Repräsentative Befragungen in Hamburg und KölnWie viel Grün braucht der Mensch?
28. Oktober 2020, von Tim Schreiber
Foto: UHH/Hansen
Wohnen im Grünen ist für viele Menschen sehr wichtig – und steigert sogar nachweislich die Lebensqualität. Die Soziologin Prof. Dr. Stefanie Kley möchte mit einer Studie herausfinden, wie viel Natur es sein sollte und ob man dafür wirklich aufs Land ziehen muss.
Frau Kley, was wollen Sie mit Ihrer Studie zum „Wohnen im Grünen“ erforschen?
Es stellt sich für uns die Frage, warum so viele Menschen aufs Land ziehen wollen, vor allem im Zusammenhang mit einer Familiengründung. Da heißt es ja oft: „Wir wollen ins Grüne“. Wir fragen uns, wie viel Grün der Mensch braucht, um sich wohl zu fühlen und ob man sein Bedürfnis nach Grün nicht auch in der Stadt ausleben kann. Außerdem ist es interessant zu sehen, ob vielleicht junge Familien oder ältere Menschen mehr Grünräume brauchen und Jüngere eher weniger.
Wie gehen Sie vor?
Wir machen eine repräsentative Telefonumfrage an den Standorten Hamburg und Köln, denn wir interessieren uns vor allem für Großstädte. Wir wollen dort gern bis in die einzelnen Wohnquartiere hinein analysieren und schauen, wie die Menschen die Grünräume nutzen. Machen sie dort vor allem Sport oder fahren sie mit dem Rad durch den Park zur Arbeit? Wir fragen aber zum Beispiel auch danach, ob sie durch ihr Fenster auf Bäume schauen können.
Haben selbst Bäume vor dem Fenster einen Einfluss auf die Lebensqualität?
Ja, es gibt eine schon fast klassische Studie. Im Krankenhaus hat sich gezeigt, dass Patientinnen und Patienten, die nach einer Operation einen Platz am Fenster mit Blick auf Bäume bekommen haben, wesentlich schneller gesund wurden und auch weniger Schmerzmittel brauchten als Patientinnen und Patienten, die nur auf eine Wand schauen konnten. Andere Studien zeigen, dass die Zufriedenheit am Arbeitsplatz höher ist, wenn Menschen auf einen Wald schauen können. Natürlich ist die Frage, wie langanhaltend solche Effekte sind und ob sie auf andere Lebensbereiche übertragbar sind.
Man könnte vermuten, dass durch die Corona-Pandemie und die sich verbreitende Möglichkeit des Homeoffice mehr Menschen ins Grüne ziehen möchten. Gehen Sie dem auch nach?
Wir haben ein Modul in die Befragung aufgenommen, bei dem wir die Menschen fragen, ob sich durch Corona etwas verändert hat. Wir vermuten, dass zum Beispiel einigen Menschen das Fehlen eines Balkons oder eines Gartens noch schmerzlicher bewusst wird. Das möchten wir natürlich erfragen. Eine direkte Vorher-Nachher-Messung können wir aber nicht machen.
Was sind allgemein die wichtigsten Gründe für Menschen, ihren Wohnort zu wechseln?
Klassische Gründe sind Umbrüche im Lebenslauf: der Beginn der Ausbildung oder des Studiums, der Eintritt ins Erwerbsleben oder die Rente. Es gibt aber auch familiäre Gründe. Früher war die Heirat besonders wichtig, heute ist es eher die Paarbildung oder die Geburt eines Kindes. Wenn man nach der Wichtigkeit sortiert, ist es so, dass familiäre und berufliche Gründe gleich wichtig sind. Es ist nicht so, dass der Beruf immer über allem steht. Äußere Gründe, dass man also mit seinem Wohnviertel nicht zufrieden ist, weil zum Beispiel zu viel oder auch zu wenig los ist, sind übrigens eher nachgeordnet. Ausschlaggebend sind meist die tieferliegenden Gründe wie Familie und Beruf.
Und ist es tatsächlich so, wie man vermutet: Junge Menschen ziehen in die Stadt, junge Familien nach draußen?
Viele Studien lassen dieses typische Wanderungsmuster erkennen: Junge Erwachsene ziehen zur Ausbildung oder zur Arbeit in die größeren Städte. Bei Familiengründung gibt es häufig die Gegenbewegung an den Stadtrand oder aufs Land. Aber wie stark die Gegenbewegung davon abhängt, dass man mehr Grün um sich haben möchte, wissen wir nicht. Es kann ja auch mit den Wohnkosten zusammenhängen oder mit der Tatsache, dass man Eigentum erwerben oder einfach mehr Platz haben möchte. Wir wissen wenig darüber, ob auch Wohngelegenheiten in der inneren Stadt angenommen werden würden, wenn sie diese Kriterien erfüllten. Mit Blick auf Bauvorhaben in Hamburg, wo ja auch grüne und naturnahe Quartiere entstehen sollen, machen wir also Grundlagenforschung.
Über „Wohnen im Grünen“
Die Studie basiert auf einer Telefonumfrage, die aktuell in Köln und Hamburg durchgeführt wird. Für die Teilnahme kann man sich nicht freiwillig melden, weil die angerufenen Telefonnummern zufällig generiert werden, um sicherzustellen, dass die Teilnehmenden alle Bevölkerungsgruppen in der jeweiligen Stadt repräsentieren. Das Team freut sich über jede Person, die teilnimmt, wenn sie angerufen wird. Weitere Informationen zu „Wohnen im Grünen“ sind auf den Seiten des Projekts zu finden.