UHH Newsletter

März 2010, Nr. 12

INTERVIEW

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Prof. Dr. Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsgremiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft und designierte Präsidentin der Universität Göttingen, Foto: D. Münch-Harrach



Kontakt:

Prof. Dr. rer. physiol. Dr. h.c. Ulrike Beisiegel

Direktorin des Instituts für Biochemie und Molekularbiologie II
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistraße 52
20246 Hamburg

t. 040.7410 - 53917 (Sekretariat)
e. beisiegel-at-uke.de

Zwischen Publikationsdruck und guter wissenschaftlicher Praxis – Interview mit Prof. Ulrike Beisiegel zu den neuen Antragsregeln der DFG

Verschiedene Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens machten im vergangenen Jahr Schlagzeilen. Dabei ging es einerseits um sogenannten Titelkauf, die unlautere Annahme von Doktoranden gegen Geld, andererseits um unrichtige Angaben auf Publikationslisten in DFG-Förderanträgen. Mittlerweile hat die DFG neue Regeln erlassen, um den Publikationsdruck zu entschärfen. Ab 1. Juli werden sie verbindlich.
Wir befragen die Sprecherin des Ombudsgremiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Frau Prof. Dr. rer. physiol. Dr. h.c. Ulrike Beisiegel, zu diesem Thema. Die Hamburgerin ist Institutsdirektorin für Biochemie und Molekularbiologie II am UKE und Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats. Anfang März wurde sie außerdem zur Präsidentin der Universität Göttingen gewählt. Ihr neues Amt tritt sie zum 1.1.2011 an.


Die neue Regelung steht unter dem Motto „Qualität statt Quantität“. In Zukunft sollen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nur noch bis zu 5 ausgewählte Publikationen als Referenz angeben, die außerdem bereits publiziert sein müssen. Frau Beisiegel, warum ist das ein Fortschritt, worin bestand vorher das Problem?


Im Wissenschaftssystem wird zurzeit die Leistung oft nach der Zahl der Publikationen bewertet und nicht nach der Qualität der Arbeit. Dies hat zu einer Flut von wissenschaftlich weniger guten Publikationen geführt, der man unbedingt Einhalt gebieten musste, und das hat die DFG mit ihren neuen Regeln getan.

Wenn diese Regeln auch von anderen Förderinstitutionen ernst genommen werden, wird das sicher zu einem Qualitätssprung bei den Publikationen führen. Darüber hinaus führt es hoffentlich auch international zum Umdenken, und damit wird es weniger, aber bessere Publikationen geben, die Gutachter werden wieder mehr Zeit zur wirklichen Prüfung der Manuskripte haben und die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen werden die Publikationen von ihren Kolleginnen und Kollegen in ihrem Feld auch wieder lesen können.

Ganz konkret: Welche Vorteile bietet die Beschränkung auf wenige Referenztitel für die DFG und die antragstellenden Wissenschaftler/innen?

Der wichtigste direkte Vorteil für die Gutachter ist, dass sie sich wieder mit den Inhalten der Publikationen beschäftigen können. Und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können ihre Arbeiten jetzt wieder in einem guten Manuskript zusammenfassen, statt sich gezwungen zu fühlen, ihre Daten in möglichst vielen ‚Scheibchen‘ an verschiedene Journale zu schicken. Dabei sparen sie viel Zeit, die sie für Forschung nutzen können, und sie brauchen auch keine zusätzlichen Daten zu ‚erfinden‘.

Prof. Kleiner, der Präsident der DFG, spricht sogar von einem „Paradigmenwechsel“. Wie weitreichend ist dieser? Ist das ein deutscher Alleingang?


Es ist in der Tat ein Paradigmenwechsel, auf den wir als Ombudspersonen sehr gewartet haben. Ich freue mich daher ganz besonders über diesen Vorstoß der DFG. Wie Herr Kleiner in der Pressekonferenz bereits betonte [Statement Dr. Kleiner (PDF)], stehen wir damit international nicht alleine da, denn in den USA gibt es ähnliche Regeln u.a. bei den National Institutes of Health. Ich bin auch ganz sicher, dass das European Research Council und andere nationale europäische Organisationen bald nachziehen werden. Es gibt keine Alternative zu dieser Qualitätsoffensive.

