Interviews mit fünf Expertinnen und ExpertenCoronakrise: Wie sich die Arbeitswelt wandelt und wie eine klare Tagesstruktur hilft
31. März 2020, von Tim Schreiber
Foto: UHH/Wohlfahrt
Die Verbreitung des Coronavirus beeinflusst derzeit das Leben der Menschen in vielen Bereichen sehr stark. Ob Homeoffice, Fake News oder Lagerkoller: Fünf Expertinnen und Experten der Universität Hamburg geben Einschätzungen und Tipps aus ihren Fachgebieten.
Prof. Dr. Sighard Neckel, Soziologe und Professor für Gesellschaftsanalyse und sozialen Wandel, über die soziologischen Aspekte der CoronaKrise.
Trifft die derzeitige Krise alle Menschen in gleicher Weise?
Im Augenblick sieht man, dass dieser Ausnahmezustand die gesellschaftlichen Probleme, die wir ohnehin haben, nur noch deutlicher zum Vorschein bringt. Wer bereits in einem prekären Arbeitsverhältnis stand oder unter sehr beengten Verhältnissen wohnt, ist in einer ganz anderen Weise von der Coronakrise betroffen als etwa der verbeamtete Universitätsprofessor, der seine Forschung am heimischen Schreibtisch weiter betreiben kann. Je nach sozialer Lage, den persönlichen Lebensumständen, der familiären Lebensform und der Generation erleben wir diese Zeit unterschiedlich. Zwar machen wir uns gemeinsam Sorgen um unsere Gesundheit und die unserer Mitmenschen. Aber diejenigen unter uns, die jetzt die Versorgung und die Infrastrukturen aufrechterhalten, sind einer ganz außergewöhnlichen Belastung ausgesetzt,ebenso wie jene, die zu Hause unter Einsamkeit leiden oder Betreuungsstress aushalten müssen.
Und was bedeutet die aktuelle Lage für die Gesellschaft?
Unter normalen Umständen sind wir in der modernen mobilen Gesellschaft nicht auf bestimmte Räume festgelegt. Stattdessen nehmen wir in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen unterschiedliche Aufgaben wahr, in der Familie, im Beruf oder im Freundeskreis. Es ist gerade eine Errungenschaft der modernen Gesellschaft, zwischen verschiedenen Sphären wechseln zu können und sich dabei von unterschiedlichen Seiten zu zeigen. Diese Möglichkeit gibt es im Moment deutlich weniger, weil wir weitgehend auf die häusliche Umgebung festgelegt sind. Dies wird allerdings dadurch gemildert, dass wir heute soziale Kontakte auch ohne körperliche Präsenz herstellenkönnen, über das Telefon und vor allem das Internet. Krisen wie jetzt die Coronapandemie werden die Digitalisierung der Gesellschaft weiter vorantreiben, in der alltäglichen Kommunikation, im Berufsleben, aber auch zum Beispiel beim E-Learning an den Universitäten.
Wie wirkt sich das „social distancing“, also das Gebot des Abstandhaltens während der Coronakrise, auf die Menschen aus?
Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen, das den Austausch mit anderen braucht. Ein paar Tage mag man den Rückzug ganz gut aushalten können, indem man sich zum Beispiel um überfällige Dinge kümmert. Ich traue aber den erbaulichen Ratschlägen nicht, wie man sie häufiger gerade aus bildungsbürgerlichen Kreisen hört – dass man jetzt die Chance zur Entschleunigung habe, zur inneren Einkehr und zur Konzentration auf das wirklich Wichtige. Das ist schön gesagt, und jeder fügt das Virus halt in sein eigenes Weltbild ein. Wir sollten uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kontaktbeschränkungen und der Shutdown für viele mit existenziellen Sorgen und persönlichen Ängsten verbunden sind.
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Prof. Dr. Lars Schwabe, Professor für Kognitionspsychologie, über den – zurzeit sehr lästigen und unbewussten – Drang, sich ins Gesicht zu fassen
Derzeit wird aus hygienischen Gründen dazu geraten, anderen Menschen nicht die Hand zu schütteln und sich nicht in das Gesicht zu fassen. Warum fällt vor allem letzteres vielen Menschen so schwer?
Das Ins-Gesicht-Fassen ist eine sehr stark automatisierte und damit dem Bewusstsein nur schwer zugängliche Handlung. Hinzu kommt, dass das Ins-Gesicht-Fassen unterschiedliche Funktionen hat, unter anderem können wir damit unsere Emotionen regulieren. Genau das ist aber in so belastenden Zeiten wie der aktuellen Coronakrise besonders misslich. Denn der Stress, den viele durch die Krise erleben, kann dazu führen, dass solche emotionsregulierenden Handlungen eher noch häufiger werden.
