Langzeitstudie in Elbmündung: Fischbestand um 90 Prozent gesunken
25. September 2025, von LIB/Newsroom-Redaktion

Foto: UHH/Thiel
In den vergangenen vier Jahrzehnten hat sich die Fischfauna in der Elbmündung dramatisch verändert. Das zeigt ein Kooperationsprojekt der Uni Hamburg und des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels. Untersucht wurde unter anderem, wie Umweltfaktoren die Bestände wichtiger Fischarten beeinflussen. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin „Estuarine, Coastal and Shelf Science“ erschienen.
Nachdem sich in der Analyse zunächst eine Erholungsphase mit wachsenden Fischbeständen von den 1980er-Jahren bis etwa 2010 zeigte, weisen sie seitdem einen dramatischen Rückgang auf: Der Gesamtbestand aller Fischarten sank um mehr als 90 Prozent. Neben dem Stint (Osmerus eperlanus) waren auch Arten wie Finte (Alosa fallax), Flunder (Platichthys flesus) und Kaulbarsch (Gymnocephalus cernua) stark betroffen.
Dabei wurden alle Lebensstadien in Mitleidenschaft gezogen: Bei vielen Arten verringerte sich unter anderem durch die Verschlickung wichtiger Aufwuchsgebiete das Aufkommen von Larven und Jungfischen. Beim Kaulbarsch (Gymnocephalus cernua) beispielsweise wurde ein beeinträchtigtes Wachstum bei subadulten sowie adulten Stadien festgestellt. Im gleichen Zeitraum nahmen einzelne Meeresfische wie Hering (Clupeidae) und Wittling (Merlangius merlangus) zu. Dies weist auf eine strukturelle Verschiebung der Fischfauna hin, wie sie für sogenannte makrotidale Ästuare, also Flussmündungsgebiete mit hohem Tidenhub, typisch ist.
Fünf Messstationen
Aus einem Zeitraum von mehr als 40 Jahren wurden standardisierte Befischungsdaten von fünf Stationen entlang der Elbmündung zu Artenzusammensetzung und Häufigkeit der Fische sowie zu relevanten Umweltfaktoren ausgewertet – jeweils in allen vier Jahreszeiten, da sich die Fischgemeinschaft saisonal verändert. Im Rahmen der aktuellen Studie wurden mithilfe statistischer Verfahren zeitliche Trends sowie Zusammenhänge zwischen Umweltfaktoren und der Zusammensetzung der Fischfauna ermittelt.
„Die langfristigen Veränderungen in den Fischbeständen der Elbmündung lassen sich eng mit verschiedenen Umweltfaktoren verknüpfen. Während in den 1990er-Jahren eine deutliche Verbesserung der Wasserqualität die Erholung vieler Arten begünstigte, haben sich die Bedingungen in den letzten Jahren klar verschlechtert“, erklärt der Hauptautor der Studie, Jesse Theilen vom Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB).
Er hat die aktuelle Studie im Rahmen seiner Dissertation gemeinsam mit Prof. Dr. Ralf Thiel vom Fachbereich Biologie der Universität Hamburg (UHH) konzipiert. Zudem waren an der Studie Dr. Elena Hauten und Dr. Raphael Koll als Promovierende im „Graduiertenkolleg 2530 – Rolle von Biota im Kohlenstoffkreislauf von Ästuaren“ an der UHH sowie Dr. Victoria Sarrazin, ehemalige Postdoktorandin an der Universität Hamburg, beteiligt.
Umweltveränderungen als Ursache
Als wesentlicher Faktor für die Entwicklung der Fischfauna gilt die Zunahme von Schwebstoffen infolge der regelmäßigen Ausbaggerung der Unterelbe, um auch großen Containerschiffen die Zufahrt zum Hamburger Hafen zu ermöglichen. Diese Schwebstoffe haben wichtige Aufwuchsgebiete verschlickt, zudem erschwert die hohe Wassertrübung vielen Fischen den Nahrungserwerb. Geringere Niederschläge und damit geringere Abflüsse haben die Schwebstoffproblematik verschärft: Weniger Sedimente werden aus dem Mündungsgebiet gespült, zudem steigt der Salzgehalt in vormals weniger salzhaltigen Bereichen und stört das ökologische Gleichgewicht.
„Insbesondere der Stint ist ein unerlässlicher Futterfisch für Küstenvögel und andere räuberische Fische, womit er eine Schlüsselfunktion im Nahrungsgefüge einnimmt. Sein Verschwinden hätte dramatische Folgen für das gesamte Ökosystem“, sagt Dr. Elena Hauten, Co-Autorin der Studie und aktuell Postdoktorandin in der Abteilung „Marine Ökosystemdynamik und Management“ an der Universität Hamburg.
Die Studie zeige am Beispiel der 1980er- im Vergleich zu den 1990er-Jahren, dass sich durch die Verbesserung der Umweltbedingungen Fischbestände innerhalb weniger Jahre erholen können. „Noch ist es also nicht zu spät, um auf Basis unserer Erkenntnisse und zukünftiger Forschungsprojekte gezielte Schutzansätze zu entwickeln“, so die Biologin
Originalpublikation
J. Theilen, V. Sarrazin, E. Hauten, R. Koll, C. Möllmann, A. Fabrizius, R. Thiel: “Environmental factors shaping fish fauna structure in a temperate mesotidal estuary: Periodic insights from the Elbe estuary across four decades”, Estuarine, Coastal and Shelf Science, Volume 318, 15 July 2025

