Willkommen an Bord„Ich verfolge die Zirkulation und Wandelbarkeit von literarischem Wert“Prof. Dr. Florian Sedlmeier verstärkt die Geisteswissenschaften
13. Mai 2025, von Sedlmeier/Red.

Foto: UHH/Esfandiari
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Hamburg. In dieser Reihe stellen wir sie und ihre Forschungsgebiete vor. Dieses Mal: Amerikanist Prof. Dr. Florian Sedlmeier.
Prof. Dr. Florian Sedlmeier ist zum Sommersemester 2025 von der Ruhr-Universität Bochum nach Hamburg gekommen und hat an der Fakultät für Geisteswissenschaften eine Professur für die „Literatur und Kultur Nordamerikas“ angetreten.
Mein Forschungsgebiet in drei Sätzen:
Mein gleichermaßen historisierender und theoretischer Zugriff auf die Literaturen Nordamerikas trägt der Heterogenität dieser postkolonialen und multikulturellen Literaturgeschichte Rechnung. Mich interessiert aus literatursoziologischer Sicht die Zirkulation changierender Vorstellungen von literarischem Wert, wie sie sich im Zusammenspiel von institutionellen Rahmenbedingungen (Kanonisierungen, Literaturkritiken und Publikationsmedien) und literarischen Texten veräußern, die immer auch Positionierungen im literarischen Feld ausdrücken. Zum anderen beschäftigt mich das Wechselspiel von literarischen Formensprachen (Gattungen, Modi, Intertextualität) und Wissensgeschichten wie etwa der Sammeldisziplin Kriminologie um 1900, in dem sich das Verhältnis von Ästhetik, Sozialem und Politischem konturiert.
Und so erkläre ich meiner Familie, worum es da geht:
Ich versuche, solche Erklärungen eher zu vermeiden, außer den Wert des Lesens selbst zu betonen. Da habe ich leichtes Spiel. Meine Mutter ist eine begeisterte Romanleserin. Wenn wir uns über amerikanische Texte unterhalten, die wir beide gelesen haben, versuche ich, ihr die historischen Hintergründe und kulturellen Kontexte näher zu bringen, falls sie diese noch nicht kennt. Ihr Geschmack ist oft ganz anders als meiner. Ich habe ihr einmal einen Roman von Richard Ford geschenkt, 800 Seiten sehr langsam und detailliert erzählt. Den hat sie, vollkommen verständlich, als langatmig empfunden. Mit meiner Frau, die als selbständige Unternehmerin mittlerweile leider immer weniger zum Lesen von Belletristik kommt, höre ich gerne Hörbücher, vor allem im Urlaub.
Darum freue ich mich auf Hamburg – auf die Stadt und die Universität:
Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen. Für mich hatte das immer was Beengendes. Ich bin also sehr glücklich, nach Hamburg berufen worden zu sein. Ich verbinde mit den Menschen hier eine weltoffene, höfliche Herzlichkeit. Als Stadt mit einer global verflochtenen Kultur- und Handelsgeschichte ist Hamburg auch ein guter Ort für mein postkoloniales Literaturverständnis. Mit dem HIAS oder dem Warburg-Haus verfügt die Stadt über erstklassige Forschungsinstitutionen und großartige Locations für Kooperationen und Veranstaltungen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen am Fachbereich für Literatur, Sprache und Medien, an der Fakultät für Geisteswissenschaften, aber auch an anderen Fakultäten, um interdisziplinäre Verbundprojekte u. a. zu den Modellierungen von Natur mitzugestalten.
Das sind meine Pläne an der Uni Hamburg:
In politisch fragilen Zeiten mit diversen Wendungen ist die Stärkung von Institutionen, die den transatlantischen Dialog aufrechterhalten und in eine breitere Öffentlichkeit tragen, umso wichtiger. Mit meinen Kolleg:innen strebe ich daher eine Intensivierung der Kollaboration mit dem Amerikazentrum Hamburg an. Amerikahäuser und -zentren sind Teil der west- und später gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte. Sie bilden eine wichtige Schnittstelle für den Wissenstransfer. Ich will mich auch in die öffentlichen Vorlesungen der Universität Hamburg einbringen, um Prinzipien und Perspektiven der Wissenschaft nach außen zu kommunizieren. Die Lehre in der Amerikanistik begreife ich, wie meine Kolleg:innen auch, als zentrale kulturelle Verständigungsaufgabe, wobei viele Aspekte der amerikanischen Geschichte, Kultur und Politik globale Auswirkungen haben, die es zu reflektieren gilt.
Darum sollten Studierende unbedingt meine Veranstaltungen besuchen:
Wenn ich das Feedback zu meinen Lehrveranstaltungen richtig verstehe, schätzen Studierende vor allem die dialogische, respekt- und humorvolle Atmosphäre in meinen Kursen. Mir wird die Fähigkeit zugeschrieben, komplexe Sachverhalte gut zu vermitteln, Studierende zum vertiefenden Selbststudium anzuregen und sie vor allem für Material zu begeistern, das sie vorab nicht unbedingt als interessant wahrgenommen hätten. Der letzte Punkt liegt mir selbst vielleicht am meisten am Herzen. Die Lehre an die Lebenswelten der Studierenden herantragen ist sicher wichtig. Nicht minder zentral ist es jedoch, die Aufmerksamkeit von Studierenden auf kulturelle Artefakte und Diskurse zu lenken, die sie selbst vermeintlich nicht tangieren.
Blick in die weite Welt: mit diesen internationalen Einrichtungen, Universitäten oder Institutionen arbeite ich zusammen:
Ich habe aufgrund meiner zahlreichen Aufenthalte in den USA u.a. in Austin, Boston und Los Angeles vielfältige Kontakte zu Kolleg:innen an unterschiedlichen Universitäten, die ich ausbauen und vertiefen will. In Abstimmung mit der Ausrichtung und Profilierung der Universität geht es mir neben meinen individuellen Kollaborationen darum, am strukturellen Aufbau von langfristigen Kooperationen in Forschung und Lehre mitzuwirken. Im europäischen Raum habe ich eine bestehende Kooperation mit der Germanistik an der Universität Salzburg. Mit einem politikwissenschaftlichen Kollegen an der University of Southern Denmark in Odense verfolge ich in einem laufenden Projekt die gattungsgeschichtlichen und medialen Bedingungen politischer Kommunikation. Dieses wollen wir als interdisziplinäre Kooperation institutionalisieren.
Darum ist meine Forschung für die Gesellschaft wichtig:
Zunächst danke ich der Gesellschaft, wenn es denn so eine Einheit gibt, dass sie mich und meine Kolleg:innen ohne gravierende Einschränkungen forschend zu ihr beitragen lässt. Das ist im globalen Vergleich eher Privileg als Selbstverständlichkeit. Mit meinem Fokus auf die Wirkungsmacht von Institutionen und Publikationsmedien verfolge ich die Zirkulation und Wandelbarkeit von literarischem Wert. Darüber werden immer auch Mechanismen bzw. Grade sozialer Inklusion und Exklusion sichtbar: Wer durfte wann, unter welchen Bedingungen und zu wem genau öffentlich schreiben und sprechen? Literaturgeschichte ist somit einerseits eine Art Index für Imaginationen von Gesellschaft und die Teilhabe an ihr. Andererseits gestalten Texte diese Imaginationen über Erzähltechniken und Tropen aktiv mit, teils bestätigend, teils widerständig, zumeist beides zugleich.