Ministerien und Unileitungen werden jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach an quantitativen Kriterien für ihre Mittelvergabe bzw. Berufungen festhalten. Das bedeutet für die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einen gewissen Spagat, da zwei Systeme gleichzeitig wirken, darauf wies kürzlich Sybille Hinze, stellvertretende Leiterin des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung in Bonn, hin. Sehen Sie das ähnlich?

Nein, ich denke, dass die anderen Fördereinrichtungen, die Ministerien und die Universitäten sich sehr schnell dieser Offensive anschließen werden. Und ich würde alle Kolleginnen und Kollegen auffordern, mit Nachdruck in ihren Einrichtungen dafür zu werben, diesen Weg mitzugehen. Es wäre eine große Erleichterung für die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, es würde zu einer enormen Qualitätsverbesserung führen und es würde vor allem den Spaß an der Wissenschaft, und damit die wissenschaftliche Kreativität, deutlich steigern.

Wir haben jetzt nur von der Publikationsflut und ihren Gründen gesprochen – worin sehen Sie weitere strukturelle Ursachen für wissenschaftliche Unredlichkeit?

Neben dem oben angesprochenen Publikationsdruck ist die ständige Forderung nach Höchstleistung in der Wissenschaft sicher ein Grund für wissenschaftliche Unredlichkeiten. Es gibt wenig Zeit für absichernde Wiederholungen von Experimenten, für Kontrollen, zum wirklichen Nachdenken oder zur Diskussion der Ergebnisse. Dies führt einerseits zu Fehlern, aber vor allem verführt es zu Unredlichkeiten, mit denen Mängel überdeckt werden.

Es gibt außerdem strukturelle Probleme in unserem Wissenschaftssystem. Dazu gehören einerseits hierarchische Systeme, vor allem in der Medizin, in denen fehlende Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten zu großen Problemen mit der guten wissenschaftlichen Praxis führen. Aber auch die fehlenden Karriereoptionen für Nachwuchswissenschaftler können zu Unredlichkeiten in den Angaben der Leistungen führen.

Nicht zuletzt kann man das Wissenschaftssystem natürlich nicht getrennt von der Gesamtgesellschaft sehen, in der es heute in hohem Maße an persönlicher Integrität und Ehrlichkeit fehlt. Oft sagen junge Leute mir: „Wieso soll ich denn ehrlich sein, wenn alle anderen ihre Ergebnisse erfinden oder so hinbiegen, wie sie sein sollen – also fälschen. Das schadet doch nur meiner Karriere.“ Also muss das Bewusstsein über wissenschaftliche Redlichkeit stärker im Studium verankert werden.

Die DFG ändert mit ihrer neuen Regelung einen Teil der Strukturen, in denen Forschung betrieben wird bzw. Forschungsgelder vergeben werden, um Bedingungen zu schaffen, die nicht zu Fehlverhalten verleiten. Was wären weitere Schritte, die für eine Verbesserung unternommen werden könnten?

Ein wichtiger nächster Schritt wäre, die Hierarchien im deutschen Wissenschaftssystem abzubauen. Wissenschaftliche Diskussionen dürfen nicht geprägt sein von Vorgesetzten, sondern es muss ein gleichberechtigter Ideen- und Wissensaustausch sein, bei dem der gute Gedanke des Doktoranden genauso viel zählt und genauso gewürdigt wird wie der Beitrag des Direktors. Ich habe selbst in einem amerikanischen Nobelpreisträger-Labor gearbeitet und dort erfahren dürfen, dass exzellente Wissenschaft genau von solch offener Diskussion und gegenseitiger Achtung lebt.

Hierarchischen Strukturen ist auch das Phänomen der Mitautorschaft bei wissenschaftlichen Publikationen geschuldet. Können Sie den Begriff „strategische Autorschaft“ in diesem Zusammenhang erläutern?

