Serie, Teil 2: UHH-Gebäude in der Science CityInterdisziplinarität wird hier großgeschrieben
8. August 2025, von Claudia Sewig

Foto: UHH/Engels
Die Science City Hamburg Bahrenfeld ist der sich derzeit am schnellsten verändernde Wissenschaftsstandort Hamburgs. Dort Arbeitende stellen in loser Folge bereits bestehende oder geplante Forschungsbauten der Universität Hamburg vor – und was diese ausmacht. Heute: das Center for Hybrid Nanostructures CHyN, die Shielded Experimental Hall SHELL und das zum Institut für Experimentalphysik gehörende Gebäude 68.
CHyN – Das Gebäude mit dem saubersten Raum in Hamburg

Bei seiner Eröffnung im Juli 2017 machte es medial Furore mit dem wahrscheinlich „saubersten Raum in Hamburg“ – und das bei 628 Löchern im Fußboden! Doch gerade diese sorgen im Reinraum des Center for Hybrid Nanostructures (CHyN) der Universität Hamburg durch das kontinuierliche Absaugen der Luft, die durch die Decke in den Raum strömt, für eine nahezu staubfreie Arbeitsumgebung. Und die ist bei der Arbeit mit winzigen Nanopartikeln, die nur wenige Atome bis zu 100 Nanometer groß sind (ein Nanometer entspricht einem millionstel Millimeter) extrem wichtig.
Prof. Dr. Wolfgang Parak ist einer der rund 130 Personen, die im CHyN forschen. Seine Arbeitsgruppe aus der Nanostruktur- und Festkörperphysik der MIN-Fakultät entwickelt Materialien für biologische und medizinische Fragestellungen. Genau das ist der Schwerpunkt der Forschung am CHyN: die Eigenschaften von Festkörpern und Bio-Materialien zu analysieren und daraus neue Materialien zu entwickeln, die zum Beispiel zerstörte menschliche Sinneszellen durch winzige bioelektronische Implantate ersetzen.

Parak arbeitet mit seiner Gruppe konkret an der Herstellung von (Nano-)Kügelchen aus Gold: „Diese erzeugen durch Beleuchtung Wärme. Solche Kügelchen könnten in Tumore eingebracht werden, und die durch die Beleuchtung erzeugte Wärme würde die Tumorzellen zerstören. Ein Vorteil wäre dabei, dass die Zerstörung des Gewebes nur dort stattfindet, wo beleuchtet wird, was Nebenwirkungen in anderen Organen reduziert.“ Allerdings sei solch ein Szenario zum Großteil noch Zukunftsmusik. „Bis solche Ideen in der Klinik landen, vergehen Jahrzehnte. Meine Gruppe arbeitet am Anfang, in der Grundlagenforschung. Wir untersuchen, wie die Kügelchen von Zellen aufgenommen werden, was dort mit Ihnen passiert und wie ich mit ihnen Licht in Wärme umwandeln kann. Solche Fragen sind wichtig zu lösen, um die Nanopartikel dorthin zu bekommen, wo sie im Körper hinsollen, und auch, um mögliche Risiken wie Toxizität zu verstehen und einschätzen zu können“, sagt Parak.
An seiner Arbeit in dem äußerlich schlicht-modernen Gebäude, das neben dem Reinraum noch 60 weitere Labore beherbergt, von denen einige elektromagnetisch abgeschirmt oder schwingungsisoliert sind, schätzt Parak besonders, dass sie sehr interdisziplinär ist. „Hier in Hamburg haben wir eine sehr gute Infrastruktur mit vielen Kooperationsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Disziplinen. In unserer Arbeitsgruppe sind das die Physik, Chemie und Aspekte von Biologie, Pharmazie und Medizin.“ Für die Arbeiten seiner Gruppe habe das CHyN den Vorteil, dass hier alle wichtige Infrastruktur vorhanden sei, wie die Zellkultur und die Mikroskope. Parak: „Zellen kann man nicht so einfach von einem in ein anderes Gebäude hin- und hertragen, da ist es wichtig, dass wir alles unter einem Dach haben. Für andere Untersuchungen, für die wir etwa Röntgenstrahlung benötigen, können wie Anlagen des DESY nutzen. Es gibt wenige Forschungsinfrastruktur, die wir gerne benutzen würden, die es nicht in der Science City gibt.“ Auch deshalb seien seitens der Physik schon fast alle Bereiche in der Science City angesiedelt. „Jetzt hoffen wir, dass auch die anderen Fachbereiche wie die Chemie möglichst schnell folgen, denn das wird unsere Kooperation noch einmal intensivieren“, ist sich Parak sicher.
SHELL – Telefonieren ist hier unmöglich

