Mit Bewegungsdaten Infektionsrisiken berechnenCorona-Infizierte ohne Symptome erkennen
15. Februar 2021, von Christina Krätzig
Foto: privat
Das neuartige Coronavirus kann sich auch deswegen so schnell verbreiten, weil viele Infizierte keine Symptome zeigen. Wer sich mit welcher Wahrscheinlichkeit infiziert hat, ließe sich jedoch berechnen, sagt Prof. Dr. Jianwei Zhang. Seine Studie wurde nun in Nature Scientific Reports veröffentlicht.
Herr Zhang, sogenannte asymptomatische Virusträger sind ein großes Problem bei der Eindämmung der Corona-Pandemie. Sie sagen jedoch, Sie könnten Infizierte ohne Symptome identifizieren. Wie würde das gehen?
Wir haben für unsere Studie die Bewegungsdaten von 14.910 Menschen in unser Computerrechenmodell eingespeist, über einen Zeitraum von sieben Tagen. Der Computer weiß, wer wem wie nahegekommen ist und wer im Laufe der Zeit an Covid-19 erkrankt ist. Er kann berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Infektion für jeden Einzelnen oder jede Einzelne ist. Das funktioniert ähnlich wie bei der Corona-Warn-App, nur sind unsere Berechnungen viel genauer.
Wie könnte Ihre Berechnung helfen, das Virus einzudämmen?
Es könnte dazu beitragen, dass viel weniger Menschen getestet werden müssten. Statt potenziell jede oder jeden zu testen, könnte man die vorhandenen Ressourcen auf diejenigen konzentrieren, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit angesteckt haben. Das ist viel effizienter als traditionelle Methoden der Kontaktverfolgung.
Sie haben für Ihre Studie auch Künstliche Intelligenz eingesetzt. Wie und warum?
Kontinuierliches Lernen, eine moderne Methode der Künstlichen Intelligenz, ist wichtig, wenn man einen Datensatz hat, der ständig wächst. Nur ein Computer, der dauerhaft lernt, kann die neuen Daten mit den alten verknüpfen und sozusagen verstehen, was aus komplexen Datenmengen tatsächlich nützlich ist.
Was für Daten braucht man für solche Berechnungen?
Wir brauchen möglichst vollständige Bewegungsdaten aller Menschen, die sich in einem bestimmten Gebiet aufgehalten haben. Diese Daten müssen sehr genau und zeitlich aktuell sein. So haben wir für die Studie GPS-Daten mit Karten kombiniert, um beispielsweise zu sehen, ob sich Menschen in einem Einkaufszentrum begegnet sein könnten. Wir konnten ihren Aufenthaltsort und die Nähe zu anderen Menschen bis auf einen Meter genau bestimmen. Darüber hinaus muss das Modell natürlich wissen, wer bereits als Covid-19 infiziert gemeldet ist.
Das sind sehr sensible Daten. Wie haben Sie die bekommen?
Die Daten für diese Studie stammen aus der Bewegungsstatistik einer chinesischen Stadt. Dort werden solche Daten über die Handys der Bevölkerung erfasst. In China läuft vieles über das Telefon, von Reservierungen für Restaurants bis zu Buchungen für Verkehrsmittel. Die chinesische Corona-Warn-App gibt Auskunft über den Gesundheitszustand des Telefonbesitzers oder der Telefonbesitzerin. Wie bei einer Ampel zeigt ein grünes Signal an, dass der Mensch gesund ist, ein gelbes warnt jedoch, dass jemand infiziert sein könnte. Eine solche Person könnte mit Hilfe unseres Systems eine SMS bekommen, damit sie die Infektionswahrscheinlichkeit kennt, sich bei einem Wert über einer gewissen Schwelle testen lässt und gegebenenfalls in Quarantäne begibt.
In Deutschland unterliegen Bewegungsdaten dem Datenschutz.
Wir haben in unserer Studie gezeigt, was rechnerisch für die individuelle Infektionseinschätzung möglich ist, wenn man die Daten erfasst. Ob das gewollt ist, wird auf politischer Ebene entschieden. Die Menschen können selbst bestimmen, ob sie ihre Bewegungsdaten freigeben wollen.