UWA in AnkaraRöntgenblicke in antike Briefe
7. Oktober 2025, von Jakob Hinze

Foto: Charles Steitler
Die Keilschrifttafeln Mesopotamiens gelten als die ältesten Schriftartefakte der Welt. Viele von ihnen stecken in Tonumschlägen, die den Inhalt bis heute verbergen. Mit dem weltweit ersten mobilen CT-Scanner für Kulturgüter ermöglicht ein Team des Exzellenzclusters „Understanding Written Artefacts“ erstmals das Lesen der Texte.
Das Briefwesen im antiken Mesopotamien war eine unzuverlässige Angelegenheit. Nicht selten befanden sich Schreiber bzw. Schreiberin und Empfänger bzw. Empfängerin hunderte Kilometer voneinander entfernt. Die auf Keilschrifttafeln geschriebenen Briefe, die zum Schutz vor unbefugten Blicken in Tontafeln steckten, reisten mit Karawanen durch die Wüste. Oft genug gingen sie unterwegs verloren oder konnten wegen Todesfällen oder Umzügen nicht ausgeliefert werden. Deswegen lagern in Museen und Archiven weltweit viele solcher Schreiben in ihren originalen Tonumschlägen. Manche von ihnen sind 5000 Jahre alt – und ebenso lange hat sie kein Mensch gelesen.
Das Museum für anatolische Zivilisationen in Ankara beherbergt eine besonders wichtige Sammlung solcher versiegelter Briefe, die aus bedeutenden Ausgrabungsstätten wie Hattusa und Kültepe in der heutigen Osttürkei stammen. Die Texte geben mutmaßlich wichtige Einblicke in wirtschaftliche, rechtliche und private Angelegenheiten der Bewohnerinnen und Bewohner dieser frühen Siedlungen. Für die Altertumsforschung, insbesondere die Assyriologie, sind sie von enormem Interesse.
Die verborgenen Texte zu lesen, ohne die Umschläge zu zerstören – das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Understanding Written Artefacts“ an der Universität Hamburg mit der Entwicklung von ENCI möglich gemacht. Das Akronym steht für „Extracting Non-destructively Cuneiform Inscriptions“ und bezeichnet den weltweit ersten mobilen CT-Scanner, der speziell für die Erforschung von Kulturgütern konzipiert wurde.
„Tomographen mit der benötigten Strahlungsintensität sind normalerweise mehrere Tonnen schwer“, erklärt Prof. Dr. Christian Schroer, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Nanostruktur- und Festkörperphysik an der Universität Hamburg, der ENCI federführend entwickelt hat. „Für uns war aber entscheidend, dass unser Gerät mobil ist, weil kaum ein Museum seine Sammlung auf Reisen schickt. ENCI wiegt nur etwas über 400 Kilogramm. Die größte Herausforderung bestand darin, diese Leichtbauweise mit dem erforderlichen Strahlenschutz zu verbinden.“
Während ihres bisherigen Aufenthalts in Ankara konnte das Forschungsteam bisher 75 Briefe scannen. Während der Arbeit erhielt das Team auch Besuch von Sibylle Katharina Sorg, der deutschen Botschafterin in Ankara, die sich über die technischen und inhaltlichen Untersuchungsverfahren informierte. Bevor es nach Deutschland zurückgeht, reisen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch weiter nach Kayseri, um weitere Keilschrifttafeln aus dem Bestand des dortigen Archäologischen Museums zu analysieren.
Briefe in versiegelten Tonumschlägen im "Anadolu Medeniyetleri Müzesi" in Ankara, einem der bedeutendsten archäologischen Museen der Türkei.
Bildrechte: Exzellenzcluster "Understanding Written Artefacts".

