UHH Newsletter

August 2012, Nr. 41

INTERVIEW

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Ronald Hoffmann, Referatsleiter Zentrale Studienberatung und Psychologische Beratung. Foto: UHH/Hoffmann



Kontakt:

Ronald Hoffmann
Abteilung Studium und Lehre
Referatsleiter Zentrale Studienberatung und Psychologische Beratung

t. 040.42838-3646
e. ronald.hoffmann-at-verw.uni-hamburg.de

„Beratung ist selbstverständlicher geworden.“ Interview mit Ronald Hoffmann, Leiter der Zentralen Studienberatung und Psychologischen Beratung (ZSPB)

Die ZSPB hat die Annahme ihrer Angebote evaluiert und die Ergebnisse im Jahresbericht 2011 zusammengefasst. Es zeigte sich, dass 43 Prozent mehr Studierende als noch 2010 psychologische Beratung gesucht hatten. Über mögliche Gründe für diese Zunahme, das Besondere an der Arbeit der ZSPB und das Programm „Hilfe und Orientierung für psychisch erkrankte Studierende“ (HOPES) haben wir mit Ronald Hoffmann gesprochen. Der Psychologe und approbierte Psychotherapeut ist seit Dezember 2011 Leiter der ZSPB.
Im Jahr 2011 gab es 532 Neuanmeldungen für Ihre Beratung, 2010 waren es noch 372 – das ist ein Plus von 43 Prozent. Was sind die häufigsten Gründe für die Kontaktaufnahme?

Die meisten Anmeldungen haben wir wegen depressiver Verstimmungen sowie Lern- und Arbeitsstörungen. Probleme bei der Arbeitsorganisation und im Zeitmanagement sind auch noch relativ weit vorne. Dann kommen schon die psychiatrischen Erkrankungen.

Was versteht man darunter?

Das sind Krankheiten, die von einem Psychiater diagnostiziert worden sind, also z.B. Schizophrenie oder eine Psychose. Auch eine Depression gehört dazu. Nicht zu verwechseln mit der depressiven Verstimmung. Viele Menschen kennen das: Wenn der Sommer verregnet und kalt ist, dann kann man schon mal ein bisschen durchhängen. Wenn das aber länger andauert und so massiv ist, dass einzelne Lebensbereiche eingeschränkt werden, handelt es sich unter Umständen um eine depressive Verstimmung.

Eine Depression als psychiatrische Diagnose meint aber noch etwas anderes: Sie ist eine schwere Erkrankung, bei der man z.B. eine stationäre Therapie gemacht hat oder mindestens ambulant oder medikamentös behandelt wurde.

Gibt es Beratungsfelder, die seltener vorkommen?

Prüfungsängste haben wir nicht mehr so viel, das war früher einer der Hauptgründe. 2010 waren es 24 Prozent, jetzt sind es noch 17, das ist also deutlich zurückgegangen.

Woran liegt das?

Diese massive Angst vor der Prüfung steht nicht mehr so im Mittelpunkt der Beratung. Es ist zwar noch ein Thema, aber man könnte fast sagen, dass sich die Studierenden durch die neue Bachelor-/Master-Struktur, die ja permanent Prüfungen vorsieht, an Prüfungssituationen gewöhnen. Das ist etwas anderes im Vergleich zu den alten Studiengängen, wo man unter Umständen nach vier Semestern das erste Mal eine Klausur erlebt.

In den Medien liest man von zunehmenden Suchtproblemen bei Studierenden. Ist das Problem tatsächlich so schlimm?

Das ist schwer zu sagen. Bei uns melden sich kaum Studierende mit einer Suchtproblematik und wir erfragen nicht regelhaft, ob es eine gibt. Wir haben aber auf unserer Internetseite Selbsttests zum Thema Sucht und waren erstaunt, dass die Klickzahlen im deutlich vierstelligen Bereich liegen. Insofern scheint das Thema unter Studierenden durchaus virulent zu sein, aber es ist nichts, womit man sich unbedingt an uns wendet.

Worauf beruht denn die Statistik des Jahresberichts? Sind es die Selbsteinschätzungen der Studierenden bei der Anmeldung oder die Diagnosen der Berater/innen?

Natürlich geben die Studierenden bei der Anmeldung an, warum sie eine Beratung wünschen. Aber die Zahlen beruhen auf der Einschätzung der Berater und Beraterinnen, d.h. das deckt sich nicht unbedingt mit dem Selbstbild, mit dem Studierende sich hier anmelden. Doch es gibt da eine relativ hohe Deckung.

Woher kommt die starke Zunahme an Neuanmeldungen?

Da sind wir natürlich immer auf Spekulationen angewiesen. Aber man kann schon sagen, dass die Akzeptanz von psychologischer Beratung in der Bevölkerung unglaublich gestiegen ist. Während es vor 20 Jahren noch ein echtes Stigma war, sich in eine psychologische Beratung zu begeben, ist das heute wesentlich selbstverständlicher geworden.

