Tagung der Gesellschaft für Griechische und Hellenistische Rechtsgeschichte„Die Menschheit stand immer vor rechtlichen Problemen und musste sie lösen“
26. August 2019, von Tim Schreiber
Foto: Kaja Harter-Uibopuu
Wie wurde in den griechischen Stadtstaaten des Altertums Recht gesprochen? Dieser Frage gehen derzeit Expertinnen und Experten der Alten Geschichte und Rechtswissenschaft sowie der klassischen Philologie bei einer Tagung an der Universität Hamburg nach. Beim Symposion für antike Rechtsgeschichte werden jedoch auch immer wieder Parallelen zu aktuellen Themen deutlich. Fünf Fragen an die Organisatoren Prof. Dr. Kaja Harter-Uibopuu und Prof. Dr. Werner Rieß.
Was ist aus heutiger Sicht das Interessante an griechischer und hellenistischer Rechtsgeschichte?
Prof. Harter-Uibopuu: Die Geschichte des griechischen Rechts ist vielfach mit der Entwicklung der Demokratie in den Stadtstaaten des östlichen Mittelmeerraums verbunden. Die Fragen der Auswahl von Richtern, der Versicherung ihrer Unbestechlichkeit, der Fairness in der Behandlung der beteiligten Streitparteien im Privaten, aber auch des Funktionierens eines Staates im öffentlichen Bereich lassen vielfach Parallelen zu aktuellen Themen erkennen. Zudem sind Überlegungen zur friedlichen Streitbeilegung und der Vermeidung bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Staaten in der Antike ebenso wie heute notwendig und angebracht.
Was macht die Forschung an dem Thema besonders?
Prof. Rieß: Oftmals bezeugt ein Blick auf vergangene Kulturen, dass die Menschheit immer schon vor ähnlichen Problemen gestanden hat wie heute und sie lösen musste. So beginnt die Tagung etwa mit einem Beitrag zum Ehebruch und endet mit der Frage nach der Absetzbarkeit von politischen Führern. Auf der anderen Seite ist das griechische Recht aber auch ohne derartige gegenwartsbezogene Anwendungen ein hochspannendes Forschungsthema. Über lange Zeit stand es im Schatten des Römischen Rechts, das die Grundlage unserer heutigen Rechtsvorstellungen bildet. Literarische Quellen, wie Gerichtsreden, philosophische Schriften oder Theaterstücke können ebenso zu seiner Rekonstruktion beitragen wie Texte aus dem Alltagsleben auf ägyptischen Papyri und Inschriften auf Stein, die in großer Zahl jedes Jahr in Griechenland und der Türkei gefunden werden. Die Quellen gehen also nicht aus, neue Interpretationsansätze und Theorien bringen unerwartete Ergebnisse und regelmäßige Tagungen wie das Symposion, das erstmals in Hamburg stattfinden kann, fördern den Zusammenhalt der kleinen wissenschaftlichen Gemeinschaft. Die drei Tage bieten den Teilnehmern aus zehn Nationen die Möglichkeit, in intensivem Austausch ihre Forschungsergebnisse aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und zu diskutieren.
Welche Themen stehen im Vordergrund?
Harter-Uibopuu: Dieses Jahr sind das einerseits verschiedene Facetten der Rechtsprechung in Athen, zu der man aus literarischen und epigraphischen (Inschriften, d. Red.) Quellen am besten informiert ist. Die kulturhistorisch aktuelle Frage nach Gewalt in der Gesellschaft, die gerade an der Universität Hamburg einen Forschungsschwerpunkt bildet, ist ebenso Thema wie die Verwaltung und Verfassung der Stadt in nachdemokratischer Zeit. Ein weiterer Schwerpunkt sind Phänomene der Unfreiheit und ihres möglichen Endes: Sklaverei und Freilassungen werden in den Quellen vielfach thematisiert.
Um welche Regionen abgesehen von Athen geht es noch?
Rieß: Neben Athen finden auch die anderen, zumeist weniger bekannten, griechischen Stadtstaaten Beachtung. Aktuelle Entwicklungen der rechtshistorischen Forschung, die sich unter anderem auf Sparta beziehen, werden vorgestellt und diskutiert. Zeitlich wird hierbei ein Bogen von der griechischen Archaik vom 8. bis 6. Jahrhundert vor Christus bis hin in die Zeit der römischen Dominanz im östlichen Mittelmeer in den ersten Jahrhunderten nach Christus gespannt.
Woran forschen Sie aktuell?
Harter-Uibopuu: In Hamburg gibt es einen Schwerpunkt „Antike Rechtsgeschichte“, der neben verschiedenen Aspekten vor allem das Recht der griechischen Polis (der Staatsverband im antiken Griechenland, d. Red.) untersucht. Ich bin Epigraphikerin, stelle also die auf Steininschriften erhaltenen öffentlichen Beschlüsse der Stadtstaaten und private Texte in den Mittelpunkt meiner Forschungen. Dabei interessieren mich besonders das Recht von Fremden und Nichtbürgern, in einer Stadt Zugang zu den lokalen Gerichten zu erhalten, sowie die komplizierten Schenkungen und Stiftungen, mit denen reiche Bewohner im Hellenismus und der römischen Kaiserzeit ihre Städte unterstützten und den eigenen Ruf dabei mehrten. Der Zugang dazu ist in meinem Fall von juristischen Fragen dominiert: Welche Vorschriften und Sanktionen waren vorgesehen, wer waren die Richter und wie ist die Rolle der Parteien zu verstehen? Im Rahmen des Exzellenzclusters „Understanding Written Artefacts“ leite ich außerdem ein Projekt zur Aufstellung von Rechtsinschriften im öffentlichen Raum der griechischen Poleis.
Rieß: Ich arbeite derzeit an einem Überblick über das athenische Recht in Form einer einführenden Monographie. Dabei werden insbesondere kulturwissenschaftliche Fragestellungen zum Tragen kommen, wie etwa die Frage, welche symbolische Bedeutung die verschiedenen Klageformen der Athener hatten, welche Botschaft sie also mit der Wahl einer bestimmten Prozessart an ihre Unterstützer und Gegner kommunizieren wollten.
Über das Symposion
Seit 1971 veranstaltet die Gesellschaft für griechische und hellenistische Rechtsgeschichte Symposien, seit 1991 kontinuierlich alle zwei Jahre. Im 100. Jubiläumsjahr der Universität Hamburg wurde das 22. Symposion vom 26. bis 28. August in die Hansestadt geholt. Die Rechtsgeschichte der griechischen Antike ist ein sehr kleines Fach. Die Symposien sind das wichtigste internationale Koordinationsforum für diesen Bereich und eine Plattform für neue Ideen. Die Tagung in Hamburg wird durch die DFG, die Fakultät für Geisteswissenschaften und den Cluster „Understanding Written Artefacts“ unterstützt.