UHH Newsletter

Juli 2009, Nr. 4

INTERVIEW

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Prof. Dr. Volker Lilienthal, Foto: epd / Hanno Gutmann 2009



Kontakt:

Prof. Dr. Volker Lilienthal

Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft
Allende-Platz 1
20146 Hamburg

e. volker.lilienthal-at-uni-hamburg.de
www

Interview mit
Prof. Dr. Volker Lilienthal,
neuer Lehrstuhlinhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur

Am 1. Juli hat Dr. Volker Lilienthal die Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg angetreten. Der renommierte Journalist, der zuvor verantwortlicher Redakteur von epd medien war, berichtet über „die Praxis des Qualitätsjournalismus“, die Bedeutung Rudolf Augsteins für den kritischen Journalismus und über neue Herausforderungen für den Printjournalismus.
Herr Prof. Dr. Lilienthal, Sie haben zum 1. Juli die Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus angetreten. Was bedeutet der Name Rudolf Augstein für Sie?

Rudolf Augstein ist einer der ganz großen Journalisten und Publizisten Deutschland, ein Mann klarer Grundsätze, radikaler republikanischer Gesinnung, großer Bildung und eines Engagements, das bis heute fortwirkt. Als Journalist ist er bis heute ein Vorbild, auch für mich. Sein Spiegel ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Bundesrepublik. Mit dem Nachrichtenmagazin verbinden sich für mich auch die ersten Lektüreerfahrungen: Begegnungen mit einem anspruchsvollen Journalismus im Alter von etwa vierzehn Jahren.

Im Wintersemester 2007/2008 hatten Sie die Professur schon einmal inne – damals noch in Vertretung. Danach sind Sie zurückgekehrt auf Ihren Posten als Verantwortlicher Redakteur von
epd medien. Was hat Sie bewogen, nun ganz in die Lehre zu wechseln?

Nun, ich bin auf den Geschmack gekommen. Ich hatte mich beworben und bin am Ende ausgewählt worden. Eine berufliche Weiterentwicklung suchte ich schon länger. Nun sind es die Augstein-Professur und das schöne Hamburg geworden – beides vielversprechende Elemente, die ich als Herausforderung empfinde.

Was sehen Sie als Ihre vorderste Aufgabe als Professor „für die Praxis des Qualitätsjournalismus“? Wie sieht Ihr Programm aus für das erste Semester?

Ich möchte Motivation vermitteln, Lust an diesem Beruf, Bewusstsein für das Bessere und haltbare Arbeitstechniken. „Praxis“ bedeutet auch sehr basale Schreibarbeit: Wie kann ich das, was ich als Journalist sagen will, noch besser ausdrücken? Treffender und für den Leser verständlicher – darauf kommt es an, da kann ich als erfahrener Praktiker helfen.

Im Wintersemester biete ich ein Rechercheseminar an, eines über Medienkritik und eine vierstündige Projektredaktion, in der ich zusammen mit den Studierenden den Online-Journalismus in seiner ganzen Formenvielfalt ausprobieren will. Thematisch wollen wir uns dabei auf Hamburg als Medienstandort konzentrieren. Für die Teilnehmer wird das zugleich ein Stück Berufsfeldforschung werden: Wo können wir Arbeit finden? Was wird in den Redaktionen verlangt?

Als Medienkritiker beobachten Sie die Entwicklung der Medien besonders genau. Welche Tendenzen der medialen Berichterstattung sehen Sie derzeit als besonders fragwürdig an?

Die Tendenzen sind zunächst solche der Medieninfrastruktur: Werbung geht infolge der Wirtschaftskrise verloren, Sender und Verlage müssen sparen, und sie sparen leider radikal am Personal. Guter Journalismus aber braucht motivierte, bestens ausgebildete Journalisten. Schlagen die Abbauprozesse auf die Berichterstattung durch, ist das auch zum Nachteil der Gesellschaft.

In Reaktion auf Ihre Berufung sprachen Sie davon, dass Sie sich für eine „akademische Journalistenausbildung im kritischen Geiste“ einsetzen wollen, dies auch vor dem Hintergrund der Entwicklung in den Neuen Medien. Was hat sich Ihrer Meinung nach durch die Neuen Medien, vielleicht gerade durch das sogenannte Web 2.0 geändert?

