Historischer Moot Court:Geschichtsstudierende erproben neuen Zugang zur Catilinarischen Verschwörung
13. Juli 2018, von Anna Priebe
Foto: UHH/Wohlfahrt
Die Verschwörung des römischen Politikers Lucius Sergius Catilina und seiner Anhänger, die im Jahr 63 v. Chr. die Macht in der römischen Republik an sich reißen wollten, ist fester Bestandteil des Lehrplans im Bachelorstudium Geschichte. Besonders war in diesem Semester allerdings die Herangehensweise, die Prof. Dr. Kaja Harter-Uibopuu, Professorin für Alte Geschichte, hierfür wählte: Sie ließ acht Studierende die Senatssitzung, in der über das Schicksal der Verschwörer beraten wurde, in einem historischen Moot Court nachstellen.
5. Dezember 63 v. Chr. im Tempel der Concordia in Rom. Fünf Männer werden vor den Senat geführt: Ihnen wird vorgeworfen, sich gegen Rom verschworen und Lucius Sergius Catilina unterstützt zu haben, der die Republik stürzen wollte und nun mit Aufständischen vor den Toren der Stadt steht. Der Staatsnotstand wurde ausgerufen.
3. Juli 2018, Hörsaal A im Überseering 35. Versammelt sind die „Senatsmitglieder“ in Form der Teilnehmenden der Vorlesung „Überblick über die Geschichte des Altertums“, die über das Schicksal der Angeklagten entscheiden sollen. Zwei Teams aus jeweils vier Studierenden werden Anklage und Verteidigung übernehmen und in 20 Minuten langen Plädoyers ihre Seite präsentieren. Die Argumente der Gegenseite kennen sie nicht. Im Anschluss an die Plädoyers folgen kurze Erwiderungen, dann stimmt „der Senat“ ab.
Die Anklage – Vorbereitung
Fünf Verschwörer wurden festgenommen und haben ihre Beteiligung gestanden; zudem liegen Briefe vor, in denen sie den keltischen Volksstamm der Allobroger zum Aufstand aufrufen: ein Selbstläufer für die Anklage, oder? Dominik Kalb-Rottmann ist zuversichtlich. „Wir können auf all diese Beweise zeigen und die Verteidigung muss reagieren“, sagt der 27-Jährige. Zusammen mit Louisa Darge, Tayyab Chaudry und Julian Stolzenburg stellt der Bachelorstudent die Redner im Senat dar, die für eine Verurteilung der Angeklagten argumentieren werden. „Die Beweise sind klar. Aber die Haltung zur Todesstrafe ist heute eine andere als damals. Wir müssen die Zuhörer trotzdem überzeugen“, so Darge.
Die 24-Jährige hat die Moot-Court-Übung vor allem wegen einer Person gewählt – Marcus Tullius Cicero: „Ich habe über ihn vorher schon Romane gelesen und finde die Person interessant.“ Er war 63 v. Chr. Konsul und hatte das „Senatus Consultum Ultimum“, das heißt, er war aufgrund des Staatsnotstandes befugt, Todesurteile ohne Prozess auszusprechen.
Die Anklage – Plädoyers
Besonders wichtig sei, betonen Darge und Kalb-Rottmann vor der Verhandlung, nicht einfach nur die vorliegenden Originalreden noch einmal „runterzuleiern“. Das Team hat sich daher die aus ihrer Sicht überzeugendsten Argumente zurechtgelegt und lässt diese bei der Verhandlung unter anderem von dem Beamten Cosconius (Kalb-Rottmann) und natürlich Cicero (Darge) vortragen, der die Senatssitzung leitet.
Berichtet wird, wie die fünf Angeklagten Aufstände angestachelt, Brände gelegt und gemordet hätten. Mit Appellen wie „Wenn Rom fällt, sind wir nicht mehr“ wird dafür plädiert, „der Schlange den Kopf abzuschlagen“. Besonders betonen alle Redner vor allem eines: Die fünf Verschwörer hätten mit ihrer Unterstützung des Catilina ihre Bürgerrechte verwirkt. Ohne diese haben sie auch nicht das Recht, bei einem drohenden Todesurteil ihren Fall dem Volk zu präsentieren. Das macht den Weg frei für eine schnelle Exekution.