Wie kann ich überhaupt Einfluss nehmen auf diese Handlungen?
Man kann sie mit einem gewissen Aufwand beeiflussen, auch wenn dies gerade bei unbewussten Handlungen sehr schwer ist. Es ist wichtig, sich die Handlung bewusst zu machen und sich dann vorzunehmen, daran etwas zu ändern. Gleichzeitig sollte man aufmerksam darauf achten, wann man das Verhalten ausführt. Hierbei hilft es, sich die Bedeutung der unerwünschten Handlung klarzumachen: Wenn ich weiß, dass der Griff in das Gesicht die Ansteckungsgefahr sehr stark erhöht, ist dieses Verhalten mit einer Alarmglocke verbunden, und das macht es leichter, das Bewusstsein dafür zu schärfen und somit Kontrolle über das Verhalten zu gewinnen.
Was gibt es noch für Tipps?
Es kann durchaus hilfreich sein, sich Strategien zurechtzulegen, wie man das Verhalten unterdrücken kann. Zum Beispiel indem man sagt, dass man die Hand doch in der Jacken- oder in der Hosentasche lässt oder etwa einen Stift in der Hand hält. Es gilt jedoch: Je stärker eine Gewohnheit etabliert ist, desto schwieriger ist es auch, daran etwas zu ändern. Es ist nicht möglich, einen Zeitraum zu nennen, den es braucht, um solche Gewohnheiten abzustellen. Denn das hängt nicht von der Zeit ab, sondern davon, wie häufig man eine Handlung ausführt. Wenn man nun merkt, dass man große Schwierigkeiten hat, etwas an diesem Verhalten zu ändern, dann hilft es immer noch, die Handlung weniger bedrohlich zu machen, indem man sich die Hände noch häufiger wäscht oder in Risikoräumen, wie etwa dem Supermarkt oder der Bahn, Handschuhe anzieht.
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Prof. Dr. Jetta Frost, Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisation und Unternehmensführung, über die Entwicklung der Arbeitswelt durch Homeoffice
Aktuell arbeiten viele Beschäftige auf der ganzen Welt von heute auf morgen nicht mehr im Büro, sondern von Zuhause aus. Wird diese Entwicklung die Arbeitswelt nachhaltig verändern?
Diese Situation wird die Arbeitswelt verändern, weil sie wie ein Turbo wirkt, was die Entwicklung von Arbeiten im Homeoffice betrifft. Gerade Deutschland hinkt hier noch anderen wirtschaftsstarken EU-Ländern hinterher und hat deshalb besonders viel Potenzial für mehr Homeoffice. Wir werden sicherlich in den nächsten Monaten viele verschiedene Varianten ausprobieren. Es gibt deutlich mehr Aufgabenzuschnitte, die sich für Homeoffice eignen, als sie bis dahin realisiert wurden. In einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird von rund 40 Prozent der Jobs gesprochen, für die Homeoffice möglich wäre. Aber nur in rund 12 Prozent der Fälle arbeiten derzeit angestellt Beschäftigte teilweise auch von zu Hause. Je höher die Qualifikation der Beschäftigten ist, umso leichter lässt sich ein Homeoffice einrichten, laut dieser Studie bis zu 75 Prozent.
Sind es auch die Hochqualifizierten, die gern im Homeoffice arbeiten möchten?
Die größte Nachfrage, Arbeitsanteile auch von zu Hause aus erledigen zu können, wird von Beschäftigten mit qualifizierten Vollzeitstellen geäußert. Das ist interessant, weil viele ja das Gefühl haben, der Wunsch nach Homeoffice kommt vor allem von teilzeitarbeitenden Menschen mit Familienverpflichtungen. Das Familienargument scheint aber nicht entscheidend zu sein. Von denen, die zu Hause arbeiten, sind auch sehr viele Singles. Es ist offenbar so, dass gerade Menschen, die in Vollzeit arbeiten, froh sind, wenn sie mal in Ruhe einen konzeptionellen Teil zu Hause bearbeiten können. Studien zeigen darüber hinaus, dass der Anteil von Angestellten mit Homeoffice-Anteil höher ist, je größer das Unternehmen ist, bei dem sie beschäftigt sind.
Viele Chefinnen und Chefs befürchten aber immer noch, dass zuhause weniger oder ineffizienter gearbeitet wird als im Büro. Ist diese Sorge berechtigt?
