UHH Newsletter

August 2013, Nr. 53

INTERVIEW

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Annette Ranko hat den Deutschen Studienpreis 2013 für ihre Dissertation an der Universität Hamburg erhalten. Foto: Körber-Stiftung/David Ausserhofer


Kontakt:

Annette Ranko
GIGA Institut für Nahost-Studien
Neuer Jungfernstieg 21
20354 Hamburg

t. 040.42825-537 oder -523
e. annette.ranko-at-giga-hamburg.de

Machtkämpfe in Ägypten: Interview mit der Preisträgerin des Deutschen Studienpreises Annette Ranko

Im Juli erhielt Annette Ranko den mit 30.000 Euro dotierten Deutschen Studienpreis für ihre Doktorarbeit zum Weltbild der Muslimbrüder in Ägypten, mit der sie an der Universität Hamburg promoviert wurde. Die 33-jährige Zeithistorikerin befragte für ihre Arbeit hochrangige Mitglieder der ägyptischen Muslimbruderschaft und analysierte, was von dieser politischen Kraft zu erwarten ist. Wir haben mit ihr über ihr Interesse an Ägypten, die aktuellen Eskalationen und darüber gesprochen, wie man an das Zentrum dieser einflussreichen islamistischen Bewegung gelangt.

Ihre Doktorarbeit hat den Titel „The Egyptian Muslim Brotherhood under Mubarak (1981–2011)“. Darin analysieren Sie die Entwicklung und Erstarkung der ägyptischen Muslimbruderschaft unter Mubarak. Sie haben auch das Weltbild dieser islamistischen Bewegung untersucht und wie es sich mit westlichen Demokratievorstellungen verträgt.

Welche Art von Staat stellen sich die Muslimbrüder vor?

Die Muslimbruderschaft stellt sich einen Staat vor, den sie selbst „einen demokratischen Zivilstaat mit islamischem Referenzrahmen“ nennt. Diese Staatsvorstellung zerfällt sozusagen in zwei Teile: in einen zivilen demokratischen Staat, der sich vor allem auf den Aufbau von staatlichen Institutionen und politischen Entscheidungsstrukturen bezieht. Auf dieser prozessualen Ebene integriert man westliche demokratische Konzepte. Es soll bspw. freie regelmäßige Wahlen geben, Machtrotation durch Wahlen, Gewaltenteilung und Parteienpluralismus.

Dann gibt es aber noch den anderen Teil des Staates, der durch den islamischen Referenzrahmen abgedeckt ist, und hier sollen im Bereich der Kultur und der Moral stark konservative islamische Werte gelten und auch durch den Staat umgesetzt werden. Das tangiert natürlich vor allem die Rolle der Frau, aber genauso auch das Verhalten von Männern gegenüber Frauen im öffentlichen Raum.

Wie wollen die Muslimbrüder das erreichen?

Nach dem Sturz Mubaraks hat die Muslimbruderschaft in den ersten Parlamentswahlen fast 45% der Stimmen erhalten. Und die erste Präsidentschaftswahl haben sie auch für sich entscheiden können. Mohammed Mursi wurde damit der erste Präsident aus den Reihen der Muslimbrüder überhaupt. Diese Mehrheit hat man natürlich beim Schreiben der Verfassung eingesetzt. Die Verfassung, die 2012 erarbeitet und nun ausgesetzt wurde, ist vom Staatsverständnis der Muslimbruderschaft durchdrungen.

Für Ihre Arbeit haben Sie Mitglieder des Führungszirkels der Muslimbrüder – damals unter Mubarak noch in der Opposition – interviewt. Wie einfach war es, die politische Führungselite zu einem Gespräch zu bewegen, zumal als Frau?

Mit den Muslimbrüdern ins Gespräch zu kommen war immer dann schwieriger, wenn gerade eine Repressionswelle des Regimes gegen sie im Gange war. Ansonsten ist es mir vor allem darüber gelungen, dass mir ägyptische oder deutsche Wissenschaftler vor Ort weitergeholfen haben mit ihren Kontakten oder dass ich auch eigene Kontakte aus meinem Studium nutzen konnte – ich hatte in Kairo studiert. Bekannte, die bei linken oder liberalen Oppositionsgruppen aktiv waren, konnten mir dann Kontakte zu Muslimbrüdern, mit denen sie z.B. bei Demonstrationen kooperiert hatten, verschaffen.

Stellte der Umstand, dass Sie eine Frau und Christin sind, ein Problem für Ihre Recherchen dar?

