UHH Newsletter

Juni 2014, Nr. 63

INTERVIEW

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Dennis Pauschinger schreibt momentan an seiner Doktorarbeit und forscht hinter den Kulissen der Fußball-WM in Brasilien. Foto: privat


Kontakt:

Dennis Pauschinger
Fachbereich Sozialwissenschaften

e. dennis.pauschinger-at-gmail.com

Zwischen Party und Protesten – Interview mit Dennis Pauschinger über die Fußball-WM in Brasilien

Nur noch wenige Stunden bis zur Fußballweltmeisterschaft in Brasilien. Während wir die Spiele nur vor dem Fernseher verfolgen können, ist Dennis Pauschinger ganz nah am Geschehen – in Rio de Janeiro. Pauschinger ist Stipendiat des Erasmus Mundus Promotionsprogramms „Doctorate in Cultural and Global Criminology (DCGC)“ und wird von den Kriminologie Instituten der Universitäten Hamburg und Kent betreut. In seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit den globalen und standardisierten Sicherheitsmodellen von sportlichen Mega-Events. Am Beispiel der WM in Brasilien untersucht er, wie sich diese Modelle auf die brasilianische innere Sicherheit auswirken. Wir wollten von ihm wissen, wie die aktuelle Stimmung so kurz vor der WM ist und wie er die Sicherheitsmaßnahmen für das Event einschätzt.

In letzter Zeit war in den Medien häufiger von schweren Ausschreitungen in Brasilien zu hören. Die Bevölkerung z.B. in Rio demonstrierte gegen soziale Missstände im Land wie Wohnungsnot oder das schlechte Bildungswesen, gegen die Umsiedlung der Menschen und das teilweise brutale Vorgehen der Polizei. Ihr Ärger richtete sich dabei vor allem gegen die hohen Kosten der Fußball-WM. Schlägt das auf die Stimmung vor Ort? Wie nehmen Sie das wahr?

Auch so kurz vor der WM spürt man schon sehr deutlich, dass die Stimmung in der Bevölkerung eher gedrückt ist. Ich war bei den Weltmeisterschaften 2006 und 2010 auch hier in Brasilien und schon Wochen vor dem Anpfiff wurden die Straßen geschmückt und alle waren voller Erwartungen.

Dieses Jahr ist das anders, noch sieht man nur vereinzelt Beschmückung. Die Menschen haben ein wenig die Lust auf die eigene WM verloren. Dabei sind sie aber nicht gegen den Fußball per se, sondern gegen die Art und Weise, wie die WM hier finanziert und organisiert wurde.

Die Regierung hatte 2007 versprochen, dass nur sehr wenige Steuergelder in die Baumaßnahmen für die WM fließen. Heute wird aber der Großteil aus Steuergeldern finanziert. Die Menschen in Brasilien zahlen allgemein sehr viele und hohe Steuern, sehen dafür aber keine wirklichen Verbesserungen in wichtigen Bereichen wie Bildung, Gesundheit, öffentliche Verkehrsmittel und Sicherheit.

Brasilien fürchtet Terroranschläge, aber auch gewalttätige Auseinandersetzungen in der Bevölkerung bedrohen die Sicherheit der WM. Nach offiziellen Angaben sollen die Kosten für die Sicherheitsmaßnahmen allein bei knapp 600 Millionen Euro liegen. Wofür genau sind die Gelder ausgegeben worden?

Es wurden hier spezielle Sicherheitszentren gebaut. Davon gibt es in jeder WM-Stadt eins und noch dazu eine Zentrale in Brasília. Hier arbeiten die Sicherheitsbehörden nun integriert zusammen, was ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist. Die Polizei hat zum Teil auch eine neue Ausrüstung erhalten. Für Rio de Janeiro, aber auch für die anderen Städte, wurden sehr detaillierte Sicherheitspläne vorgestellt.

Es werden in Rio um die 20.000 Beamte der verschiedenen Polizeieinheiten auf den Straßen Präsenz zeigen. Und man merkt auch, wie in einigen Vierteln mehr Polizei vorhanden ist.

