Willkommen an Bord„Da werden existentielle Auseinandersetzungen um Demokratie geführt“Prof. Dr. Nina Mackert verstärkt die Geisteswissenschaften
7. November 2025, von Mackert/Red.

Foto: UHH/Yzer
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Historikerin Prof. Dr. Nina Mackert
Prof. Dr. Nina Mackert ist zum Wintersemester 25/26 von der Universität Leipzig nach Hamburg gekommen und hat an der Fakultät für Geisteswissenschaften eine Professur für Nordamerikanische Geschichte und Public History angetreten.
Mein Forschungsgebiet in drei Sätzen:
Ich forsche zur Wissens- und Körpergeschichte der USA im 19. und 20. Jahrhundert in ihren transatlantischen und globalen Zusammenhängen. Mich interessiert die Produktivität von Wissen für moderne Gesellschaften; ich frage also danach, wie Wissen entsteht, „wahr“ wird, zirkuliert und welche Bedeutung es für gesellschaftliche Ordnungen, Machtverhältnisse und Ungleichheiten entfaltet. Insbesondere beschäftige ich mich dabei mit der Geschichte von Gesundheit, Ernährung und Umwelt – und der Art und Weise, wie diese Geschichte erzählt wird.
Und so erkläre ich meiner Familie, worum es da geht:
Mit meinen Kindern, die 5 und 8 Jahre alt sind, spreche ich im Alltag oft darüber, wie unterschiedlich Menschen früher über Gesundheit und Essen nachgedacht und ihre und andere Körper verstanden und behandelt haben. Meine Mutter, Geschwister und Schwiegereltern haben über viele Jahre eng mein Habilitationsprojekt verfolgt – eine Geschichte der Kalorie in den USA. Ich habe untersucht, wie das Kalorienzählen eingeführt wurde und welche Konsequenzen das hatte. Mit dem Kalorienzählen etablierte sich beispielsweise die Überzeugung, dass sich Körperform und -gewicht mit Hilfe von Ernährungswissen individuell steuern ließen, und das war eine zentrale Bedingung für die Entstehung heutiger Schlankheitsnormen – die ja mit enormen gesellschaftlichen Ausschlüssen einhergehen.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Hamburg ist mein Zuhause! Ich habe hier studiert – Geschichte, Gender/Queer Studies und Politikwissenschaft – und fast zwanzig Jahre gelebt, bevor ich für eine Postdoc-Stelle nach Leipzig gegangen bin. Es ist total schön, jetzt zurück zu sein – auch gerade im Philturm, da fühle ich mich in die Studizeit zurückversetzt (mit dem großen Unterschied, dass damals noch im Foyer geraucht werden durfte). Ich freue mich sehr auf die vielfältigen Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen am Fachbereich Geschichte in ihrer fachlichen Breite und auch auf neue Chancen interdisziplinärer Forschung und Lehre auf Fakultäts- und Uniebene – gerade im Feld von Umwelt und Gesundheit.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg:
Pünktlich zum Start in Hamburg starte ich auch mein Wissenschaftliches Netzwerk (DFG) „Planetary Health: Planetary Thinking in the Social Sciences and Humanities“. Hier geht es um die Herausforderungen des „planetary turn“ für die Geistes- und Sozialwissenschaften – und um neue Zugriffe auf einen Themenbereich, der in der Öffentlichkeit fast exklusiv als Domäne der Naturwissenschaften begriffen wird. Mit Planetarer Gesundheit möchte ich mich auch in anderen Verbundprojekten an der UHH beschäftigen, die derzeit oder in Zukunft in Planung sind. Außerdem plane ich ein Projekt zu Food Security, mit Kolleg*innen aus Hamburg, Leipzig, Amsterdam und München. Ernährung, Gesundheit und Umwelt sind Themen, die sich super für verschiedenste Transferformate eignen: ob „Wir wollen’s wissen!“ (da bin ich im kommenden Jahr dabei) oder auch Public History Projekte – und nicht zuletzt natürlich die Lehre.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
Für mich bedeutet Geschichtsstudium wesentlich, Neugier zu kultivieren und Studierende dazu zu befähigen, sich eigenständig neue Themen zu erschließen und die Vielfalt historischer Perspektiven wissenschaftlich-kritisch zu reflektieren. Daher lege ich besonderen Wert auf die Arbeit mit Quellen. In meiner Lehre kombiniere ich eine zeitgemäße Methodenausbildung mit Orientierungswissen sowie mit Themen, die forschungsnah und zugleich für gegenwärtige Debatten relevant sind. Im kommenden Semester biete ich zum Beispiel neben einer Vorlesung zur Geschichte der USA im 19. Jahrhundert u. a. ein Hauptseminar zur Geschichte des „racial capitalism“ und eine Übung zur Public History von Gesundheit und Ernährung an.
Blick in die weite Welt: mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen:
Ich habe über die Jahre vielfältige Kontakte zu Historiker*innen in den USA aufgebaut, die zu pflegen gerade umso wichtiger geworden ist. Insbesondere mit Kolleg*innen an der Temple University in Philadelphia, der American University in Washington, DC und der UC Davis möchte ich in den kommenden Jahren gemeinsame Lehrprojekte zur Geschichte von „Lifestyle Diseases“ und Umweltgesundheit durchführen. Mit Caroline Meier zu Biesen, die am transdisziplinären Athena Institute der Vrije Universiteit Amsterdam zu Globaler und Planetarer Gesundheit forscht, habe ich das o. g. Netzwerk zusammen beantragt und ich freue mich darauf, in den kommenden Jahren mit Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Unis in Europa, den USA und Südafrika zusammenzuarbeiten und neue Projekte aufzugleisen.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig:
Ein kurzer Blick in die Zeitung genügt derzeit, um zu sehen, wie wichtig es ist, nordamerikanische Geschichte zu erforschen und gerade auch deren öffentliches Erzählen kritisch unter die Lupe zu nehmen – da werden existentielle Auseinandersetzungen um Demokratie geführt. Und auch für gegenwärtige Debatten um die Klimakatastrophe ist die Frage nach der Verbindung von (Gesundheits- und Umwelt-)Wissen und gesellschaftlichen Ordnungen zentral. Sie ergänzt die naturwissenschaftlichen um dringend notwendige geschichts- und geisteswissenschaftliche Perspektiven und öffnet neue Debatten über Kolonialismus und globale Ungleichheit, Moderne und Extraktivismus und darüber, wessen Stimmen gehört werden. Insgesamt lassen sich mit historischen Perspektiven gegenwärtige Selbstverständlichkeiten und vermeintlich unveränderbare körperliche und gesellschaftliche Verhältnisse befragen – das macht Gegenwart und Zukunft demokratisch gestaltbar.

