Neue Studie unter CeNak-BeteiligungWeniger Schweinswale in Deutscher Bucht
8. Januar 2021, von Mareen Gerisch / Anna Priebe
Schweinswalen kommt eine Schlüsselrolle im Ökosystem Nordsee zu. Eine Studie unter Beteiligung des Centrums für Naturkunde zeigt nun, dass in der Deutschen Bucht immer weniger der Tiere leben, auch in einem wichtigen Schutzgebiet. Die Ergebnisse wurden in „Frontiers in Marine Science“ veröffentlicht.
Schweinwale sind die kleinste und die einzige in der Deutschen Bucht der Nordsee heimische Walart. Ihr Vorkommen ist ein Indikator für den Zustand dieses Lebensraumes. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Centrums für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg und der Stiftung Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) haben nun herausgefunden, dass die Population der Schweinswale in der Deutschen Bucht von 2002 bis 2019 im Jahresdurchschnitt um 1,8 Prozent zurückgegangen ist. 2019 lebten demnach im untersuchten Gebiet nur noch rund 23.000 Schweinswale.
Schutzmaßnahmen bewerten und verbessern
Die Deutsche Bucht ist ein Gebiet mit stark frequentierten Schifffahrtsrouten, intensiver Fischerei, Offshore-Ölplattformen und Windparks. Da all diese Aktivitäten unvermeidbare Auswirkungen auf die Meeresfauna und -flora haben, hatte die Studie zum Ziel, die Entwicklung der Schweinswale in diesem Gebiet zu verstehen, um bestehende Schutzmaßnahmen bewerten und gegebenenfalls weitere ergreifen zu können. Die Zahl der Schweinswale wurde für die Erhebung durch Zählungen per Flugzeug aus der Luft ermittelt und mit innovativen statistischen Methoden analysiert und bewertet.
„Die Dringlichkeit von naturschutzpolitischen Maßnahmen ist hoch,“ betont Sacha Viquerat, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung „Mammalogie / Paläoanthropologie“ des CeNak. Er hat das Monitoring an der TiHo über viele Jahre geleitet. „Wir müssen erkennen, dass hoch mobile Arten wie Schweinswale nicht allein durch statisch festgelegte Schutzgebiete auf nationaler Ebene einen sicheren Lebensraum bekommen. Es bedarf begleitender, naturschutzpolitischer Maßnahmen wie aktualisierter Sperrzonen in der Fischerei und einer Anpassung des Schiffsverkehrs in der deutschen Bucht."
Populationsrückgang im wichtigsten Schutzgebiet
Auch Mitautorin Dr. Anita Gilles von der TiHo sagt: „Der Trend, der sich hier abzeichnet, ist besorgniserregend.“ Besonders beunruhigend sei die Tatsache, dass sich die Schweinswale aus ihrem wichtigsten Schutzgebiet vor Sylt scheinbar deutlich zurückgezogen hätten: Am Sylter Außenriff ist die Zahl im Untersuchungszeitraum pro Jahr um durchschnittlich 3,8 Prozent zurückgegangen. Dagegen stieg die Population weiter südlich in der Nordsee vor Borkum. Die Gründe dafür seien dem Forschungsteam zufolge unklar und müssten näher untersucht werden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen aber auch, dass die Deutsche Bucht nur Heimat für einen Teil der Schweinswalpopulation in der Nordsee sei. Ihr Wunsch: In Zukunft sollten internationale Bestrebungen gefördert werden, die sich um transnationale Erfassungskampagnen bemühen – für Schweinswale, aber auch für andere Tierarten. Nur so sei es möglich, die lokal beobachteten Veränderung in einem größeren Kontext zu bewerten und einzuordnen.
„Eine Lebensumwelt, die sich durch menschliche Einflüsse und globale Effekte rapide verändert, verlangt nach einer agilen und effektiven wissenschaftlichen Begleitung, die vor allem auch in einem gesellschaftlichen Kontext, etwa der Naturschutzpolitik, stehen muss“, erklärt Viquerat.
Originalpublikation
Nachtsheim Dominik A., Viquerat Sacha, Ramírez-Martínez Nadya C., Unger Bianca, Siebert Ursula, Gilles Anita (2021): Small Cetacean in a Human High-Use Area: Trends in Harbor Porpoise Abundance in the North Sea Over Two Decades. Frontiers in Marine Science, 7. DOI=10.3389/fmars.2020.606609