UHH Newsletter

Februar 2010, Nr. 11

CAMPUS

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Portrait von Martha Muchow (1930), Quelle: Hans Heinrich Muchow



Ansprechpartnerin:

Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland
Professorin für Erziehungswissenschaft

Von Melle Park 8
20146 Hamburg

t. 040-42838-2157
e. H.Faulstich-Wieland-at-uni-hamburg.de

Martha Muchow: Historische Dokumente entdeckt

Der Name Martha Muchow dürfte inzwischen jedem bzw. jeder an der Universität geläufig sein. Nach der an der Hamburger Universität in den 1920er und 30er Jahren forschenden und lehrenden Psychologin wurde 2007 die Bibliothek der Fakultät EPB benannt. Nun sind in den USA die Originalmaterialien ihrer vielversprechenden Studie zur „privaten Magie“ aufgetaucht, die bisher als verschollen galten. Die Dokumente wurden Anfang Februar der Martha-Muchow-Bibliothek übergeben und stehen somit der Forschung wieder zur Verfügung.
Bei der Studie ging es darum, jene „magischen Bräuche“ zu untersuchen, mit denen Kinder und Jugendliche ihr Schicksal und ihre Unternehmungen positiv zu beeinflussen suchen oder sich eines glücklichen Ausgangs versichern wollen. Es stellte sich heraus, dass „Individualmagie“ – jenseits von Daumendrücken und Klopfen auf Holz – im Kindesalter weit verbreitet ist, wie beispielsweise die Beachtung des immer gleichen Ablaufs eines Vorgangs, das Zählen oder es zu vermeiden, auf Pflasterritzen zu treten.

Martha Muchow, 1892 in Hamburg geboren, war zunächst Lehrerin an der Volksschule. Ihre wissenschaftliche Begabung führte sie jedoch bereits 1915 an das Psychologische Laboratorium, eine Abteilung innerhalb des Allgemeinen Vorlesungswesens, das eine der bedeutenden Vorläufereinrichtungen der heutigen Universität Hamburg war. Sie wurde schließlich auch eine der ersten Studentinnen, die sich in das Fach Psychologie der 1919 gegründeten Hamburger Universität einschrieb. 1923 wurde sie summa cum laude promoviert und ihr Lehrer, der Psychologe und Philosoph William Stern, war froh, sie als Assistentin am Psychologischen Laboratorium behalten zu können.

Ende der 20er begann sie gemeinsam mit dem Entwicklungspsychologen Heinz Werner die Arbeit an der Studie über magische Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen und entwickelte einen Fragebogen, dessen Ergebnisse bis vor wenigen Wochen als verloren galten. Sie gelangten jedoch, wie sich jetzt herausstellt, mit Heinz Werner in die USA, genauer: an die Clark University in Massachusetts, wo er ab 1947 tätig war.

Während eines Forschungsaufenthaltes wurde Dr. Meike Watzlawik von der TU Braunschweig auf die Papiere aufmerksam gemacht. Sie erkannte die Bedeutung des Fundes und sorgte schließlich dafür, dass die originalen Typoskripte an die Martha-Muchow-Bibliothek unserer Universität übergeben wurden. Es existieren nun im Archiv der Bibliothek 450 von 543 sehr persönlichen Antwortprotokollen zu magischen kindlichen Bräuchen aus der Zeit um 1930 – eine wichtige zeitgenössische Quelle, die es noch auszuwerten gilt.

„Es sollte herausgefunden werden, wie sich Denkordnungen und Handlungslogiken jenseits naturwissenschaftlicher Rationalität im Laufe der Biografie entwickeln, welche Relevanz sie in welchen Lebensaltern haben, wann und warum sie ihre Verbindlichkeit einbüßen“ – so fasst Prof. Hannelore Faulstich-Wieland von der Universität Hamburg das Forschungsvorhaben zusammen. Der Ethnologe Prof. Andreas Hartmann, Uni Münster, spricht von einem „originellen empirischen Beitrag“ zu einem viel diskutierten Thema: „Das Vorhaben stand in jenem großen Erörterungszusammenhang, der die Gegensätze von Wissenschaft und Magie, von logischem Denken einer entwicklungspsychologischen Perspektive aussetzte, die vom Primitiven zum Zivilisierten und vom Kind zum Erwachsenen führte.“

1933 wurden Muchows beide Lehrer William Stern und Heinz Werner als Juden von den Nationalsozialisten ihrer Ämter enthoben. Ihrer engen, nicht-jüdischen Mitarbeiterin Martha Muchow wurde daraufhin die kommissarische Leitung des Psychologischen Instituts übertragen, die diese wenige Monate später am Tag ihres 41. Geburtstages an den nationalsozialistischen Erziehungswissenschaftler Prof. Gustav Deuchler abgeben musste. Geschwächt durch den Tod ihrer Mutter und betroffen durch die Vorfälle an der Universität unternahm Martha Muchow zwei Tage später einen Selbstmordversuch, dem sie kurz darauf, am 29. September 1933, erlag.

Quellen:

Faulstich-Wieland, Hannelore: Martha Muchow – Leben und Werk. Laudatio zur Einweihung der Martha-Muchow-Bibliothek der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft am 31.1.2007 (http://www2.erzwiss.uni-hamburg.de/aktuell/muchow.pdf)

Hartmann, Andreas: Private Magie im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Forschungsgeschichtliche und aktuelle Perspektiven. In: Sowi – Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium 25 (1996) H. 1, S. 27–34.
GW
 
 
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