Forschungsschiffe übernehmen Versorgung vor SpitzbergenRendezvous auf See
14. Mai 2020, von Ute Kreis
Foto: Gerriets privat
Die deutschen Forschungsschiffe SONNE und MARIA S. MERIAN übernehmen außerplanmäßig die Versorgung des Forschungsschiffs POLARSTERN in der Arktis. Andrea Gerriets von der Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe erklärt, was bei diesem Einsatz zu beachten ist.
Normalerweise hat die Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe die Fahrten der Forschungsschiffe SONNE und MARIA S. MERIAN Monate und Jahre im Voraus geplant: Welches Schiff wann und wo anlegt, Menschen und Material an Bord nimmt, und wieder ablegt, steht genau fest. Das muss so sein – damit auf hoher See wie auch am anderen Ende der Welt alles rechtzeitig an Ort und Stelle ist und die teure Schiffszeit bestmöglich genutzt wird.
Jetzt haben Corona-bedingte Einreiseverbote und Quarantäne-Bestimmungen der Forschung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Eine Expedition vor Südafrika und eine Anreise zu Forschungsarbeiten in der Antarktis mussten abgebrochen werden und die Schiffe außerplanmäßig nach Deutschland zurückkehren. Glück im Unglück für ein anderes deutsches Forschungsschiff: In einer großen Aktion mit vielen Akteuren werden SONNE und MARIA S. MERIAN am 18. Mai nach Spitzbergen auslaufen und helfen, die „POLARSTERN“, die aktuell im arktischen Meereis überwintert, mit Material zu versorgen und die dort ausharrende Besatzung abzulösen.
Andrea Gerriets von der Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe und ihre Kollegen haben den Einsatz in den letzten Wochen vorbereitet.
Frau Gerriets, wie schwierig ist der bevorstehende Sondereinsatz?
Da sind zunächst einmal die Genehmigungen: Das Forschungsschiff SONNE ist gewöhnlich in wärmeren Gefilden unterwegs, für die Fahrt hoch in den Norden benötigt es eine Sondererlaubnis – auch wenn die Gegend zu dieser Jahreszeit weitgehend eisfrei ist. Und auch die MERIAN benötigt eine Ausnahmeregelung: Zwar hat sie eine so genannte Polar-Zertifizierung, darf jedoch nicht so viele Personen aufnehmen wie jetzt für den Austausch erforderlich. Deshalb müssen wir an Deck eigens spezielle hochsee- und arktistaugliche Wohncontainer aufstellen. Nur so können wir bis zu 104 Passagiere mit den beiden Schiffen in den Isfjord bei Longyearbyen bringen.
Warum ausgerechnet dorthin?
Für die Übergabe brauchen wir ein geschütztes Seegebiet mit möglichst ruhiger See. Die POLARSTERN muss deshalb ihre aktuelle Position im Arktischen Meereis verlassen und unsere beiden Schiffe vor Spitzbergen treffen. Die gehen dann längsseits und werden mit Hilfe der Bordkräne Ausrüstung, Proviant und die neue Crew an Bord bringen. Das funktioniert nur bei minimalem Seegang. Umgekehrt werden die bisherige Mannschaft und eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Bord der SONNE und MERIAN nach Bremerhaven zurückkehren.
Auch ohne Corona hätte der Austausch über die norwegische Inselgruppe erfolgen sollen. Allerdings wären Ersatzcrew und Forschende dann per Flugzeug an- und weitergereist. Doch die Region ist wegen der Pandemie gesperrt und Norwegen schreibt bei der Einreise eine 14-tägige Quarantäne vor - deshalb ist dies jetzt nicht möglich.
Womit wir beim Thema wären: Wie ist es mit Corona an Bord? Schmale Gänge und kleine Schiffskabinen – was da passieren kann, sehen wir ja aktuell auf den großen Kreuzfahrtschiffen.
