Was wurde bisher erreicht?Zwischenbilanz des Exzellenzclusters „Understanding Written Artefacts“
11. Mai 2023, von Jakob Hinze
Foto: UHH/C. Mahjoub
Seit 2019 ist die Uni Hamburg Exzellenzuniversität, im Jahr davor wurden vier Cluster eingeworben. Was wurde seitdem unternommen und wie wurden die Fördermittel verwendet? Mit dem Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ ist ein weltweit einmaliges Forschungsumfeld entstanden, das die Trennung zwischen Geistes-, Natur- und Computerwissenschaften überwindet und damit die Möglichkeiten des Forschens an Schriftartefakten transformiert – von der Keilschrift bis ins digitale Zeitalter.
Die Erforschung von Schriftartefakten hat an der Universität Hamburg kontinuierlich an Umfang und Bedeutung gewonnen. Was im Jahr 2006 als Forschungsgruppe begann, wuchs 2011 zu einem Sonderforschungsbereich und 2019 zum Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ (UWA). Dieser vereint mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus gut 40 verschiedenen Disziplinen von der Universität Hamburg, der TU Hamburg, der Helmut-Schmidt-Universität, der Universität Lübeck, dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung.
Zentral für den Forschungsansatz von UWA ist die Verbindung der Geisteswissenschaften mit den Natur- und Computerwissenschaften. Indem er Expertise im Bereich der Lebensmittelchemie, der Teilchenphysik und Künstlichen Intelligenz integriert, ermöglicht der Cluster die Entwicklung völlig neuer Fragestellungen an historische und moderne Schriftartefakte. UWA schafft damit erstmals einen konzeptuellen Rahmen für die Erforschung von Schriftartefakten aus allen Kulturen und Epochen, der neben Manuskripten auch Inschriften und Graffiti einschließt.
Mit neuesten Verfahren uralte Rätsel lösen
Beispielhaft für diese interdisziplinäre Ausrichtung sind Pionierprojekte wie „Immersive City Scripts“*, in dem Historikerinnen, Archäologen und Computerwissenschaftlerinnen das antike Theater von Milet in virtueller Realität modelliert haben. Damit kann der räumliche Kontext der historischen Inschriften genauer nachvollzogen werden als je zuvor. „Reading Closed Cuneiform Tablets Using High Resolution Computer Tomography“ ist hingegen ein Projekt, in dem Forschende mithilfe eines eigens entwickelten Tomografen Keilschrifttafeln aus dem antiken Mesopotamien lesbar machen, obwohl diese mit Tonumschlägen versiegelt sind. UWA leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung nicht-invasiver Untersuchungsmethoden von Kulturgütern.
Der Tomograf eignet sich – wie alle Geräte des mobilen Labors des Exzellenzclusters – für den weltweiten Einsatz in Museen und Sammlungen, zum Beispiel in einem Projekt am Pariser Louvre. Mit seinen Pattern Analysis Software Tools (PAST) stellt UWA außerdem Analysewerkzeuge zur Verfügung, welche die rasanten Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz mit geisteswissenschaftlicher Forschung verbinden.
Nachhaltige Konzepte für Forschungsdaten und Kulturerhalt
Die innovative Arbeit des Clusters spiegelt sich in bisher mehr als 300 Publikationen wider, darunter Artikel und Bücher auf Arabisch, Chinesisch oder Thai. Weil die Forschung an Schriftartefakten zunehmend große Datenmengen generiert, entwickelt UWA im laufenden Prozess Konzepte für nachhaltiges Forschungsdatenmanagement, insbesondere im Bereich der Geisteswissenschaften. Sämtliche Software-Tools und die große Mehrheit der Publikationen stehen open access zur Verfügung.
Mit dieser Arbeit leisten die Forschenden des Clusters auch einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, denn Schriftartefakte gehören zum kulturellen Erbe der Menschheit. Ihre Erforschung geht mit der Pflicht einher, zu ihrer Bewahrung beizutragen. Der Cluster fördert mit seinem Arbeitsbereich „Cultural Heritage“ in Indonesien, Israel, Mali, Nepal und Tunesien Projekte zum Erhalt gefährdeten Schriftguts. Seit 2019 konnten externe Mittel in Höhe von 2,5 Millionen Euro für diese Projekte eingeworben werden. Weil der Umgang mit historisch und kulturell bedeutsamen Artefakten aufseiten der Forschenden ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein erfordert, hat die Ethikgruppe des Clusters zudem einen ausführlichen Ratgeber erarbeitet, der Orientierung in Problemsituationen bietet.
