Särge, Muff und Teegespräche
12. März 2019, von Anna Priebe
Foto: UHH/Schöttmer
2018 jährten sich die sogenannten 68er-Proteste zum 50. Mal. Die Zeit steht für Aufbruch, aber auch für Konfrontation. Wie war es damals an der Universität Hamburg? Wofür kämpften die Studierenden? Im Gespräch erinnern sich Regine Walde (71, studierte ab 1966 Soziologie und Politikwissenschaft auf Magister) und Norbert Jankowski (72, studierte ab 1965 Politikwissenschaft, Soziologie und VWL und war 1967–1969 einer der zwei AStA-Vorsitzenden).
Wie muss man sich die Studienbedingungen Ende der 1960er-Jahre vorstellen?
Norbert Jankowski (NJ): Damals gab es einen Run auf die Sozialwissenschaften. In der Fachschaft haben wir für bessere Studienbedingungen gekämpft: Wir wollten mehr Lehrer, größere Räume, kleinere Gruppen und das Offenlegen von Prüfungsregeln. Es war damals nicht klar, wer die Arbeiten korrigierte, und die Durchfallquoten bei den Prüfungen waren sehr hoch. In der Politikwissenschaft gab es zudem keinen Abschluss außer der Promotion. Da haben wir uns für ein Diplom eingesetzt.
Regine Walde (RW): Als ich 1966 anfing zu studieren, wurden gerade die ersten Aktionen geplant. Bei einer, die ich auch mitgestaltet habe, haben wir ein Flugblatt verteilt, auf dem groß ein Sarg abgebildet war. Wir haben quasi die politische Wissenschaft in Hamburg zu Grabe getragen. Daraufhin wurden wir von den Professoren zu sogenannten Teegesprächen gebeten: Einer nach dem anderen wurde reingebeten und man saß wirklich mit Herzklopfen vor dem Professor.
NJ: Das war damals eine ganz andere Welt als heute. Ich werde nie vergessen, wie bei mir als AStA-Vorsitzendem zwei Firmen ankamen und sagten, sie würden gerne Fotokopier-Automaten aufstellen. Zu der Zeit hat man ja noch alles abgeschrieben oder heimlich die Seiten rausgerissen. Ein Verkäufer bot mir an, dass ich eine Beteiligung von 0,1 Pfennig pro kopierte Seite bekommen würde. Das habe ich leider abgelehnt.
Die Aktionen sind dann ja über einzelne Fachbereiche hinausgegangen.
RW: Viele von uns haben sich 1967 in das StuPa [Studentenparlament, Anmerk. d. Red.] wählen lassen, da stieß man auf andere, die auch unzufrieden waren. Dann kamen der Schah-Besuch [Juni 1967, Anmerk. d. Red.] und andere Einflüsse von außen, durch die man sich mehr politisiert hat. Aber zunächst ging es um die Universität.
NJ: Das Besondere am StuPa und im AStA war, dass es eine All-Parteien-Mischung war. Der Kampf um mehr Mitbestimmungsrechte hat oft vergessen lassen, ob man politisch rechts oder links oder sonst was war. Es ging aber auch um den Vietnamkrieg, die Anerkennung der DDR und Notstandsgesetze.
RW: Ich erinnere mich an unglaublich harte Auseinandersetzungen mit Worten, etwa wenn es darum ging, wer Parlamentspräsident wird, ob man das politische Mandat hat, sich zu Angelegenheiten außerhalb der Universität zu äußern, oder ob ‚Gewalt gegen Sachen‘ gerechtfertigt sein könnte.
Im November 1967 folgte der Rektorwechsel, bei dem das Transparent „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ entrollt wurde.
NJ: Auf dem Bild sieht man vorne Albers und Behlmer mit dem Banner, dann den alten und den neuen Rektor und uns beide AStA-Vorsitzende. Wir wussten, was auf dem Transparent stand, der Lehrkörper aber nicht. Das ist natürlich blöd, wenn Sie hinter einem Banner herlaufen und es nicht lesen können. Es hätte ja auch draufstehen können ‚Es lebe die Universität‘ oder so.