Gemeinsam mit dem Alfred-Wegener-Institut, das die POLARSTERN betreibt, der Reederei Briese und den zuständigen Gesundheitsbehörden haben wir einen strengen Quarantäneplan erstellt sowie einen umfassenden Krisenplan im Falle eines Ausbruchs. So müssen Passagiere und Besatzung vor Betreten des Schiffes ausnahmslos 14 Tage lang vor Ort in Isolation und werden währenddessen mehrfach getestet. Während der Beladung dürfen nur sehr wenige unverzichtbare Dienstleister überhaupt an Bord – Temperaturmessung ist Pflicht, Mundschutz obligatorisch. Erst wenn alle Tests negativ ausfallen, werden Crew und Passagiere mit speziellen Bussen an Bord gebracht. Zur Sicherheit wird auch, wer von Bord geht, nachträglich getestet.
Und während der Fahrt?
Sind erst einmal alle gesund an Bord, können wir durch die Tests und die umfangreichen Quarantänemaßnahmen im Vorfeld auf eine strenge Kontaktsperre verzichten. Dennoch gelten natürlich die Hygieneregeln, die wir alle kennen. Tritt doch ein Verdachtsfall auf, ist das Schiff zusätzlich mit Schutzausrüstung und Tests ausgestattet. Außerdem würde ein genau durchdachter Isolations- und Desinfektionsplan greifen. Das Gleiche gilt auch für die Rückfahrt, auch wenn wir dann natürlich nur Personen an Bord haben, die ohnehin bereits Wochen und Monate isoliert waren.
Wann werden die Schiffe zurück sein? Wie geht es danach weiter?
Wenn alles läuft wie geplant und das Wetter mitspielt, werden beide Schiffe Anfang Juni wieder in Bremerhaven sein. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die ausgewechselte Mannschaft können dann erstmals seit Ende Januar an Land gehen. Anschließend kehren MERIAN und die SONNE nach Emden zurück und halten sich dort für weitere Forschungsfahrten bereit. Natürlich kommt dies nur unter besonderen Sicherheitsvorgaben infrage. Das heißt: Anfahrt und Ankunft ausschließlich in Deutschland, kein Einschiffen von Personen in ausländischen Häfen, vorbereitende Quarantäne und Tests, strenge Verhaltensregeln an Bord und natürlich Einzelbelegung der Kammern. Ergänzend werden ohnehin geplante Wartungen und Reparaturen an den Schiffen vorgezogen.
Das klingt, als hätten Sie in den vergangenen Wochen viele hektische Momente gehabt. Haben Sie das alles im Homeoffice bewerkstelligt?
Teils, teils – für vieles gibt es ja mittlerweile gute digitale Lösungen. Dennoch ist der Kommunikationsaufwand enorm. Weil wir mitten im Geschehen sind, müssen wir abends und am Wochenende auch mal länger ansprechbar sein. Wir stehen im engen Austausch mit den Reedereien, den Schiffen, Behörden, Forschungsinstituten und Förderern. Und es geht ja weiter: Neben der Unterstützung für die POLARSTERN entwickeln wir gemeinsam auch Pläne, wie wir die Schiffe anschließend wieder sicher in die Forschung entsenden können.
Haben Sie an irgendeinem Punkt gedacht, das klappt nie?
Nein, tatsächlich nicht. Als klar war, dass das Ganze grundsätzlich machbar ist und wir die entsprechenden Ausnahmeregelungen bekommen, von da an war ich ziemlich ruhig.
Über die Leitstelle
Die Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe an der Universität Hamburg betreibt die Forschungsschiffe MARIA S. MERIAN, SONNE und METEOR. Die Schiffe sind weltweit für die grundlagenbezogene Hochseeforschung im Einsatz. Die Leitstelle ist für die wissenschaftlich-technische, logistische und finanzielle Vorbereitung, Abwicklung und Betreuung des jeweiligen Schiffsbetriebs verantwortlich. Wissenschaftlicher Leiter ist der Geologe Prof. Dr. Christian Betzler.
MOSAiC-Expedition
Während der MOSAiC-Expedition der POLARSTERN erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 Nationen die Arktis im Jahresverlauf. Von Herbst 2019 bis Herbst 2020 driftet der deutsche Eisbrecher Polarstern dazu eingefroren im Eis durch das Nordpolarmeer. MOSAiC wird unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) realisiert. Damit dieses einzigartige Projekt gelingt und möglichst wertvolle Daten gewonnen werden, arbeiten über 70 Institute in einem Forschungskonsortium zusammen. Das Budget der Expedition beträgt über 140 Millionen Euro.