Elen in Kyoto
Einen Monat vor dem Beginn meines Auslandssemesters in Kyoto hatte ich mich immer noch nicht entschieden, ob ich wirklich gehen wollte. Ich hatte zwar alles geplant, und stand nun kurz davor, den Flug zu buchen. Aber privat war viel los, ich wollte meinen Freundeskreis nicht verlassen und hatte Angst, mich würde ein Auslandsemester nun völlig aus der Bahn werfen. Aber es kam ganz anders.
Irgendwie habe ich mir einen Ruck gegeben, und es gemacht. Und es war ganz anders als ich dachte, und gleichzeitig genauso wie ich es mir erhofft hatte, nur besser. Trotz Vorbereitung und thematisch sortierter To-Do-Listen stand ich am Abreisetag trotzdem mit kaputtem Koffer am Flughafen, wohlwissend, dass ich vor zwei Stunden noch mein Zimmer für die Untermieterin weiß gestrichen hatte. Die Farbspritzer auf meinen Armen sollten mich noch bis in mein neues Zimmer in Kyoto begleiten.
Moin ich bin Elen, und ich habe im Sommersemester 2024 ein Auslandssemester an der Universität Kyoto in Japan gemacht und dort im Rahmen meines Ethnologie Bachelors das englischsprachige Kursprogramm besucht, sowie einige Sprachkurse für Anfänger*innen. In den Kursen, die ich gewählt habe, konnte ich viel über die Geschichte und Kultur Japans sowie Religionen in Kyoto lernen, was mir sehr dabei geholfen hat, meine eigene Perspektive zu reflektieren und mein Umfeld besser zu verstehen. Ich hatte einen Platz im Wohnheim nahe dem Campus bekommen, welcher im Nordosten der Stadt liegt, nicht weit entfernt vom Flussdelta sowie den Bergen am Stadtrand. Die meisten meiner Freunde habe ich über mein Stockwerk im Wohnheim kennengelernt, einige aber auch über die gemeinsamen Kurse oder den Tanzcircle Egoistic Dancers. An Wochenenden sind viele von uns nach Uji, Nara, Osaka, Lake Biwa oder Kobe für Tagesausflüge gefahren. Nachdem die Kurse nach vier Monaten vorbei waren, bin ich Richtung Westen gefahren und habe unter anderem Tamano und Hiroshima besucht. Die meiste Zeit verbrachte ich allerdings mit einer Freundin auf der Halbinsel Kyushu und im Anschluss allein an einem kleineren Ort am Meer in Miyazaki, der es mir sehr angetan hatte.
Als generellen Tipp kann ich mitgeben, Sonnencreme mitzubringen, und zwar viel.
Japan ist sehr vieles auf einmal, und auf Instagram und Co wird immer gerne davon berichtet, was so „anders“ an der japanischen Kultur sei, wie fortschrittlich und gleichzeitig traditionsbewusst die Menschen seien, wie diszipliniert und streng, und und und. Das kann man alles so sehen, ist aber auch nur eine ganz bestimmte Sichtweise, eine, die von außen draufguckt und das Andere im Gegenüber betont, positiv oder negativ. Letztendlich ist es doch deutlich komplexer und lebendiger als das. Gerade jetzt, wo Japan weniger Tourist*innen möchte, bietet sich ein Auslandssemester für eine tiefergehende Beschäftigung und Selbstreflexion als Alternative an.
Ich bin sehr dankbar für die so warmherzigen Menschen und die Natur, die ich während meines Aufenthalts kennenlernen durfte. Ob nun die Drag Show im Metro, das Palästina Camp auf dem Campus oder diese Ziegen auf der Techno Party, es hat alles einen besonderen Platz in meinen Erinnerungen. Wenn ich ehrlich bin, dann war ich andauernd überfordert, oder eher herausgefordert, zu wachsen, aus mir herauszukommen, und das hat mir wahnsinnig gutgetan. Ich nehme fachlich aber auch privat so viel aus dieser Zeit mit, allem voran wohl, dass das Leben gerade so viel Spaß macht, weil mensch es eben nicht kontrollieren kann. Für alle, die noch auf ein Zeichen warten, hier isses. ;)