Für mich gehört die Besetzung der Favelas (Armenviertel) durch die Friedenspolizeieinheiten ebenfalls zur Sicherheitsstrategie. Auch wenn die Regierung sich etwas ziert die Strategie der UPPs (Peace Keeping Units der Militärpolizei, Anm. d. Red.) mit auf das WM- und Olympia-Konto zu setzen, sind die Mega-Events ein Katalysator für diese Strategien.

Inwieweit schätzen Sie die einzelnen Sicherheitsmaßnahmen als effektiv ein?

Es ist sehr schwer, so etwas genau zu sagen. Die Integration der Sicherheitsbehörden ist sehr wichtig. Es bleibt aber abzuwarten, wie sich die verschiedenen Maßnahmen langfristig auf die Sicherheitslage in den WM-Städten auswirken werden.

Die UPP-Maßnahmen, also die Besetzung von Gebieten, die mit der Vertreibung des Drogenhandels einhergeht, hat sicher dazu geführt, den territorialen und bewaffneten Konflikt zwischen Polizei und Drogenhandel in einigen Gebieten erst einmal einzudämmen. Nun sollten die Sozialmaßnahmen folgen, um die Erfolge in manchen Gebieten zu konsolidieren. Das braucht Zeit. Die angekündigte Sozialpolitik, die mit dem Einzug der UPPs in die Favelas kommen sollte, muss sicherlich ausgebaut werden.

Sie haben es ja bereits angedeutet: Immer wieder hört man von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und kriminellen Banden oder von Drogenhandel. Brasilien soll zudem zu den Ländern mit der höchsten Mordrate weltweit gehören. Sie liegt bei 56.337 Toten pro Jahr, der höchste Wert seit 1980. Glauben Sie, dass die WM dazu beitragen kann, dass sich die Situation im Land nachhaltig verbessert?

Auch dies ist sehr schwierig zu beurteilen. Ich glaube aber eher nicht daran, dass ein Fußballturnier am Ende tatsächlich die Kriminalitätsrate eines Landes verändert und die tief verwurzelten Konflikte lösen kann. Vielleicht kann es einen kleinen Teil dazu beitragen, indem die angeschobenen Veränderungen in der Sicherheitspolitik weiter ausgebaut, geprüft und verändert werden, um auch langfristig etwas zu erreichen.

Kriminalität ist ein kulturelles Produkt. Und in Brasilien gibt es leider eine sehr lange Tradition der Banalisierung von Gewalt, eine regelrechte Kultur der Gewalt und Kriminalität. Dies spürt man in allen gesellschaftlichen Ebenen. Um dies zu ändern, braucht es einen kulturellen Wandel, der nicht von heute auf morgen passieren wird. Und auch eine WM hat nicht die Kraft, diesen Wandel zu schaffen.

Werden Sie für Ihre Forschung auch ins Stadion gehen? Und hat sich Ihr Blick auf den Sport durch Ihre Kenntnisse zu den Vorgängen hinter den Kulissen des Mega-Events geändert?

Für meine Forschung muss ich nicht ins Stadion. Stadionsicherheit ist auch sehr spannend, aber nicht mein Hauptfokus. Mich interessiert mehr, was außerhalb der Stadien passiert. Eigentlich schade, da ich natürlich Fußballfan bin.

Mein Verhältnis zum Fußball hat sich eigentlich schon vorher verändert. Ich habe ja zweieinhalb Jahre beim HSV gearbeitet und war dort Integrationsbeauftragter für die brasilianischen Spieler. Ich war hinter den Kulissen voll involviert. Schon damals habe ich schnell gemerkt, dass der Profisport heute weit mehr als nur ein Spiel ist. Durch meine Forschung und die Einblicke, die man jetzt bekommt, stellt man sich manchmal schon die Frage, welchen menschlichen Preis für so eine WM gezahlt wird und ob das gerechtfertigt ist.

Das Interview führte Luisa Tauschmann.
 

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