Willkommen an BordForschung in Sekundenbruchteilen: „Wir haben die absolute Kinderstube des Themas gerade erst erreicht“Prof. Dr. Markus Ilchen verstärkt die Physik
2. April 2024, von Maria Latos
Foto: UHH/Latos
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Experimentalphysiker Prof. Dr. Markus Ilchen.
Prof. Dr. Markus Ilchen ist zum Wintersemester 2023/24 vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) an die UHH gewechselt und hat seine W2-Professur für „Experimentalphysik, insbesondere Röntgenspektroskopie an Freie-Elektronen-Lasern“ an der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften begonnen.
Herr Ilchen, Sie sind Professor für Experimentalphysik, insbesondere Röntgenspektroskopie an Freie-Elektronen-Lasern. Woran forschen Sie?
Ich beschäftige mich mit ultraschnellen Prozessen in Molekülen, die eine Händigkeit (Chiralität) aufweisen. Aus solchen Molekülen ist das gesamte Leben aufgebaut. Besonders spannend an meiner Forschung ist, dass wir aktuell technologisch vor dem Durchbruch stehen, die Bewegung von Elektronen in solchen Molekülen direkt aus der Perspektive einzelner Atome zu beobachten
Welche technologischen Durchbrüche meinen Sie?
Wir haben Techniken entwickelt, um händige Attosekunden-Impulse im Röntgenbereich sichtbar zu machen und genau zu vermessen. Eine Attosekunde ist ein Millardstel einer Millardstel Sekunde. Der diesjährige Physik-Nobelpreis ging an die Attosekunden-Physik. Die Forschenden haben Laserimpulse, die nur einige zehn Attosekunden dauern, erzeugt und damit Bewegungen einzelner Elektronen verfolgt. Der große Clou mit dem Einsatz eines Röntgenlasers ist nun, dass die Impulse 1000-fach stärker sind, Atome direkt ansprechbar sind und die Energie weitgehend frei wählbar ist.
Was erhoffen Sie sich von diesen Forschungsarbeiten?
Ich erhoffe mir, dass wir nun auch mit diesen neuen Werkzeugen viele weitere fundamentale Ergebnisse erzielen werden. Gleichzeitig arbeiten wir auch kontinuierlich an unseren Spektrometern, um diese weiter zu entwickeln.
Wie sehen diese Entwicklungen aus?
Beispielsweise versuchen wir, zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Dortmund, die Forschung mit Spektrometern auf neue Füße zu stellen. Es geht dabei um die Frage, wie wir uns komplexer Materie widmen können, zum Beispiel Molekülen im Wasser. Das heißt, wir schießen einen Röntgenlaser auf ein von Wasser umgebenes Molekül. Das ist natürlich eine völlig andere Welt, als wenn wir uns ein isoliertes Molekül anschauen, wo es keine Wechselwirkungen gibt. Diese Welten direkt nebeneinander, quasi parallel, zu beobachten, macht es technisch komplex.
Und – wird es was?
Mittlerweile bereiten wir das Experiment seit ein paar Jahren vor und sind fast fertig mit dem Aufbau. Das ist ein Spirit, den ich in der Forschung so schätze: Wenn es im Prinzip gehen müsste, dann werden wir es auch schaffen – egal wie steinig der Weg ist und egal wie viele Fragezeichen da sind.
Es klingt, als wäre das ein Paradebeispiel für Grundlagenforschung.
Ja, und es ist ein immenses Privileg, dass in Deutschland nicht ständig hinterfragt wird, wann man das, was man erforscht, denn „verkaufen“ kann. Es ist klar, dass Grundlagenforschung wertvoll ist, auch wenn sie mal an die Wand rennt oder auch wenn die Anwendungen erst in 20 oder 30 Jahren kommen. Natürlich ist aber eine Balance der angewandten Forschung und der Grundlagenforschung wichtig.
Welche Anwendungen könnten das in Ihrer Forschung sein?
Wir haben die absolute Kinderstube des Themas Röntgen-Atto-Chiralität gerade erst erreicht. Das heißt, meine Hoffnung wäre, dass wir von den Anfängen in spannende erste Experimente kommen und diese dann in Anwendbarkeit umsetzen können. Die Ergebnisse könnten etwa in der Medizin Anwendung finden, zum Beispiel, wenn es um die Wirksamkeit von Medikamenten geht.
Was können die Studierenden in der Lehre von Ihnen erwarten?
Ich bin immer ein großer Freund davon, die Studierenden so schnell wie möglich in Experimente und Messzeiten einzubinden. Für mich persönlich war das immer einer der Kernpunkte der Faszination – an einem Beschleuniger mitarbeiten zu dürfen. Natürlich hat jede und jeder einen eigenen Zugang zur Motivation, manche interessiert das Technische viel mehr als das Wissenschaftliche. Andere fasziniert das Knobeln in der Theorie. Aber das ist auch eine Message, die ich in der Lehre mitgeben möchte: In der Physik ist für alle Arten von Motivation Platz.
War Ihnen denn schon früh klar, dass Sie in die Physik gehen wollen?
Tatsächlich war mir das relativ früh klar. Allerdings hatte ich eine unglaubliche Ehrfurcht und war unsicher, ob ich dem Studium gewachsen sein würde. Ich habe zuerst Physik und Sport auf Lehramt studiert und nach dem ersten Viertel meines Studiums nahm die Begeisterung für Physik immer weiter zu. Mir wurde bewusst, dass ich das Fach nicht nur unterrichten, sondern mich dem Fach voll verschreiben will. Und ich hoffe, dass ich diese Begeisterung auch bei meinen Studierenden wecken kann.