Auf der Suche nach Dunkler Materie muss es sehr ruhig sein – zumindest im Bereich zwischen einem und 100 Gigahertz (GHz, der Einheit, in der Wechselspannung oder elektromagnetische Wellenfrequenzen gemessen werden). Drei Meter dicker Beton und ein zusätzlicher Faradayscher Käfig in den Wänden der Shielded Experimental Hall (SHELL) schirmen daher die Experimente des Exzellenzclusters Quantum Universe auf dem Gelände der Science City Hamburg Bahrenfeld ab, indem sie die Leistung eines Signals in diesem Frequenzbereich um den Faktor 0,000000001 dämpfen. Damit machen die Schutzmaßnahmen Telefonanrufe oder Kurznachrichten in der Halle so gut wie unmöglich – Mobiltelefone senden im Bereich von vier bis fünf GHz.

Natürlich geht es nicht primär darum, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier nicht kommunizieren sollen. „Die Maßnahmen dienen dazu, gefälschte oder unerwünschte Signale in unserem Experiment zu vermeiden, das nach extrem schwacher dunkler Materie sucht, die Signale in diesem Frequenzbereich verursacht“, sagt Prof. Dr. Erika Garutti. Die Professorin für experimentelle Physik an der Universität Hamburg und Sprecherin des Exzellenzclusters Quantum Universe (QU) sucht mit ihrem Team nach neuartigen winzig kleinen Elementarteilchen, sogenannten Axionen, aus denen die dunkle Materie vermutlich besteht. Diese Suche erfolgt im Experiment MADMAX (Magnetized Disc and Mirror Axion Experiment) mithilfe eines dielektrisch verstärkten Haloskops.
Die 2019 eröffnete SHELL-Halle ist dafür extra umgebaut worden: Zuvor war der Bunker der Standort eines sogenannten Zyklotrons. Der Teilchenbeschleuniger war von 1969 bis 2008 in Betrieb – erst für kernphysikalische Arbeiten des Instituts für Experimentalphysik und ab Ende der 1980er-Jahre in der medizinischen Forschung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Hier arbeiten die Forscherinnen und Forscher des Exzellenzclusters QU nicht alleine: Neben dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) sind an MADMAX unter anderem auch universitäre Gruppen aus Spanien und Frankreich beteiligt.
„Der Enthusiasmus, die Leidenschaft und der Problemlösungsgeist von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt und mit so vielen unterschiedlichen Kompetenzen“ ist für Erika Garutti dann auch einer der entscheidenden Standortfaktoren der Science City Hamburg Bahrenfeld. „Für jede technische oder wissenschaftliche Frage kann man den richtigen Gesprächspartner finden, und jeder ist motiviert, Lösungen zu finden. Mit dieser Kraft kann man Berge versetzen... oder sogar das am besten versteckte dunkle Teilchen in unserem Universum finden“, ist sie sich sicher.
Gebäude 68 / Institut für Experimentalphysik – „Ein bisschen wie in ‚Charlie und die Schokoladenfabrik‘“

Unscheinbar steht er da. Ein zweigeschossiger Rotklinkerbau mit langen Fluren, von denen überwiegend Büros abgehen. „Im Schatten der imposanten Neubauten, die wir hier auf dem Gelände haben, fühlen wir uns mit dem Gebäude 68 ein bisschen wie dieses alte, halb verfallene Haus aus dem Film ‚Charlie und die Schokoladenfabrik‘, das ja auch inmitten einer modernen Umgebung steht“, sagt Prof. Dr. Gregor Kasieczka und lacht. Auch das ist die Science City Hamburg Bahrenfeld: Kein Standort mit Neubau an Neubau, sondern ein gewachsenes Gebiet, in dem man nicht jedem Haus gleich auf den ersten Blick die exzellente Wissenschaft ansieht, die in ihm steckt.
Das Gebäude 68 ist nur einer von mehreren Orten, an denen die mehr als 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Experimentalphysik der Universität Hamburg in der Science City arbeiten. Als Teil der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN) und des Fachbereichs Physik betreiben die Arbeitsgruppen aktuelle Forschung auf den Gebieten der Beschleuniger-, Astropartikel-, Neutrino-, Teilchen- und Detektorphysik sowie Physik mit Gravitationswellen und Photonen.