Nachwuchsförderung von der Grundschule bis zur Graduate School
Als einer der wenigen primär geisteswissenschaftlichen Exzellenzcluster in Deutschland ist „Understanding Written Artefacts“ mit seinem einzigartigen Konzept ein Anziehungspunkt für internationale Spitzenforschung. Mit seinem Fellowship-Programm hat UWA bereits mehr als 20 renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Hamburg gebracht. Allein im Jahr 2022 konnten drei Mitglieder prestigeträchtige ERC-Grants für ihre Projekte einwerben. Darüber hinaus wurden Professuren in der Bioinformatik, Assyriologie und Archäometrie besetzt und die Gastprofessur „Women in Manuscript Cultures“ etabliert, die eine gender-sensible Perspektive auf Schriftkulturen stärkt.
Darüber hinaus tragen neue Generationen von Forschenden maßgeblich zum Forschungsprofil von UWA bei: Postdocs und Juniorprofessorinnen leiten acht seiner elf Forschungsfelder. Die Graduate School bildet Masterstudierende sowie Doktorandinnen und Doktoranden darin aus, geistes- und naturwissenschaftliche Ansätze bei der Erforschung von Schriftartefakten von vornherein zusammen zu denken. Die aktuell fast hundert Immatrikulierten kommen aus 32 Ländern, viele aus dem globalen Süden. Durch den mit 5000 Euro und einem Fellowship dotierten J.P. Gumbert Dissertation Award wurde zudem eine international sichtbare Auszeichnung für junge Promovierte geschaffen.
Auch für Schülerinnen und Schüler in Hamburg bietet UWA mit „Excellence in Schools“ ein vielseitiges Programm an, das von der Grundschule („Schrift und Schreibenlernen in den Kulturen der Welt“) bis zur gymnasialen Oberstufe (materialwissenschaftliche Analysen im Container Lab) reicht.
Transfer in die Stadt
In der Stadt ist der Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ mit vielfältigen Veranstaltungen präsent: Von Juli bis Oktober dieses Jahres zeigt die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky „Hamburgs Schriftschätze“: Eine Ausstellung, die zentrale Fragestellungen und Methoden des Clusters veranschaulicht. Künstlerinnen und Künstler, die in ihren Werken mit Schrift arbeiten – egal in welchem Medium oder mit welcher Technik – lädt UWA als „Artists in Residence“ nach Hamburg ein und bringt damit künstlerische und wissenschaftliche Perspektiven auf Schrift zusammen. Daraus resultieren innovative Veranstaltungsformate wie die Tagung „Material Goods“ auf Kampnagel oder „Mehr als nur Worte“ am 11. und 12. Mai 2023 in den Deichtorhallen: In Vorträgen, Dialogen, einer Ausstellung und Performances entflechten Wissenschaftlerinnen und Künstler gemeinsam das Verhältnis zwischen Sprache, Schrift, Zeichen und Kunst.
* alle Links führen auf englischsprachige Websites.
Serie zur Halbzeit der Exzellenzcluster und Exzellenzuniversität
Im Juli 2019 wurde die Universität Hamburg von Wissenschaftsrat, Bund und Ländern mit dem Titel Exzellenzuniversität ausgezeichnet – als eine von insgesamt nur elf Universitäten und Universitätsverbünden bundesweit. Seit November 2019 läuft die Förderung.
Voraussetzung für diese Auszeichnung war die Einwerbung von mindestens zwei Exzellenzclustern. An der Universität Hamburg sind seit 2018 sogar vier Cluster beheimatet. In einer Serie stellen wir vor, was an der Exzellenzuniversität und in den vier Exzellenzclustern bisher erreicht worden ist.
Lesen Sie in den kommenden Tagen auch unsere Berichte zur Halbzeit in den Exzellenzclustern "Climate,Climatic Change, and Society" und "Quantum Universe" sowie zur Exzellenzuniversität. Hier finden Sie den Artikel zur Zwischenbilanz des Exzellenzclusters CUI.