Nein, hier verwechseln die Vorgesetzten Präsenz mit Performance. Das ist untersucht worden: Im Durchschnitt arbeiten Menschen im Homeoffice sogar mehr Stunden als in der Firma. Außerdem führt die Arbeit zu Hause dazu, dass die Beschäftigten eigenständiger arbeiten und auch eine höhere Verantwortung für ihre Arbeitsergebnisse übernehmen. Das kann man sich ja auch gut vorstellen: Wenn man nicht im Büro ist, sondern zu Hause, muss man ja auch präsentieren,was man in der Zeit gemacht hat. Es reicht nicht zu sagen, dass man doch da war. Homeoffice ist also durchaus produktiv – und das ist vielen Führungskräften mittlerweile auch klar.
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Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw, Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, über Fake News und woran man sie erkennen kann
In einem Kettenbrief in den sozialen Medien wurde auch die Universität Hamburg gerade als Quelle für eine Falschmeldung benutzt. Haben Fake News in Zeiten der Coronakrise Konjunktur?
Ja, wir haben eine Explosion des Angebots und der Nachfrage. Die Menschen sind gerade verunsichert, sie wollen sich informieren, und sie sind es heute jaa uch gewohnt, dass sie 24 Stunden am Tag neue Informationen bekommen. Dabei kann es sein, dass sie in einen Sog geraten, und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie Informationen finden, die deswegen neu sind, weil sie eben Falschinformationen sind. Das Angebot ist so groß, weil es in Chatgruppen unds ozialen Netzwerken sehr leicht ist, Falschnachrichten zu verbreiten. Außerdem ist es für viele Menschen schwer auseinanderzuhalten, was seriös ist und was nicht. Zumal viele gerade auch sehr emotional sind und dadurch weniger kritisch bei der Frage, was sie verbreiten und was nicht.
Welche Plattformen sind besonders anfällig?
Stark betroffen ist Facebook und am stärksten tatsächlich WhatsApp. Dort tauschen sich Familien, aber auch Sportvereine oder Eltern von Schülerinnen und Schülern innerhalb von kleineren, sich überschneidenden Gruppen aus. Man kennt sich also untereinander persönlich, man tauscht informelle, kurze Nachrichten zu ganz unterschiedlichen Themen aus, man klatscht und tratscht. Und man vertraut einander. Das ist eine emotionale und instinktive Reaktion: Wir gewähren Familien, Freunden und Bekannten einen Vertrauensvorsprung, auch wenn dieser in dem Moment gar nicht angemessen ist. Denn natürlich sind das nicht alles Experten zum Beispiel für Gesundheitsfragen. Trotzdem übertragen wir das vorhandene Vertrauen auch auf diese Bereiche und halten ihre Informationen mitunter für glaubwürdiger als die der Experten. In meiner Forschung zu sozialen Netzwerken zeigt sich, dass Menschen Nachrichten, die ihnen von nahestehenden Personen empfohlen werden, eher auswählen und mit anderen teilen.
Wie erkennt man am besten Fake News?
In der Regel gilt: Wenn nur ein einziges Medium eine bestimmte Neuigkeit berichtet, sollte man skeptisch sein. Wenn man zum Beispiel von sehr einschneidenden Neuigkeiten liest, wie von einer plötzlichen Supermarktschließung oder einem vermeintlichen Mittel gegen das Virus, und das stammt nur von einer Quelle oder auch von einem Freund oder dessen Bekannten, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es sich um eine Falschinformation handelt. Und man sollte selbstverständlich auf die Quelle achten, seriöse Quellen sind offizielle Behörden oder qualitativ hochwertige Nachrichtenmedien. Ich würde den Menschen grundsätzlich dazu raten, etablierten Medien zu vertrauen, bei denen professionelle Journalisten arbeiten, die es gewohnt sind zu recherchieren und genau hinschauen, ob eine Meldung seriös ist oder nicht – diese machen zwar auch mal Fehler, aber gehen inzwischen damit in der Regel offen und transparent um. Misstrauisch sollte man bei Medien sein, die skandalisierende oder dramatisierende Überschriften nutzen und die so tun, als hätten nur sie exklusiv eine bahnbrechende Neuigkeit. Insbesondere beim Teilen von Inhalten in sozialen Netzwerken sollte man sich wirklich bewusst machen, dass man eine Verantwortung gegenüber seinem Bekanntenkreis hat, und möglichst nicht dazu beiträgt, dass sich dort Falschmeldungen verbreiten. Grundsätzlich gilt: Bitte nichts teilen, bei dem keine seriöse Quelle dahintersteht.