Die Verteidigung – Vorbereitung
Fünf Geständnisse und handfeste Beweise: Muss man da als Verteidiger-Team überhaupt antreten? Ja, finden Julian Gebhard und Julian Bohm. „Das ist schon schwerer, als für eine Hinrichtung zu argumentieren“, gibt Bohm zu. „Aber die Anklage hat das Problem, dass sie mehr oder weniger offensichtliche Argumente hat, auf die wir uns schon vorbereiten können“, ergänzt Gebhard. Auch das Verteidiger-Team hat die vorliegenden Quellen studiert; viele Reden sind überliefert, zudem gibt es das Werk „Über die Verschwörung des Catalina“ des Geschichtsschreibers Sallust.
Die Herausforderung, historische Charaktere zu spielen, hat Gebhard und Bohm gereizt, die beide in Schauspielgruppen der Universität aktiv sind. Gemeinsam mit Sandra Schulte und Johannes Mewes soll das Todesurteil abgewendet werden
Die Verteidigung – Plädoyers
Bohm formuliert bereits vor der Verhandlung klar: „Wir sind uns einig, dass wir Catilina nicht erfolgreich verteidigen können, weil er offensichtlich mit einer Armee vor Rom steht. Wir versuchen, die Mitverschwörer vor der Todesstrafe zu bewahren.“ Und so die Verteidigung vor allem die anwesenden Senatoren.
Man solle nicht in Aktionismus verfallen und bedenken, dass die Hinrichtung der Verschwörer die Rache von deren Kindern zur Folge hätte. „Wir richten über besiegte Männer“, beschwört Varro (Bohm), und alle Redner betonen, dass die Verschwörer eben doch Staatsbürger seien und damit das Recht auf eine weitere Anhörung hätten.
„Wir können uns nicht aus diesem komplexen Problem herausmorden“, argumentiert als letzter Redner Gaius Julius Caesar (Gebhard). Er betont, man würde mit der Hinrichtung einen Präzedenzfall schaffen und die Senatoren sollten bedenken: Catilina habe die Prinzipien der römischen Republik verraten, aber „wir sind besser“.
Das Urteil:
Vor mehr als 2000 Jahren wurden die Angeklagten auf Geheiß Ciceros hingerichtet. Und heute? Wie damals kann der Senat kein direktes Urteil fällen, daher stimmen die Anwesenden auf Basis der Argumente darüber ab, ob Cicero sein „Senatus Consultum Ultimum“ behalten soll. Wenn er es behält, würde es einem Todesurteil gleichkommen. 63 zu 21 stimmen für eine Aufhebung des Sonderrechtes. Das würde wohl eine Volksanhörung bedeuten. Prof. Harter gratuliert dem Verteidiger-Team, aber auch den Anklägern und allen Senatsmitgliedern: „Sie haben Geschichte umgeschrieben.“
Darge ist begeistert von der Intensität, mit der man für den Moot Court ins Thema einsteigen muss: „Ich habe für den Moot Court mehr gemacht, als für andere Fächer.“ Für Gebhard ist das Format „vor allem eine interessante Methode, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Man setzt sich noch mal kritisch mit dem Thema auseinander.“ Kalb Rottmann ergänzt: „Und eine Rede halten – das sollte man im Studium schon mal gemacht haben, ein bisschen aus der Komfortzone rauskommen.“
Moot Court
Moot Courts sind ein – vor allem in der Rechtswissenschaft – genutztes Lernformat, bei dem Verhandlungen simuliert werden. Es gibt sie an der Universität Hamburg zu verschiedenen Themen, etwa zu Zivilrecht oder UN-Kaufrecht. Ziel ist, dass die Studierenden die verschiedenen Rollen in einem Verfahren sowie dessen Abläufe kennenlernen. Zudem arbeiten sie sich intensiv in die Rechtsgrundlagen ein. Im Fall der Übung im Fachbereich Geschichte wurde ein realer historischer Fall nachgestellt; die Teilnehmenden mussten aufgrund der Quellen allerdings eigene Argumentationen entwerfen.