Ja, bisher war es oft nicht der wirkliche wissenschaftliche Anteil an den Ergebnissen der zu publizierenden Arbeit, der die Autorschaft bestimmte, sondern die Position der Person in der Hierarchie (z.B. eben der Institutsdirektor, der als Ehrenautor auf alle Publikationen gesetzt wurde). Dem entgegengesetzt, wurde oft der wissenschaftlich beteiligte, aber bereits ausgeschiedene Doktorand nicht mehr als Autor aufgenommen, weil er doch schon ‚so lange‘ weg ist.

Leider habe ich in der Medizin immer wieder erleben müssen, dass Kollegen als Autoren für Publikationen ausgewiesen wurden, an denen sie in keiner Weise mitgearbeitet haben, nur weil sie noch Publikationen für ihre Habilitation benötigten. Hier wurde die negative Auswirkung der quantitativen Maßstäbe besonders deutlich.

Um noch auf den anderen Fall zu kommen: Im Sommer vergangenen Jahres wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Köln in 100 Fällen des Titelkaufs ermittelt. Dabei hatten Promotionswillige eine Agentur eingeschaltet, um Kontakt zu einem Doktorvater herzustellen, der dann für die Annahme und Betreuung des Promotionsvorhabens bezahlt wurde. Dies wäre ganz klar ein Fall von Bestechlichkeit.

Wie kann man die Qualitätssicherung bei Promotionsverfahren Ihrer Meinung nach noch grundsätzlich verbessern?


Die Qualitätssicherung von Promotionen ist eine vordringliche Aufgabe der Universitäten und dort insbesondere eine Pflicht der Professorinnen und Professoren. Seitens der Universitätsleitung muss sichergestellt werden, dass die Hochschullehrer und -lehrerinnen, die Promotionen vergeben, auch eine adäquate Betreuung gewährleisten. Diese Betreuung braucht Zeit, die den Professoren dann wiederum auch adäquat angerechnet werden muss.

Ein besonderes Problem gibt es in der Medizin, wo fast alle Studierenden den ‚Dr. med.‘ machen wollen und damit zu viele Promotionen in den Fakultäten angenommen werden, die aufgrund der bestehenden Dreifachbelastung der Professorinnen und Professoren (Forschung, Lehre und Klinik) nicht ausreichend betreut werden können.

Da wäre es ein Fortschritt, das System an die internationale Regelung des mit der Approbation verliehenen ‚Medical Doctor’ (MD) anzupassen. Für wissenschaftlich interessierte Studierende in der Medizin hätte man dann mehr Geld und Kapazitäten für eine grundlegende wissenschaftliche Promotion, die zum international anerkannten Ph.D. führen würde.

Worin sehen Sie aktuell die wichtigste Aufgabe von Ombudspersonen an Universitäten, bei denen z.B. Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis gemeldet werden können, und was wünschen Sie sich für die Arbeit des DFG-Ombudsgremiums in der Zukunft?

Die wichtigste Aufgabe der Ombudspersonen in den Universitäten ist, alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und alle Studierenden mit den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis und den Qualitätsansprüchen der DFG bekannt zu machen. Dazu haben wir im letzten Jahr mit Frau Dr. Sponholz (Leiterin des Instituts für Medizin- und Organisationsethik mit Sitz in Blaustein bei Ulm, Frau Sponholz gibt seit vielen Jahren Seminare über Forschungsethik, Anm. d. Red.) entsprechende Curricula erarbeitet, die wir den Ombudspersonen zur Verfügung stellen. Denn nur, wenn die wissenschaftliche Redlichkeit als Grundprinzip in allen Köpfen verankert ist, werden wir weniger Verstöße gegen die Regeln erreichen. Die Arbeit der Ombudspersonen muss von den Universitätsleitungen nachdrücklich und sichtbar unterstützt werden und sie müssen in den Universitätsstrukturen klar verankert sein.

Für die nationale Arbeit im Ombudsgremium der DFG, für das ich seit fast 5 Jahren arbeite, wünsche ich mir eine noch nachdrücklichere Unterstützung durch die Wissenschaftsorganisationen, durch die Universitätsleitungen und durch die Hochschulrektorenkonferenz. Außerdem wird es wichtig sein, die Arbeit in Zukunft noch stärker international zu vernetzen.

Frau Beisiegel, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Giselind Werner.


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