DFG-ForschungsprojektChinesischer Buddhismus im Wandel: Ein Blick zurück und nach vornSerie Forschen und Verstehen
23. Oktober 2025, von Lennart Wichmann

Foto: privat
Nach dem Ende der Kulturrevolution hat sich Chinas Religionslandschaft seit Ende der 1970er-Jahre grundlegend gewandelt. Im Zentrum eines deutsch-französischen Forschungsprojekts unter Leitung von Dr. Carsten Krause von der Universität Hamburg stehen buddhistische Führungspersönlichkeiten, die diesen Wandel bis heute mitgestalten. Welche Bedeutung der Buddhismus in China hat und wie sich seine Institutionen über fünf Jahrzehnte entwickelt haben, erklärt der Sinologe im Interview.
Was ist das zentrale Ziel Ihres Projekts über die buddhistischen Eliten im heutigen China?
Unser Projekt zum Buddhismus im gegenwärtigen China ist größer und breiter angelegt, als es bisherige Einzelstudien haben leisten können. Dabei setzen wir im Jahr 1978 an, als nach der sogenannten „Kulturrevolution“ in der Volksrepublik China eine grundlegend neue Religionspolitik eingeführt wurde. Unsere Betrachtungen enden ein halbes Jahrhundert später.

Da in dieser Zeit enorm viel passiert ist, konzentrieren wir uns auf die Rolle jener zwei bis drei Generationen buddhistischer Eliten, die einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung des Buddhismus hatten bzw. in der Zukunft haben werden. Ziel ist es, Muster auf drei Ebenen herauszuarbeiten: Wir nehmen die Institutionen, die Personen und die Ideen in ihren Wechselwirkungen in den Blick. Denn die Eliten sind eingebunden in grundlegende Institutionalisierungsprozesse, in wachsende und wechselnde soziale Netzwerke und sie wirken entscheidend mit beim Revival bzw. der Weiterentwicklung eines jahrtausendealten buddhistischen Gedankenguts.
Wie groß ist die buddhistische Gemeinde in China aktuell?
In der Volksrepublik China sind mittlerweile mehr als 30.000 große und kleine Klöster verzeichnet sowie fast 200.000 Mönche und Nonnen. Die Zahl der Laien und Laiinnen lässt sich kaum beziffern, denn Hunderte Millionen Menschen gehen regelmäßig oder unregelmäßig in den Klöstern ein und aus. Und unzählige Menschen lesen auch einfach Bücher oder Internetinfos und fühlen sich dem Buddhismus persönlich sehr nahe. Wir konzentrieren uns in unserer Forschung auf die führenden Persönlichkeiten des buddhistischen Klerus, das heißt der Mönche und Nonnen.
Wieso sind gerade sie so entscheidend für das Verständnis des zeitgenössischen Buddhismus in China?
Bei den buddhistischen Eliten handelt es sich zum Beispiel um Äbte und Äbtissinnen bedeutender Klöster, leitende Personen der buddhistischen Akademien oder Amtsträgerinnen und Amtsträger buddhistischer Dachvereinigungen, die die lokalen Rahmenbedingungen für die Praxis des buddhistischen Glaubens gestalten. Was sie miteinander verbindet, sind symbolische, aber auch materielle Ressourcen.
Sie sind in wesentlichem Maße verantwortlich für die buddhistische (Aus)Bildung, für die Interessenvertretung der Buddhistinnen und Buddhisten gegenüber Staat und Partei, für lokale Identifikationsprozesse, aber auch für die internationale Zusammenarbeit und das Image des chinesischen Buddhismus insgesamt. Einige der prominentesten Mönche haben in den vergangenen Jahren ihre Anerkennung bei Staat und Partei verloren, auch hier lohnt es sich, nach möglichen Mustern zu suchen.
Wie gehen Sie bei Ihrer Forschung vor?
