UHH Newsletter

April 2014, Nr. 61

FORSCHUNG

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Das Projekt „euroWiss – Linguistische Profilierung einer europäischen Wissenschaftsbildung“ wurde von der VolkswagenStiftung im Rahmen der Initiative „Deutsch plus – Wissenschaft ist mehrsprachig“ von 2011 bis 2014 Jahre gefördert.


Kontakt:

Prof. Dr. Angelika Redder
Universität Hamburg
Institut für Germanistik I

t. 040.42838-2727
e. claudia.di.maio-at-uni-hamburg.de


In Deutschland „forschendes Lernen“ – in Italien „Lehre frontal“? Internationales Forschungsprojekt schließt mit einem Memorandum zur Europäischen Wissenschaftsbildung

Bologna – das Wort steht dafür, die Hochschulsysteme europaweit zu vereinheitlichen. Doch auch nach Bologna stehen hinter den in Europa flächendeckend eingeführten Bachelor- und Masterstudiengängen ganz unterschiedliche Lehr- und Lernkulturen. Wie sich die universitäre Wissensvermittlung in Italien und Deutschland unterscheidet, hat ein internationales Forschungsprojekt unter Leitung von Prof. Dr. Angelika Redder von der Universität Hamburg jetzt erforscht. Anfang März stellten die Beteiligten am Projekt „euroWiss – Linguistische Profilierung einer europäischen Wissenschaftsbildung“ ihre Ergebnisse vor.

Seit 2011 wird das Projekt euroWiss im Rahmen der Initiative „Deutsch plus – Wissenschaft ist mehrsprachig“ von der VolkswagenStiftung gefördert. Ziel des Projekts ist es, einen Beitrag zur Komparatistik der wissensvermittelnden Hochschulkommunikation zu leisten. Im Fokus stand vor allem die Wissensvermittlung an deutschen und italienischen Hochschulen.

„Anhand von Videoaufnahmen von über 350 Stunden Hochschullehre an mehreren Standorten in Deutschland und Italien ist es uns gelungen, ein für beide Länder einmaliges Korpus authentischer universitärer Wissensvermittlung zu erstellen“, so Prof. Dr. Angelika Redder, Leiterin des deutsch-italienischen Projekts.

„Solche Einblicke in die Realität der Lehre gibt es ganz selten. Wir wissen jetzt zum Beispiel, was sich verbirgt hinter den Stereotypen ‚in Italien gibt’s nur Frontallehre‘ und ‚in Deutschland wird nur geredet, aber nix gelernt‘.“

Frontallehre oder diskursives Lernen

Tatsächlich ist für Italien die „lezione frontale“ charakteristisch, für Deutschland – dem Konzept des forschenden Lernens gemäß – die aktive, diskursive Beteiligung der Studierenden an der Wissensvermittlung und Wissensentfaltung. Aufgrund der unterschiedlichen Erwartungshaltungen führt dies bspw. beim Studierenden-Austausch oft zu Schwierigkeiten.

Während italienische Studierende sich über den diskursiven Stil in Seminaren in deutschen Hochschulen wundern, irritiert deutsche Studierende die rein frontale Wissensvermittlung in Italien. Wobei beide Lehrkulturen ihren Zweck erfüllen: Die Kommunikationssituationen in Seminaren sind hochkomplex in den Anforderungen an sprachliches und kognitives Handeln der Studierenden und Lehrenden, da Studierende dabei wissenschaftsmethodische Verfahren einüben. Und auch in Italien wird das Wissen bei der mündlichen Präsentation durch die Dozentinnen und Dozenten nicht einfach vorgelesen, sondern ist rhetorisch-argumentativ aufbereitet. Die Studierenden werden als Hörer adressiert, die ihrem Studiensemester entsprechend über ein bestimmtes Vorwissen verfügen, an das angeknüpft wird.

Beide Verfahren der wissenschaftlichen Wissensvermittlung bilden zusammen eine optimale Ergänzung.

Grundzüge einer europäischen Wissenschaftsbildung

Diese und weitere Ergebnisse – etwa zu den Unterschieden zwischen verschiedenen Fächergruppen in den MINT-Fakultäten, den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie Geisteswissenschaften – wurden am 7. und 8. März auf der internationalen Projektabschluss-Tagung, die in Kooperation mit dem Italienzentrum der FU Berlin stattfand, vorgestellt und diskutiert. Neben den Ergebnissen der empirischen Forschung stand die Frage nach den bildungspolitischen Schlussfolgerungen im Zentrum der Tagung.

Welche Forderungen lassen sich für die Europäische Hochschulpolitik ableiten?

Ein international und interdisziplinär besetztes Podium aus Wissenschaft und Politik diskutierte diese Fragen und bereitete so das Memorandum „Grundzüge einer Europäischen Wissenschaftsbildung“ vor, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ende der Tagung verabschiedeten.

Im Zentrum der Forderungen stehen die Beibehaltung, die Erforschung und die Vermittlung der Diversität der Europäischen Vermittlungskulturen an Universitäten. Denn auch das hat das Projekt gezeigt: Wir wissen immer noch sehr wenig über die Vielfalt der Europäischen Wissenschaftsbildung.

Die vergleichenden Untersuchungen zu Deutschland und Italien können nur als erster Schritt in diese Richtung gelten. Weitere Untersuchungen könnten nicht nur den Erfolg von Mobilitätsprogrammen wie Erasmus steigern, sondern auch und vor allem die Schaffung von mehrsprachigen Universitäten befördern.

Das Projekt „euroWiss – Linguistische Profilierung einer europäischen Wissenschaftsbildung“ wurde von der VolkswagenStiftung im Rahmen der Initiative „Deutsch plus – Wissenschaft ist mehrsprachig“ von 2011 bis 2014 Jahre gefördert und von Prof. Dr. Angelika Redder an der Universität Hamburg in Kooperation mit Prof. Dr. Winfried Thielmann von der TU Chemnitz, Prof. Dr. Dorothee Heller von der Università degli Studi di Bergamo und Prof. Dr. Antonie Hornung von der Università degli Studi di Modena e Reggio Emilia durchgeführt.

Di Maio/Red.
 
 
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