Wie angemessen ist die Angst vor dem Coronavirus?Eine Psychologin erklärt, warum die Gefahr so groß wirkt
20. März 2020, von Christina Krätzig
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Angst ist nicht nur völlig normal, sie schützt den Menschen auch vor Gefahren und ist deshalb sinnvoll. Doch eine Bedrohung, die neu und in den Medien allgegenwärtig ist, wird leicht überschätzt, erklärt die Psychologieprofessorin Tania Lincoln im Gespräch.
„Menschen neigen in unterschiedlich starkem Ausmaß zu Ängstlichkeit“, sagt die Dekanin der Fakultät Psychologie und Bewegungswissenschaft an der Universität Hamburg, Prof. Dr. Tania Lincoln. Im Fall des Coronavirus seien das eine Extrem diejenigen, die Gefahren bagatellisierten und so möglicherweise zur Ausbreitung des Virus beitrügen. Das andere Extrem, so die Wissenschaftlerin, seien die Überängstlichen, die sich unnötig stressten.
Auch können sie zum Problem für andere werden, etwa wenn sie Desinfektionsmittel und Schutzmasken hamstern oder Arztpraxen und Notaufnahmen ohne ausreichende Gründe aufsuchen. Außerdem belastet zu viel Angst auch das eigene Immunsystem. „Der gesunde Weg liegt daher dazwischen und ist ein vernünftiges Maß an gebotener Vorsicht“, rät Prof. Lincoln. Für diese Vorsicht böten die Vorschläge der Fachleute und die Vorgaben der Behörden eine gute Orientierung: „Wenn wir diese berücksichtigen, wird nicht nur die Ausbreitung eingegrenzt, sondern wir schützen auch die Risikogruppen, für die das Virus eine besondere Gefährdung mit sich bringt.“
Die akute Situation verunsichert
Wie jedoch entstehen irrationale Ängste? Ein typischer Fehler sei es, so Lincoln, dass Menschen die Häufigkeit einer Gefahr stark überschätzten, wenn sie akut mit dieser konfrontiert würden: „Wenn wir neue Infektionszahlen und Todesfälle im Halbstundentakt verfolgen, führt dies zu dem Eindruck, dass das Virus allgegenwärtig ist und dass die Wahrscheinlichkeit, es zu bekommen oder sogar daran zu sterben, hoch ist. Würde uns jeder Krebstod berichtet werden, würde dies die Angst vor Krebserkrankungen auch massiv steigern.“
Um z. B. die Größenordnung der Todesfälle durch eine Infektion mit SARS-CoV-2 einzuschätzen, könne es hilfreich sein, die gemeldeten Zahlen mit anderen Zahlen zu vergleichen – beispielsweise mit der Zahl der Gesamttodesfälle im selben Land oder mit der Zahl der Todesfälle aufgrund von Atemwegsinfektionen im selben Zeitraum.
Auch die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit schürt Ängste
Ein anderer Aspekt sei, dass es sich bei dem Coronavirus um etwas Neues handelt. „Die wenigsten von uns haben bisher selbst direkt erlebt, wie stark es jemanden beeinträchtigt oder dass sich jemand davon auch wieder erholt. Das ist z. B. bei der Grippe anders, obwohl diese auch sehr gefährlich sein kann“, erklärt die Psychologin den Effekt, dass viele Menschen vor dem Coronavirus deutlich mehr Angst haben als vor der ebenfalls potenziell tödlichen, sich Jahr für Jahr ausbreitenden Grippe.
„Und schließlich erinnern uns das Virus und seine potenziellen Folgen daran, dass wir sterblich sind“, fügt Lincoln hinzu. „Da wir in unserer Gesellschaft das Thema Tod gern verdrängen, löst die Erinnerung an den Tod bei vielen Menschen erst einmal starkes Unbehagen oder Angst aus, wenn sie plötzlich damit konfrontiert werden.“
Beim Anlegen von Vorräten auf ein vernünftiges Maß achten
Dass Menschen sich für etwa zehn Tage im Voraus mit Lebensmitteln versorgen, hält die Psychologin nicht grundsätzlich für alarmistisch – schließlich würde dies vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe grundsätzlich empfohlen und es sei auch sinnvoll, gerade jetzt nicht für jeden Einzelartikel einkaufen zu gehen.
Zudem könne man aus psychologischer Sicht mutmaßen, dass Vorratskäufe den Menschen – ebenso wie häufiges Händewaschen oder Desinfizieren – ein Gefühl von Kontrolle gäben, welches das Gefühl von Angst und Unsicherheit abmildere. Dass Menschen richtiggehend hamstern, könne auch durch negative Vorbilder ausgelöst werden. „Menschen lernen sehr gut am Modell. Das kann man bei Kindern am besten beobachten, es gilt aber auch für Erwachsene. Wenn wir beobachten, dass die meisten Menschen im Land trotz der Meldungen zur Ausbreitung von Covid-19 ruhig bleiben, werden wir eher besonnen reagieren. Bekommen wir jedoch laufend Bilder von leeren Regalen präsentiert, regt das zur Nachahmung an. So ein Verhalten löse außerdem die Angst aus, selbst zu kurz zu kommen. Dadurch kann es sich durchaus aufschaukeln“, erklärt die Psychologin. Leere Regale seien vermeidbar, wenn alle besonnen reagierten und die Konsequenzen ihres Verhaltens für andere nicht aus dem Blick verlören.