QuantenbiologieZwei Millionen Euro für Forschung zur Orientierung von Zugvögeln
12. November 2025, von Claudia Sewig

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Eine wichtige, noch ungelöste Frage der Quantenbiologie ist der Mechanismus der biomagnetischen Wahrnehmung, den ziehende Tiere zur Navigation nutzen. Ein Forscherteam um Prof. Dr. Michael Thorwart von der Universität Hamburg vermutet, dass das Retinal-Molekül in den Augen von ziehenden Vögeln und Insekten eine Schlüsselrolle bei diesem Prozess spielt. Die Überprüfung der These wird von der VolkswagenStiftung mit insgesamt zwei Millionen Euro gefördert.
Orientieren sich Zugvögel am Nordstern? Dass sich ziehende Tiere an optischen Gegebenheiten für ihren Zug orientieren, auch an Landmarken wie Flüssen oder Bergketten, ist bekannt. Doch wie ist es dann zu erklären, dass sie auch bei völliger Finsternis oder Wolkenbedeckung ihren Weg finden? Die Wahrnehmung des Erdmagnetfeldes könnte die Lösung sein. Prof. Dr. Michael Thorwart und vier weitere Forscher vom European XFEL in Schenefeld, der University of Haifa, der Hebrew University of Jerusalem und der TU Dortmund möchten einen neuartigen, quantenbiologischen Mechanismus untersuchen, der erklären könnte, wie Vögel und Insekten das Erdmagnetfeld zur Navigation nutzen.
„Konkret konzentrieren wir uns auf das sogenannte Retinal-Molekül“, sagt Thorwart, Arbeitsgruppenleiter im I. Institut für Theoretische Physik der Universität Hamburg. Das Protein sitzt in den Augen, in der Retina oder auch Netzhaut, also der lichtempfindlichen Schicht, die Licht in Nervenimpulse umwandelt und an das Gehirn weiterleitet. Das Retinal-Molekül besäßen alle Lebewesen, die sehen könnten, und es gebe vier Varianten von diesem Protein, sagt Thorwart: „In unseren Augen gibt es drei der vier Varianten. Weil uns die vierte Variante fehlt, können wir Menschen nicht im ultravioletten Bereich sehen. Die vierte Variante des Proteins kommt bei ziehenden Organismen vor – Zugvögeln zum Beispiel oder auch den Monarchfaltern. Alle nicht ziehenden Lebewesen haben diese Variante nicht.“ Damit läge die Vermutung nah, dass die vierte Variante auch für die Wahrnehmung des Erdmagnetfeldes eine Rolle spiele, wenn das Molekül UV-Licht ausgesetzt werde. „Besondere elektronische Zustände dieser Retinal-Variante könnten nun prinzipiell an das schwache Erdmagnetfeld ankoppeln und über die sogenannte quantenmechanische geometrische Phase magnetische Information in chemische Information umwandeln“, so Thorwart.
„Ein Vogel würde dort, wo Norden ist, einen hellen Punkt sehen“
Eine Herausforderung, der sich das Forscherteam ausgesetzt sieht: Die Retinazellen sind Stäbchenzellen, dadurch sei bereits eine räumliche Achse vorgegeben. Thorwart: „Die Proteine, die wir untersuchen wollen, sind senkrecht zur Achse angeordnet, also orientiert. Wenn man das Protein jedoch künstlich für unsere Untersuchungen herstellt und in eine Lösung gibt, ist es nicht mehr orientiert. Wir müssen es also schaffen, orientierte Proben herzustellen und an diesen zu messen.“
Das Team untersucht damit den Anfang der Wahrnehmungskette, rein auf molekularer Ebene, ohne dabei an lebenden Tieren zu arbeiten. Was stände ihrer Theorie zufolge am Ende der Kette, das heißt, wie würden die ziehenden Organismen das Magnetfeld ihrer Meinung nach wahrnehmen? „Ein Vogel würde dort, wo Norden ist, einen hellen Punkt sehen, wie einen Fixstern“, sagt Thorwart. „Die Magnetfeldlinien verändern den Zustand des Proteins so, dass dort, in diese Richtung, eine maximale Ausbeute der chemischen Reaktion stattfindet. Die Retinalzellen, die in diese Richtung schauen, produzieren damit ganz oft das Signal ‚Hell‘. Das wäre in etwa so, als ob bei uns Photonen aus einer Lichtquelle auf unser Auge treffen. Nur dass hier die Magnetfeldrichtung den Impuls auslöst.“
Die Förderung des Projektes „Quantum geometric phase for animal magnetic perception“ startet zum 1. April 2026 und läuft über fünf Jahre. Prof. Dr. Michael Thorwart spricht für den Verbund der fünf Projektbeteiligten; 432.300 Euro der Förderung gehen für seinen Forschungsanteil nach Hamburg. Mit dem Förderangebot „NEXT – Quantum Biology“ möchte die VolkswagenStiftung dazu beitragen, die Existenz von Quanteneffekten in biologischen Systemen nachzuweisen und damit dem Forschungsfeld zu mehr Akzeptanz verhelfen. Gefördert werden interdisziplinäre Projektteams, die sich der Herausforderung annehmen, die Grenzen bisheriger Ansätze zu überwinden. Mehr Informationen dazu finden sich auf den Seiten der VolkswagenStiftung.
Weitere Projektförderung für die Universität Hamburg
Mit dem Projekt „Electrostatic modulation of Local Environments and Charge Transfer in Active Sites (ELECTRA)“ wird von der VolkswagenStiftung ein weiteres Projekt mit Beteiligung der Universität Hamburg im Rahmen des Förderangebots „NEXT – Quantum Biology“ finanziert. 319.000 Euro fließen hierfür an Prof. Dr. Arwen Pearson vom Institut für Nanostruktur- und Festkörperphysik. In dem Projekt sollen neue Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie Enzyme elektrische Felder zur Steuerung ihrer chemischen Reaktionen nutzen. Dazu möchten die Forschenden subatomare Röntgenkristallographie und quantenchemische Simulationen kombinieren. Diese neue methodische Kombination soll es ermöglichen, nicht nur die Struktur der Enzyme zu betrachten, sondern auch die Verteilung der elektrischen Ladungen innerhalb der Enzyme während der Reaktion genau zu bestimmen. Das Projektteam erwartet, dass die Ergebnisse wichtige Fortschritte im Verständnis enzymatischer Reaktionen liefern und deren Entwicklung und Anwendung in der Chemie und Medizin ermöglichen.