Man kann sich ja im Grunde in jedem Lebensbereich beraten lassen. Nach dem Motto: Wenn mein Auto kaputt ist, dann gehe ich in die Werkstatt. Und wenn ich merke, ich komme bei einem persönlichen Problem nicht weiter, dann lasse ich mich beraten.

Wie aussagekräftig ist der verzeichnete Anstieg der Neuanmeldungen von Beratungssuchenden überhaupt?

Es gibt Schätzungen der Studierendenwerke, nach denen unsere Zahlen noch viel zu niedrig sind. Sie gehen davon aus, dass nach den Studierendenzahlen und dem angenommenen Prozentsatz mit Bedarf an psychologischer Beratung eigentlich 1440 Anmeldungen im Jahr kommen müssten. Danach haben wir also eigentlich viel zu wenige Neuanmeldungen.

Hat sich auch das Angebot der ZSPB im vergangenen Jahr verändert?

Wir sind sicherlich deutlich besser „auffindbar“ geworden, etwa durch das neu geschaltete Online-Kontaktformular, das die meisten zur Anmeldung nutzen. Die Anmeldung bei der Psychologischen Beratung ist damit sehr niedrigschwellig. Das ist sinnvoll, weil die Erfahrung zeigt: Je eher man ein Problem bespricht, das zu diesem Zeitpunkt meist noch klein ist, desto einfacher ist es zu lösen.

Zudem werden wir referatsintern umstrukturieren und sind guter Dinge, dass wir in der Zukunft den Studierenden mit mehr Ressourcen zur Verfügung stehen werden. Wir werden auch eine offene Sprechstunde einführen, wo man über akute Probleme sprechen und eine weitere Beratung einleiten kann.

Die ZSPB gibt es seit mehr als 20 Jahren. Hat sich die Beratung in dieser Zeit gewandelt?

Die Arbeit mit den Menschen, die zu uns kommen und Rat suchen, eigentlich nicht. Die Fragen sind oft die gleichen wie vor vielen Jahren. Was sich etwas verändert hat – und deshalb haben wir jetzt auch diese Kategorie dazu genommen – ist der Stress. Wir leben ja in einer Zeit, in der wir so viel Freizeit und Wohlstand haben wie nie zuvor. Und trotzdem bemerken wir gesamtgesellschaftliche Phänomene von Atemlosigkeit, Angst und Gestresst-Sein.

Wie kommt es zu diesem Widerspruch?

Die relative Freiheit, in der wir leben, macht auch Stress. Wenn ich frei entscheiden kann, ob ich Mathematik, Medizin, Jura oder Philosophie studieren möchte, dann bin ich auch verantwortlich für das, was ich aus meinem Leben mache. Wenn ich dann merke, mein Studium ist gar nicht das richtige für mich, ist das – in Anführungsstrichen – meine eigene Schuld, es hat mich ja niemand gezwungen. Diese Form von Verantwortung ist auch stressig.

Was ist, wenn jemand in Ihre Beratung kommt, der Symptome einer schweren psychischen Erkrankung zeigt?

Wir sind zwar ausgebildete Psychotherapeuten, aber wir stellen grundsätzlich keine Diagnosen. Wir sind auch keine Kliniker und führen keine Behandlung durch – auch bei der „Hilfe und Orientierung für psychisch erkrankte Studierende“ (HOPES) nicht.

Wir würden weiter verweisen, etwa an eine(n) Psychotherapeuten/in, und wir würden mit dem oder der Studierenden darüber sprechen, wofür die Symptome ein Anzeichen sein könnten. Unsere Aufgabe ist es, zu beraten – und zwar sehr fokussiert auf das Spektrum „Universität“, etwa bei Prüfungsangst oder Lernproblemen.

Sie sprachen gerade das Programm HOPES an. Was ist das?

HOPES haben wir in dieser Form zum ersten Mal in unserem Jahresbericht berücksichtigt. Es bedeutet "Hilfe und Orientierung für psychisch erkrankte Studierende" und ist im Grunde ein Projekt zur Wiedereingliederung für Studierende aller staatlichen Hamburger Hochschulen, das es bereits seit längerem gibt und das früher am Universitätsklinikum Eppendorf angesiedelt war.

Wer eine psychiatrische Erkrankung hat, vielleicht sogar in einer Klinik behandelt wurde und nun wieder in den Alltag und damit auch das Studium zurückfinden soll, wird dabei durch HOPES unterstützt – entweder in Kleingruppen oder Einzelgesprächen.

Das Konzept ist also ein anderes als bei der allgemeinen psychologischen Beratung?

Ja. Bei der Beratung kommen die Klienten vielleicht mit der Bitte: Hilf mir mein Problem, beispielsweise Prüfungsangst, zu lösen. Bei HOPES dagegen würden sie sagen: Hilf mir, mit meinem persönlichen Problem zu Recht zu kommen, damit ich die Probleme im Studienalltag lösen kann. Es geht also weniger um ein akutes Problem, sondern darum, mit einer vorhandenen Diagnose – etwa Depression oder Schizophrenie – zu leben und damit trotzdem gut studieren zu können.

Das Gespräch führte A. Priebe
 
 
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