Waren sie die ganzen 3 x 24 Stunden eingeschlossen?

Selbstverständlich waren sie nicht 24 Stunden lang fortwährend in ihren Hafträumen eingeschlossen. Das sind auch die realen Gefangenen nicht. In der Zeit, in der Gefangene ansonsten ihrer Arbeit oder Ausbildung nachgehen, waren die Studierenden mit uns gemeinsam in Seminaren tätig, wo sie Arbeiten zu strafvollzugsrechtlichen Themen oder aus der kriminologischen Strafvollzugsforschung behandelten. Ansonsten gab es, in etwa analog zu Ausführungen, auch eine Besichtigung in einer offenen Anstalt und einen Besuch in einem nahe gelegenen Hochsicherheitsgefängnis, wo es auch zu Diskussion mit Gefangenen und Bediensteten kam.

Wie waren die Rückmeldungen der Studierenden am Ende?

Die Studierenden waren von ihren Erfahrungen überwiegend sehr beeindruckt. Sie haben unter anderem, neben dem Eindruck aus den Hafträumen und vom Essen, vor allem die Möglichkeiten eines engen Kontaktes zu Bediensteten sehr bereichernd erlebt, die ihnen in vielen Gesprächen sehr viele Details des Vollzugslebens und der dort bestehenden Schwierigkeiten und Herausforderungen aus ihrer Berufspraxis plastisch schildern und nahe bringen konnten.

Mehrere Teilnehmer berichteten auch davon, dass die Vorstellung eines „Hotelvollzuges“, die sie zum Teil vorher hatten, die wohl auch in der allgemeinen Öffentlichkeit recht verbreitet ist, ihnen nun als mit der Realität nicht vereinbares Vorurteil erscheinen würde.

Welche Lehren haben Sie gezogen?

Es war für mich sehr interessant zu sehen, wie offen die Studierenden sich dieser anderen Welt des Vollzugs näherten und wie stark diese Erfahrung und die direkte Konfrontation auf ihre Einstellungen, Vorurteile und Meinungen einzuwirken vermag und ihre Motivation, sich intensiver mit der Materie zu befassen, verstärkt.

Ich bin sehr daran interessiert, zumindest mit den Studierenden, für die das Strafrecht im weitesten Sinne einen ihrer Studienschwerpunkte bildet, auch künftig Lehrveranstaltungen zumindest partiell so zu gestalten, das die „Rechtswirklichkeit“ – hier in Form von Freiheitsstrafe und Vollzug – als sinnliche Erfahrung darin einbezogen werden kann.

Das Interview führte G. Werner.
 
 
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