Mein AStA-Co-Vorsitzender Björn Pätzoldt hat in seiner Rede dann ungefähr 40 Missstände in den Fakultäten aufgezählt. Das waren die Professoren nicht gewohnt, dass sie Gegenwind bekamen. Der Tag war schon heftig.
1969 kam ein neues Hochschulgesetz, der Präsident wurde nun von den Universitätsmitgliedern gewählt. Dennoch kam es zu weiteren Protesten.
NJ: Damals erstarkte der SDS [Sozialistischer Deutscher Studentenbund, Anmerk. d. Red.], besetzte Institute und störte Veranstaltungen, zum Beispiel wenn Leute aus der Wirtschaft an die Uni kamen, was ja heute gang und gäbe ist.
RW: Zu Anfang war man in vielen Aktionen gemeinsam – und ich hatte auch das Gefühl, dass wir relativ bürgerlich waren. Wir wollten nichts kaputtmachen, sondern waren sehr konstruktiv. Das Destruktive kam erst später.
Konnte man es verbinden, zu studieren und gleichzeitig so aktiv zu sein?
NJ: Nein, in der Zeit habe ich nicht viel studiert, war viereinhalb Semester beurlaubt.
RW: Man hatte ja auch keine Vorgaben wie heute beim Bachelor, in welcher Zeit man sein Studium machen musste. Es gab überhaupt keinen Druck, das war schon toll.
War es ein Nachteil, ein „68er“ zu sein?
NJ: Nein, denn ich bin mit ganz verschiedenen Leuten zusammengekommen, das war einfach genial. In meinem AStA war zum Beispiel Willi Lemke – der war Sportreferent, wurde später Präsident von Werder Bremen. Ernst Uhrlau wurde Präsident des Bundesnachrichtendienstes und Johannes Ludewig Referent von Helmut Kohl und Bahnchef. Ich behaupte: Vielen meiner Kommilitonen hat dieses ‚Sich-frei-Schwimmen‘ in den 68er-Jahren später geholfen. Die sind alle keine Duckmäuser geworden.
Verfolgen Sie das Studentenleben heute, sprich Bachelor, Master, etc.?
RW: Am Rande, weil man Kinder und Enkel hat. Wenn ich mir vorstelle, was wir für Freiheiten hatten, und sehe,
wie heute nur auf den Abschluss hingearbeitet wird – ich möchte heute nicht studieren.
NJ: Bachelor und Master – das ist die schlimmste Entwicklung, die es überhaupt gegeben hat. Es gibt Fächer, da geht das einfach gar nicht. Ich verfolge ziemlich genau, was in der Universität und in den Fakultäten passiert, und kann den Studenten nur alles Gute wünschen. Wobei mir die Studenten heute etwas zu ruhig sind …
RW: Es bleibt ihnen ja nichts anderes übrig.
Das Foto der Muff-Aktion gilt als Symbolbild der Proteste. Was ist Ihr persönliches Bild dieser Zeit?
RW: Also für mich sind das zum einen das erwähnte Flugblatt mit dem Sarg und zum anderen die Osterdemonstrationen 1968. Ostermontag bin ich zum Polizeihochhaus am Berliner Tor mitgegangen, um zu demonstrieren, und habe gesehen, wie Polizisten auf die Studenten eingeprügelt haben. Das hat mich im Tiefsten erschüttert.
NJ: Für mich war das auch die Wahl von Peter Fischer-Appelt zum ersten Universitätspräsidenten. Das war die Umsetzung der politischen Arbeit, dass da nicht wieder einer kam, der einfach dran war, sondern der gewählt wurde, von allen.
RW: Ich kann mich erinnern, dass ich da heulen musste. Das war so, als hätte man etwas ganz Wesentliches geschafft für die Universität.
NJ: Und da sind noch die Bilder, die nebenbei entstanden sind. Einmal war der Ententeich drei Meter hoch voller Ariel-Schaum, das ist mir gut in Erinnerung geblieben. War schon schön.
Das Interview ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen, die in den Foyers der Uni-Gebäude und dem Unikontor sowie den Mensen und Bibliotheken erhältlich ist.