Neue AusstellungskooperationUnsere Sicht auf die Natur und wie wir sie darstellen
21. November 2022, von Mareen Gerisch/Red.
Foto: Worldmappa.org
Lässt sich die Natur als Ganzes erfassen? Wie passt die Evolution auf ein Blatt Papier? Für die neue Sonderausstellung „Das Ganze der Natur“, die am 30. November 2022 öffnet, sind Forschende und Studierende der Universität Hamburg diesen Fragen in Kooperation mit dem Museum der Natur Hamburg nachgegangen. Ein Interview mit den Ausstellungsverantwortlichen.
Die Darstellung der Natur – in Teilen und vor allem als Ganzes – steht im Fokus der neuen Sonderausstellung. Welche Ansätze gibt es dazu in den modernen Naturwissenschaften? Haben sich die Formen der Darstellung geändert?
Anne Merker: Formen wie Listen, Baumdiagramme und Karten werden auch heute noch genutzt, um Zusammenhänge in der Natur zu visualisieren. So wie der „Tree of Life“ in unserer Ausstellung, gibt es viele Ansätze, alles bekanntes Leben in einem Diagramm zu vereinen, um die Entwicklung des Lebens zu untersuchen und die Beziehungen zwischen lebenden und ausgestorbenen Organismen zu beschreiben.
Unsere wissenschaftlichen und technischen Methoden sowie die Menge an generierten Forschungsdaten haben sich aber enorm erweitert. Immer schneller arbeitende Computer verarbeiten riesige Datenmengen und es lassen sich komplexe Naturphänomene simulieren und digital dreidimensional visualisieren.
Verhilft uns die Digitalisierung zu mehr Überblick?
Dr. Dominik Hünniger: In unserer Ausstellung versuchen wir vor allem, die Kontinuitäten zu zeigen. Wenn man sich Bilder vergleichend ansieht, fallen zunächst einmal viele Ähnlichkeiten und Traditionen auf, die sich lange gehalten haben. Das was sich vielleicht am häufigsten ändert, sind die Techniken der Darstellung und die veränderten Möglichkeiten, die durch den Einsatz neuer Medien und neue Produktionsweisen entstanden.
Die Chance, die uns digitalisierte Objekte, Texte und Bilder bieten, besteht darin, neue Blickwinkel einzunehmen. Durch Vergrößerungen und direkte Vergleiche fallen uns Details auf, die wir mit bloßem Auge nicht entdecken können. Im Grunde ist aber auch das nicht ganz neu. Lupen oder Vergrößerungsgläser und Ähnliches sind schon lange Instrumente, die sowohl bei der Herstellung als auch bei der Betrachtung von Bildern zum Einsatz kommen.
Zwischen Natur und Kunst gibt es seit jeher eine Wechselbeziehung. Inwiefern hilft die Kunst über die bloße Darstellung hinaus das Unerklärliche zu erklären?
Prof. Dr. Frank Fehrenbach: Eine Unterscheidung zwischen bildhaften Darstellungen und Kunst, so schwierig sie zu bestimmen ist, hilft hier womöglich weiter. Bilder bieten in der Auseinandersetzung mit Natur, auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, den Vorteil, viele Einzelheiten zugleich in den Blick zu nehmen, eine Überschau zu schaffen. Gerade diagrammatische Bilder ermöglichen darüber hinaus die spontan einsichtige Darstellung von Beziehungen zwischen unterschiedlichen Daten, Körpern, Elementen usw.
Künstlerische Darstellungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sich in ihnen etwas gegen die reine ‚Informationsvermittlung‘ sperrt. Sie sind mehrdeutig, rätselhaft, verweisen häufig auf ihr Gemacht-Sein, auch auf andere Bilder. Das sieht man in der Ausstellung gut an Rembrandts „Alchemisten“. Damit befeuern sie sehr viel stärker die Imagination der Betrachtenden, auch von Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern.
Ein Anliegen unserer Ausstellung ist es, zu zeigen, wie aber auch in scheinbar rein sachlich orientierten diagrammatischen Darstellungen immer das ‚Künstlerische‘ hereindrängt. Das zeigt sich an der Vielzahl von gestalterischen Entscheidungen, die jeder Darstellung zugrunde liegen – also Verteilung auf der Fläche, Grenzziehungen, Farbigkeit oder Verzicht darauf, Strichstärke oder Richtungshaftigkeit. Das ‚Künstlerische‘ zeigt sich aber auch an den Darstellungskonventionen, die für jede Zeit gelten und der Vielzahl von innovativen graphischen Lösungen, die diese Konventionen durchbrechen.
Studierende der Kunstgeschichte waren an der Auswahl der Exponate für die Ausstellung beteiligt. Welche Entscheidungen haben Sie überrascht?
Fehrenbach: Mich hat die Unbefangenheit positiv überrascht, mit der die Studierende sich mit dezidiert „nichtkünstlerischen“ Bildern auseinandergesetzt haben, beispielsweise mit der Plakette, die die ‚Pioneer‘-Weltraummission begleitet hat oder mit der diagrammatischen Darstellung der Erdzeitalter. Hier scheint es im Anschluss an die moderne Bildwissenschaft tatsächlich kaum mehr Berührungsängste zu geben.
Wer sollte sich die Ausstellung unbedingt ansehen?
Merker: Die Ausstellung richtet sich nicht nur an Naturinteressierte, sondern an alle, die neugierig sind und Lust haben, Natur, Kunst und Wissenschaftsgeschichte mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Wir arbeiten mit vielen bildlichen Darstellungen aus dem Bereich der Biologie, Naturgeschichte, Geographie und Kunst und die Besuchenden sind eingeladen, Ähnlichkeiten und Veränderungen in den Darstellungen aufzuspüren. Sie können spielerisch die Natur auf ihre eigene Weise ordnen und Details im großen Ganzen finden. Die Ausstellung soll vor allem zum Weiterdenken inspirieren. Am Ende der Ausstellung hat jede und jeder die Möglichkeit, die ganz eigene Sicht auf ‚Das Ganze der Natur‘ an uns weiterzugeben.
Eine Langfassung des Interviews finden Sie auf der Ausstellungsseite beim Museum der Natur Hamburg, das zum Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels gehört.
Zur Person
Prof. Dr. Frank Fehrenbach ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg und Co-Sprecher der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Kolleg-Forschungsgruppe „Imaginarien der Kraft“.
Dr. Dominik Hünniger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Imaginarien der Kraft“ an der Universität Hamburg.
Anne Merker ist am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) und dem Museum der Natur Hamburg für die Ausstellungskonzeption verantwortlich.
Die Ausstellung „Das Ganze der Natur“
Die Sonderausstellung „Das Ganze der Natur – Kräfte, Ordnungen, Grenzen“ läuft vom 30. November 2022 bis zum 27. August 2023 im Museum der Natur Hamburg. Sie zeigt zahlreiche Reproduktionen historischer und aktueller Karten, Bilder und Diagramme aus Europa sowie integrierte Exponate aus der zoologischen Dauerausstellung im Museum. Es handelt sich um eine Kooperation mit dem Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), die im Rahmen der Aktivitäten der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Imaginarien der Kraft“ an der Universität Hamburg initiiert wurde. Studierende der Universität Hamburg haben die Ausstellung in zwei Seminaren inhaltlich vorbereitet und die Wahl von Ausstellungsobjekten unterstützt.