Angesichts der Größe unseres Vorhabens werden wir keine reine Feldforschung betreiben. Wir haben bzw. sammeln umfangreiche Daten und hauptsächlich öffentlich zugängliches Textmaterial. Bei der qualitativen Auswertung werden religions-, politik- und gesellschaftswissenschaftliche Gesichtspunkte zum Tragen kommen. Spannend wird es sein, zunehmend auch Methoden der Digital Humanities zum Einsatz zu bringen.
Besonders ist, dass es sich bei dem Projekt um eine deutsch-französische Kooperation handelt. Ich selbst bin deutschlandweit vielleicht der einzige Sinologe mit einem philologischen Schwerpunkt, der sich auf den chinesischen Buddhismus in Geschichte und Gegenwart spezialisiert hat. Mein Pariser Kollege Ji Zhe ist Professor für Religionssoziologie am INALCO und zugleich Direktor des Centre d'études interdisciplinaires sur le bouddhisme. Er ist weltweit führend in der Erforschung des gegenwärtigen Buddhismus. Unser Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Agence Nationale de la Recherche gefördert wird, wird zudem mitgestaltet von der Postdoktorandin Amandine Péronnet, die unter anderem eine ausgewiesene Expertin für die Rolle der Frauen im chinesischen Buddhismus ist. Wir alle bringen unsere speziellen Perspektiven und Expertisen ein.
Was kann Ihre Forschung zum Verständnis des Verhältnisses von Religion und Staat im modernen China beitragen?
Das buddhistische Leben in der Volksrepublik China ist sehr stark geprägt von der „politischen Großwetterlage“. Gerade buddhistische Eliten sind sicherlich mehr als Laien und Laiinnen darauf angewiesen, mit dem Staat aktiv zu kooperieren. Zugleich besteht seit jeher ein enormes Spannungsverhältnis zwischen diesen Kräften. Denn jemand, die oder der sich dem Leben in einem buddhistischen Kloster verschreibt, wird eher nach religiöser als nach weltlicher Anerkennung suchen. Aber wir sehen auch, wie schwimmend die Grenzen zwischen buddhistischer und parteiideologischer Ideengeschichte sowie zwischen religiöser und weltlicher Macht und Einflussnahme sein können.
Klerikerinnen und Kleriker machen sich oftmals kommerziellen Erfolg, weltlichen Ruhm und sogar politische Slogans zu Eigen. Auf Seiten der atheistischen Regierung lässt sich wiederum sowohl lokal als auch zentral eine gelegentliche Affinität zum Buddhismus feststellen. Ein großes Interesse galt bei Buddhisten, die auf dem Festland leben, lange Zeit den Entwicklungen auf Taiwan, wo die Modernisierung des Buddhismus bei gleichzeitiger Bewahrung seiner Traditionen als vorbildhaft angesehen wurde.
In mancher Hinsicht hat sich aber inzwischen das Selbstbewusstsein festlandchinesischer Buddhistinnen und Buddhisten verändert. Sie betonen zunehmend, dass China als das Mutterland des Buddhismus angesehen werden kann. Es wird somit spannend sein, die Gegenwartsforschung erstmals auf ein halbes Jahrhundert von Kontinuitäten und Brüchen seit der sogenannten Öffnungspolitik ausdehnen zu können. Unsere Forschung ermöglicht es so, die vielfältigen Verschränkungen zwischen Staat und Religion und die zugrundeliegenden Mechanismen zu konkretisieren. Neben einer Bestandsaufnahme kann sie zudem im besten Fall als Grundlage für eine Bewertung möglicher zukünftiger Entwicklungen dienen.
DFG-gefördertes Projekt
Dr. Carsten Krause ist seit 2017 Research Fellow am Numata Zentrum für Buddhismuskunde der Universität Hamburg, wo er sich seit Frühjahr 2025 dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojekt „CBElites – Interaction Patterns of Buddhist Elites in Contemporary China (1978-2028): Exploring the Dynamics of Institutionalization Processes, Social Networks, and Conceptual Histories“ widmet.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.