Beim „kritischen Geist“ dachte ich auch an Rudolf Augstein. Eine kritische Haltung gegen Vermachtung und Ungerechtigkeit ist gemeint, ein exaktes, weil recherchiertes Wissen um das, was der Journalist als wichtig erkannt hat, und ein leidenschaftliches Verhältnis zur Sprache als Medium von Erkenntnis und Vermittlung – all das braucht der bessere Journalismus, gerade auch in Zeiten von Web 2.0. Das Internet hat viele Vorteile: Geschwindigkeit, Allgegenwärtigkeit, Dialogfähigkeit und Multimedialität, von Text über Ton bis zum bewegten Bild. Und dennoch: All das ist nichts ohne klare Gedanken, verführerische Sprache und das Engagement von Journalisten, die sich für die Demokratie engagieren.

Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach der Qualitätsjournalismus behaupten können in der Konkurrenzsituation zwischen Print- und Online-Medien, die zugunsten der schnellen Medien auszugehen scheint? Oder wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Die Online-Medien machen es der Presse in der Tat schwer. Die verkauften Auflagen unserer Zeitungen gehen seit Jahren zurück, die Leute haben sich daran gewöhnt, im Internet fast alles kostenlos zu bekommen. Diese Gratis-Mentalität aber ist gefährlich, denn natürlich müssen auch die Inhalte der Online-Medien erarbeitet, also bezahlt werden. Ein dauerhaftes Geschäftsmodell für gute Online-Medien hat noch niemand gefunden. Neben Werbung könnte auch der Nutzer zahlen, sei es im Abonnement oder Kleinstbeträge für einzelne Artikel. Das aber setzt voraus, dass wir uns von der „Geiz ist geil“-Mentalität in unserem Medienkonsum verabschieden und ein neues Wertebewusstsein für Qualitätsjournalismus entwickeln. Der übrigens ist von den technischen Plattformen unabhängig: Es gibt ihn gedruckt auf Papier und digital auf dem PC-Bildschirm.

Als verantwortlicher Redakteur von epd medien haben Sie sich unermüdlich für die Einhaltung publizistischer Grundsätze eingesetzt und immer wieder problematische Grenzverletzungen zwischen bezahlter PR und freier redaktioneller Arbeit oder auch Schleichwerbung in TV-Sendungen aufgedeckt. Gibt es Medienbereiche, die dafür besonders anfällig sind? Wie kann man dem am wirkungsvollsten begegnen?

Fiktionale Fernsehsendungen, also Fernsehspiele und erzählende Serien, sind besonders anfällig. Und der Rundfunkgesetzgeber will das nun auch noch teilweise erlauben. Mehr und mehr drängt PR aber auch in die journalistischen, also wirklichkeitsbezogenen Inhalte der Medien, wo wir uns als Bürger absolut auf Neutralität und Unabhängigkeit verlassen können müssen. Die Redaktionen werden für PR umso durchlässiger sein, je schlechter sie ausgestattet und ausgebildet sind. Arbeitsbedingungen kann ich nicht ändern, bei der Ausbildung aber kann die Hamburger Journalistik helfen.

Persönlich werde ich mich für eine Schärfung der journalistischen Berufsrolle einsetzen. Als Vertreter der Öffentlichkeit haben wir das Recht, Fragen zu stellen, und wir sollten es konsequent tun. Jede Pressemitteilung ist auf Relevanz und Wahrhaftigkeit zu überprüfen. Wir reichern sie an mit eigenen Informationen und teilweise auch wertenden Einordnungen. Nicht die partikularen Behauptungen interessierter Kreise, wie sie sich in der PR manifestieren, gehören in die Medien, sondern allein das, was bedeutsam ist und von kritischen Journalisten sorgsam geprüft wurde und selbstständig recherchiert wurde.

Werden Sie nach Antritt der Professur weiterhin journalistisch tätig sein?


Nein, allenfalls als gelegentlicher Gastautor. Die Hamburger Aufgabe ist eine reizvolle und anspruchsvolle, die mich ganz fordern wird. Darauf freue ich mich.

Herr Dr. Lilienthal, ich danke Ihnen für das Gespräch!



 
 
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