Die Gruppe Teilchenphysik und Detektorentwicklung, der Prof. Dr. Gregor Kasieczka angehört, untersucht die grundlegenden Bausteine der Materie, ihre Eigenschaften, Dynamik und Wechselwirkungen. „Die Forschung meiner Arbeitsgruppe umfasst die Entwicklung neuer Algorithmen für die Physikforschung auf der Grundlage von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz sowie deren Anwendung bei der Suche nach neuen physikalischen Phänomenen in der experimentellen Teilchenphysik“, so Kasieczka.
Konkret seien sie daran interessiert, wie man mit großen Beschleunigeranlagen wie am CERN bei Genf Hinweise über das Verhalten von Elementarteilchen erhalten kann. Dabei konkretisiert der Physiker eine Aussage: „Wenn gesagt wird: ‚Am CERN hat man etwas entdeckt‘, dann stimmt das dahingehend, dass die Geräte dort stehen – aber die 3000 Forschenden zu dem Thema sind über die ganze Welt verstreut. Ein Großteil Arbeit passiert also dezentral, wie etwa bei uns im Gebäude 68 in Bahrenfeld.“
Von der Ausstattung seines Büros her sei er nicht der klassische Experimentalphysiker, der die große Halle brauche. „Für mich sind Whiteboards und Kaffeemaschinen wichtiger. Und natürlich Computer, die aber in einem Rechenzentrum stehen“, sagt Kasieczka. Für die Teilchenphysikerinnen und -physiker sei die Science City eine ganz großartige Umgebung, weil nicht nur große Universitätsgruppen zu dem Thema vor Ort seien, sondern auch das Forschungszentrum DESY: „Da sich das DESY ursprünglich aus der Teilchenphysik der Uni Hamburg entwickelt hat, ist es uns ja insgesamt noch viel näher als anderen Teilen der Universität.“ Das sei als wissenschaftliches Umfeld einzigartig.
Für die Zukunft wünscht er sich, dass sich die Science City zu einem richtigen Stadtteil entwickelt: „Wir brauchen Kneipen, Cafés und noch mehr Menschen. Ich hoffe, wenn noch mehr Studierende auf den Campus kommen, dass sich hier dann auch noch mehr Leben ergibt. Für den Austausch – denn das ist für meine Arbeit noch wichtiger als die vorhandene Hardware.
Die Science City Hamburg Bahrenfeld
Direkt am Volkspark Altona gelegen, entsteht im Hamburger Westen auf 125 Hektar die Science City Hamburg Bahrenfeld. Bereits jetzt sind auf dem Forschungscampus neben der Universität Hamburg namhafte Einrichtungen wie das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY), die European X-Ray Free-Electron Laser GmbH, das Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie oder das European Molecular Biology Laboratory vertreten. Zudem sind zwei der vier Exzellenzcluster der Universität hier ansässig: „CUI: Advanced Imaging of Matter“ und „Quantum Universe“.
Und das Gebiet wächst weiter: Bis 2040 sollen Forschung, Ausbildung und Unternehmen durch lebendige Wohnquartiere, Sport-, Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten ergänzt werden. Ein Autobahndeckel über der A7 und die Verlegung der Hamburger Trabrennbahn sollen den Bau von rund 3.800 neuen Wohnungen und zwei Schulen ermöglichen.
Verantwortlich für die Entwicklung des Geländes ist die Science City Hamburg Bahrenfeld GmbH. Sie betreibt ein Infocenter, das neben Informationen für Besucherinnen und Besucher auch geführte Spaziergänge über das Gelände anbietet. Ohne Voranmeldung können interessierte Bürgerinnen und Bürger jeden Donnerstag um 18 Uhr an einem Rundgang teilnehmen. Die Führungen sind kostenlos; Startpunkt ist am Infocenter Science City, Albert-Einstein-Ring 8-10. Mehr Informationen finden sich auf der Homepage.
