Digitales Unterrichten„Kleine Veranstaltungen sind intensiver, große sind manchmal zu passiv“
10. Februar 2021, von Tim Schreiber
Foto: privat
Während der Corona-Pandemie muss die Lehre an der Universität Hamburg ins Digitale verlegt werden. In einer Interviewreihe sprechen Dozierende über Herausforderungen, Lösungen und Veränderungen, die auch nach der Pandemie bleiben könnten. Heute: Prof. Dr. Markus Kotzur, Lehrstuhl für Europa- und Völkerrecht.
Das zweite digitale Semester neigt sich dem Ende entgegen. Wie haben Sie die Zeit erlebt?
Ich bin sehr begeistert, wie anpassungsfähig die Studierenden sind und wie fruchtbar sie die Möglichkeiten der Online-Lehre nutzen. Gerade in kleineren Lehrveranstaltungen kommt es teilweise zu noch intensiveren Unterrichtsgesprächen. Herausfordernd bleiben aber die großen Veranstaltungen, die wir in der Rechtswissenschaft auch haben. Da sitzen 300 oder 350 Leute im virtuellen Hörsaal und es ist schwierig, jeden und jede einzeln zu erreichen. Es besteht dann schon die Gefahr, dass einige passiv bleiben. Gerade diejenigen, die noch früh im Studium sind und für die die akademische Welt noch eher neu ist.
Wie setzen Sie Prüfungen digital um?
Das ist bei uns eine besondere Herausforderung, weil wir im Staatsexamen auch von den Genehmigungen der Justizbehörde abhängen. Dort sieht man digitale Prüfungsformate nicht so gerne, weil man fürchtet, dass die klassische Aufsicht nicht stattfinden kann. Wir haben einige Ausnahmen bekommen, befinden uns aber in einem großen Dilemma, weil wir unsere mündlichen Prüfungen in den Schwerpunktbereichen nicht digital durchführen können. Das Präsidium sagt entsprechend der Verordnungen und Vorgaben: „Keine mündlichen Prüfungen vor Ort“ und die Justizbehörde sagt: „Digitale mündliche Prüfungen werden nicht akzeptiert“. Ich würde mir wünschen, dass die Justizbehörde im Interesse der Studierenden da schnell Einsicht zeigt. Denn dieser Zustand ist natürlich schwierig für unsere Fakultät.
Ernsthafte Probleme, die sich nicht lösen ließen, konnte man an einer Hand abzählen.
Wie sind die Prüfungen gelaufen, die möglich waren?
Wir haben im Sommer – wo sie möglich und erlaubt waren – auch mit digitalen Varianten gute Erfahrungen gemacht. Wir sind ja eine große Fakultät mit vielen Prüfungsleistungen – mehr als 4.000 pro Semester. Bei den Prüfungen zum Ende des Sommersemesters gab es etwa 180 Störfälle, bei denen etwas technisch nicht funktioniert hat. Das waren deutlich weniger als befürchtet. Und wirklich ernsthafte Probleme, die sich nicht lösen ließen, konnte man an einer Hand abzählen. Soweit wir eben auch von der Justizbehörde grünes Licht bekommen haben, sind wir mit Online-Prüfungen eigentlich gut gefahren. Und auch die Studierenden waren erleichtert. Denen ist ja wichtig, dass sie kontinuierlich weiterstudieren können.
Gab es neue Prüfungsformate?
Wir haben in unseren Masterstudiengängen Take-Home-Exams als Ersatz für Klausuren ausprobiert. Das hat sich als gute Möglichkeit erwiesen, zumal wir ja auch versucht haben, viele elektronische Medien und Datenbanken zur Verfügung zu stellen. Das ist wichtig, gerade für Zeiten, in denen Bibliotheken geschlossen haben. Damit haben wir positive Erfahrungen sammeln können.
Wie hat sich die Online-Lehre im vergangenen Jahr aus Ihrer Sicht sonst entwickelt?
Man hat gemerkt, dass die schon lange andauernde Diskussion um eine stärkere Digitalisierung unserer Studienformate wirklich eine unglaubliche Beschleunigung erfahren hat. Zoom-Konferenzen haben sich als gut und belastbar herausgestellt. Und besonders wichtig: Interaktion ist weiter möglich. Außerdem haben sich Lecture2Go und OpenOLAT weiter etabliert. Was die Plattformen angeht, bekommen wir gutes Feedback und da werden wir weitermachen. Natürlich gab und gibt es Schwierigkeiten, Ungewissheiten und man musste sich an die Umstände und an das Homeoffice gewöhnen. Aber ich merke, dass alle an einem Strang ziehen und die Universität enger zusammengerückt ist: Studierende, Lehrende, aber auch die Verwaltung. Gerade das Studienmanagement hat Unglaubliches auf die Beine gestellt.
Was, denken Sie, bleibt von der digitalen Lehre, wenn Präsenz wieder in einem großen Maß möglich ist?
Die Lernkurve ist insgesamt sehr steil gewesen. Manches, was wir positiv erproben konnten, wird auch nach der Pandemie bleiben, weil das eine gute Unterstützung ist für die klassische Vorlesung. Es ist auch bestätigt worden, was wir schon wussten: Eine vollständige Digitalisierung von Lehrformaten ist sicherlich keine sinnvolle Alternative zu einer Präsenzuniversität. Wir haben aber gelernt, dass es gute Ergänzungen gibt, um zu Flexibilisieren und Studierenden Wiederholungsmöglichkeiten zu geben. Wir haben ja auch Alleinerziehende oder auch Studierende, die nebenbei viel arbeiten müssen, um sich das Studium zu finanzieren. Es gab ganz oft den Wunsch nach größere Flexibilität – und dafür haben wir nun viele wertvolle Erfahrungen gewonnen.
Zur Person
Prof. Dr. Markus Kotzur ist Professor für Europa- und Völkerrecht sowie Prodekan für internationale Beziehungen der Fakultät für Rechtswissenschaft. In den beiden letzten Semestern hat er neben dem Völker- und Europarecht aber auch Verfassungsrecht und Verfassungsrechtsgeschichte unterrichtet.
Angebote des HUL
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