Handschriften durch Digitalisierung rettenForschungsprojekt zum Erhalt südostasiatischer Manuskripte
17. Mai 2018, von Ellen Schonter
Mehr als 1.000 Sprachen gibt es in Südostasien, rund 400 von ihnen haben eine Manuskript-Kultur. Diese alten Schriften zu bewahren, zu katalogisieren und zentral zugänglich zu machen ist das Ziel des Forschungsprojektes „Digital Repository of Endangered and Affected Manuscripts in Southeast Asia“. Ein Interview mit Prof. Dr. Jan van der Putten, Professor für Austronesistik an der Universität Hamburg, über die Schwierigkeiten der Rettung bedrohter Manuskripte aus Südostasien .
Herr Prof. van der Putten, Sie und Ihr Team sind seit diesem Jahr in ganz Indonesien unterwegs, um alte Manuskripte zu digitalisieren. Wie läuft das vor Ort ab?
Zuerst einmal müssen wir die Manuskripte überhaupt finden. Sie liegen ja nicht geordnet in Museen – sie sind bei den Stämmen vor Ort, bei Privatpersonen oder in Hinterzimmern von Museen verstreut. Daher müssen wir zu den Menschen gehen und um Zugang zu ihren Schriften bitten.
Dafür werden spezielle Teams losgeschickt: Ein wissenschaftlicher Spezialist, der die Sprache und Kultur des Gebiets kennt und die Manuskripte bestenfalls gleich einordnen kann, sowie ein Einheimischer, der die Bedingungen vor Ort kennt und die dortigen Dialekte spricht, werden begleitet von einem Fotografen, der die Bilder digitalisiert, und zwei Helfern, die transportieren, organisieren und die Metadaten der Handschriften notieren, also zum Beispiel Ort und Zeit.
Welche Herausforderungen erwarten Sie vor Ort?
Zum einen die Menge an Schriften. Wir gehen momentan von 4.000 bis 5.000 Manuskripten aus, die wir digitalisieren werden – aber im Grunde ist das nur eine Schätzung. Bei der Vielzahl an Kulturen können es auch leicht mehr werden. Dabei wissen wir auch nicht, in welchem Zustand wir die Handschriften vorfinden werden. Es kann zum Bespiel feucht und schmutzig sein, dann müssen wir die Schriften vor dem Fotografieren erst aufwändig säubern.
Ein Problem ist auch, dass in Südostasien mittlerweile ein Markt für solche Handschriften besteht. In einer Woche kann die Sammlung noch bei einem Händler liegen, in der nächsten Wochen verkauft sein. Oder die Händler verlangen horrende Preise von mehr als 10.000 Euro für eine Handschriftensammlung.
Und nicht zuletzt haben einige Manuskripte eine magische Bedeutung für bestimmte Volksgruppen. Man kann zum Beispiel nicht einfach zum Stamm der Batak gehen und nach einem Manuskript fragen. Daher haben wir auch immer einen Einheimischen im Team, der den Kontakt anbahnt. Es kann zum Beispiel sein, dass es vor Ort heißt: Wir müssen das Manuskript erst neutralisieren, bevor ihr es lesen dürft – durch einen Spruch oder ein Ritual, zum Beispiel das Schlachten eines Huhns.
Was erhoffen Sie sich von der Datenbank?
Wir möchten mit der Digitalisierung die Handschriften frei zugänglich machen. Die Dokumente sollen von allen gelesen, erforscht und benutzt werden können. Kultur kann man nicht erhalten, indem man sie in ein Museum verfrachtet, sie muss lebendig sein. Wir hoffen, erste Manuskripte schon im Mai oder Juni 2018 hochladen zu können.
Um was für Manuskripte handelt es sich?
Es sind Handschriften aus ganz Südostasien. Als Hintergrund muss man wissen, dass es dort eine unglaubliche Vielfalt an Kulturen gibt: Allein das südostasiatische Festland hat rund 200 bis 300 Sprachen, die Inseln noch einmal etwa 700. Ungefähr 40 dieser 1.000 Sprachen haben eine lebendige Manuskriptkultur, das heißt, dass Handschriften eine besondere, zum Beispiel kulturelle Bedeutung haben und zum Teil noch gelesen und kopiert werden.
Die Manuskripte sind meistens esoterische Schriften, also eine Mischung aus Religion und Magie; das können Gebete, Zaubersprüche oder auch Talismane sein. Für einige Stämme wie die Batak auf Sumatra spielte auch Krieg eine sehr große Rolle, daher enthalten manche ihrer Schriften Tipps, an welchem Tag man am besten den Feind angreift.
Warum sind die Manuskripte bedroht?
Die Manuskripte sind zum einen physisch gefährdet, denn Südostasien ist eine tropische Region. Die Manuskripte sind meist aus Holzrinde, Palmblatt oder Papier, weshalb Feuchtigkeit, Schimmel, Ratten oder Ungeziefer die Manuskripte gefährden.
Zum anderen sind die Manuskripte auch kulturell bedroht: Wie schon erwähnt, ist Südostasien geprägt von einer großen Vielfalt an Kulturen. Unter dem Druck durch staatlichen Nationalismus oder im Zuge der Modernisierung verschwinden in einigen Staaten viele dieser kleinen Kulturen – und damit auch ihre Handschriften.
Wieso wurden die Manuskripte nicht schon bisher erforscht oder gesichert?
In Europa haben alte Handschriften einen bestimmten historischen Wert, so dass sie in Museen oder Bibliotheken aufbewahrt werden. In Südostasien wird die Handschrift als Teil der Kultur gelebt – in den Augen der Menschen vor Ort sind die Manuskripte also keine Museumsstücke.
Das hängt aber auch mit den sozialen Umständen zusammen: Viele Menschen in Thailand, Vietnam oder Indonesien können gerade so überleben. Ihre Priorität ist es, Geld zu verdienen und Essen zu besorgen. Kultur braucht Wohlstand; dieser entwickelt sich nun langsam – und damit bildet sich auch langsam ein Bewusstsein für die Erhaltung der eigenen Kultur. Damit einher geht nun ein neues Interesse an alten Handschriften, weil man die Religion nun als Teil der eigenen Identität anerkennt, die es zu kultivieren gilt.
Das heißt, ihr Projekt leistet Pionierarbeit?
Ja, es ist das erste Mal, dass wir proaktiv auf die Menschen zugehen, um ihre Handschriften zu sichern. Außerdem ist das Besondere, dass wir ganz Südostasien abdecken: In der bisherigen Forschung wurden das Festland und die Inseln oft getrennt betrachtet. Wir wollen aber die Dokumente in eine gemeinsame Datenbank zusammenbringen – denn so können wir Zusammenhänge herausfinden, die zuvor nicht ersichtlich waren.
DREAMSEA – Digital Repositery of Endangered and Affected Manuscripts in Southeast Asia
Das Projekt „Digital Repository of Endangered and Affected Manuscripts in Southeast Asia“ ist am Forschungsschwerpunkt Manuskriptkulturen der Universität Hamburg angesiedelt und wird über fünf Jahre mit insgesamt 1.890.000 Euro von der Stiftung ARCADIA gefördert. Für das Projekt arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Hamburg unter der Leitung von Prof. von der Putten und Prof. Dr. Volker Grabowsky unter anderem mit dem Hill Museum & Manuscript Library in Collegeville (Minnesota/USA). Zudem besteht eine enge Kooperation mit Prof. Dr. Oman Fathurahman von der Syarif Hidayatullah State Islamic University Jakarta. In Jakarta wird eine „Field Station“ eingerichtet, die das ganze Programm koordiniert.