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Dipl. Psych. Valeska Hug, Klinischen Psychologie und Psychotherapie, über Lagerkoller und wie man ihn verhindern kann
Welche Gefahren bestehen für ohnehin schon einsame Menschen während der derzeitigen Kontaktbeschränkung?
Professionelle Hilfsangebote und Gruppenaktivitäten, die einsamen Menschen bisher sozialen Austausch garantiert haben, fehlen oder sind reduziert. Das kann dazu führen, dass sich Ängste und depressive Symptome wie auch Schlafstörungen oder Süchte entwickeln und verstärken. Entscheidend sind für Betroffene Strategien, um mit der Einsamkeit umzugehen, zum Beispiel die Fähigkeit, positive Aktivitäten in den Tag einzubauen, den Mut zu entwickeln, selbst aktiv Menschen oder die Seelsorge telefonisch oder digital zu kontaktieren. Man kann allein sein und sich trotzdem mit anderen Menschen verbunden fühlen. Räumliche Distanzierung bedeutet nicht, sich auch emotional von anderen zu entfernen. Auch ein kurzer Plausch mit dem Nachbarn, natürlich mit entsprechendem Abstand, kann viel ausmachen.
Was sind die Herausforderungen für Familien auf engem Raum und was hilft?
Durch die engen räumlichen Verhältnisse kann ein Dichtestress oder ein Lagerkoller entstehen. Kinder spüren die Verunsicherung und sind anhänglicher als sonst oder reagieren wütend, weil ihnen Bewegung, Freunde oder das Hobby fehlen. Hinzu kommen möglicherweise Zukunftssorgen der Eltern oder die Intensivierung von Konflikten, die schon länger bestehen. Zudem müssen viele Eltern neben dem Homeoffice Kinder betreuen, den Haushalt jonglieren und auf eigene Bedürfnisse verzichten. Aus China wissen wir, dass Fälle häuslicher Gewalt ansteigen. Deshalb weist die Bundesregierung darauf hin, dass man, selbst bei einer Ausgangssperre, in akuter Not oder um Hilfe zu holen die Wohnung immer verlassen darf. Auch die Frauenhäuser bleiben geöffnet. Mein Rat lautet ganz allgemein, in dieser Zeit keine essenziellen Entscheidungen wie zum Beispiel eine Trennung zu treffen. Um Stress und Konflikte zu vermeiden, ist es wichtig, nach Möglichkeit klare Zeit für sich alleine zu schaffen, sich aber auch ganz bewusst Zeit für gemeinsame Aktivitäten zu nehmen. Sprechen Sie Ärger an, bevor eine Situation eskaliert, und seien Sie nachsichtig mit sich und den anderen. Gut sind tägliche Familienkonferenzen: Wie geht es jedem, was gibt es für Wünsche und Ideen? Und dann bespricht man gemeinsam, welche Ziele am heutigen Tag realistisch sind und welche verschoben werden müssen.
Welche Ratschläge haben Sie für Menschen, die durch die Kontaktbeschränkung stark belastet sind?
Ich empfehle eine gezielte Auswahl an Medien zu konsumieren und sich dabei zeitlich bewusst zu beschränken. Eine klare Tagesstruktur ist hilfreich. Achten Sie aufgesunde Ernährung, gehen Sie einmal pro Tag an die frische Luft und bewegen Sie sich, eventuell auch über Online-Sportangebote. Nehmen Sie sich Zeit für gezielte Entspannungsübungen oder ein neues Projekt. Pflegen Sie weiter soziale Kontakte, ob per Videotelefonie oder per Brief. Geben Sie Ihren Gefühlen Raum, schreiben Sie diese auf, musizieren Sie, meditieren Sie, sprechen Sie darüber. Auch schwarzer Humor ist nachweislich eine hilfreiche Strategie, um Anspannung zu reduzieren und sich mit anderen Menschen zu verbinden. Richten Sie den Fokus auf die Zeit nach der Krise, schmieden Sie Pläne und halten Sie fest, was Sie gerade über sich und Ihre Bedürfnisse lernen.
So eine Krise ist immer auch eine Chance. Stellen Sie sich den Duft des nächsten Grillfestes vor: den Geschmack des Kartoffelsalats, die Erleichterung, die Freude über die Gemeinschaft und die dann wiedergewonnene Freiheit. Diese Art von Suggestion wirkt tatsächlich stimmungsaufhellend.