Nein, ich konnte ganz normal meine Recherchen durchführen. Ein Problem hätte eher bedeuten können, dass ich Westlerin bin, das ist der erste Graben, den man überwinden musste. Die Tatsache, ob man Christin oder Muslimin war, war eigentlich nicht relevant. Ich wurde manchmal darauf angesprochen, welcher Religion ich angehöre, aber eigentlich nicht vornehmlich von Muslimbrüdern, sondern auch von anderen Oppositionellen. Aber wenn man sich darauf berief, Christin zu sein, war das kein weiteres Thema.

Woher rührt Ihr Interesse an Ägypten?

Mich haben schon früh soziale Ungleichheiten, die man z.B. als Kind im Urlaub mit seinen Eltern beobachten konnte, und die unterschiedlichen Lebensstandards, die ich in Westeuropa und der arabischen Welt und vor allem Ägypten gesehen hatte, interessiert. Es hat mich immer interessiert, wie diese Gefälle entstehen können.

Die islamistische Muslimbruderschaft hat einen interessanten Weg hinter sich. Unter Mubarak wurde sie politisch unterdrückt. Aus der ersten freien Wahl nach dem ägyptischen Frühling trat sie dann aber als stärkste Kraft hervor. Mohammed Mursi wurde 2012 in einer Stichwahl sogar mit 51,7% der Stimmen gewählt. Ein Jahr später ist das Volk gegen ihn auf die Straße gegangen und hat so viel Druck aufgebaut, dass er durch das Militär abgesetzt wurde. Was hat Mursi bzw. was haben die Muslimbrüder falsch gemacht?

Ich glaube, der größte Fehler der Muslimbrüder war, dass sie nach dem Sturz Mubaraks ihre eigentlich konziliante und kooperative Linie, die sie vor allem in den letzten zehn Jahren unter Mubarak verfolgt haben, zu einem großen Teil aufgeben haben. Vor dem Sturz Mubaraks haben sie mit vielen Linken und Liberalen kooperiert. Sie hatten den Slogan: „Partizipieren, nicht dominieren“. Seit dem Sturz Mubaraks hat das abgenommen. Sie haben dann die Macht nicht gerade an sich gerissen, sie haben schließlich durch Wahlen gewonnen, aber sie haben die Macht genutzt. Das ist vielen anderen Kräften aufgestoßen, die sich ignoriert gefühlt haben.

Der größte Fehler war, denke ich, dass die Muslimbrüder zusammen mit anderen islamistischen Kräften in der verfassungsgebenden Versammlung die anderen Kräfte an den Rand gedrängt haben.

Derzeit eskaliert die Gewalt. Hat sich die Muslimbruderschaft wieder radikalisiert?

Die Gefahr, dass sich im islamistischen Spektrum einzelne Kräfte oder größere Teile radikalisieren, ist natürlich gegeben, stärker als es noch in den letzten Jahren der Fall war. Wobei man natürlich auch immer sagen muss, dass das islamistische Spektrum viel größer ist als die Muslimbruderschaft und auch ehemals gewaltbereite Teile umfasst wie Gamaa Islamiya, die in den 90er Jahren zahlreiche Terrorakte verübt hat. Hier ist eine Rückkehr zur Gewalt durchaus gegeben.

Und wie groß ist die Chance, dass Militär, liberale Kräfte und die Muslimbrüder den Dialog wieder aufnehmen? Was müsste geschehen?

Beide Seiten müssten sich dialogbereit zeigen. Einerseits müsste das Militär nicht bloß Lippenbekenntnisse abgeben, dass es die Muslimbruderschaft integrieren will, sondern auch mit Verhaftungswellen und strafrechtlicher Verfolgung angemessen umgehen.

Und die Muslimbruderschaft muss natürlich auch von ihrer Hardliner-Position abgehen, dass sie mit niemandem reden. Offiziell ist ja die Position, dass sie mit niemandem aus der neuen Regierung in Dialog treten, solange nicht Mursi wieder an der Macht ist. Beide müssten sich also aufeinander zubewegen.

Wie populär ist die Bewegung der Muslimbruderschaft heute? Würden die Muslimbrüder, wenn heute gewählt würde, wieder fast 40% der Wählerstimmen auf sich vereinen?

Ich denke, dass sie 40% zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr erreichen würden. Viele dieser Wähler gehörten nicht zur Kernanhängerschaft, sondern waren Sympathisanten, die sich von der Performance der Muslimbruderschaft in den letzten Jahren unter Mubarak beeindruckt gezeigt haben. Viele waren von der Muslimbruderschaft beeindruckt, da sie seit 2005 stärkste Kraft im Parlament war und immer wieder gegen Mubaraks autoritäre Herrschaft eingetreten ist.

Seit Mursis Präsidentschaft haben sich diese Sympathiewähler aber so ziemlich erledigt. Momentan gibt es noch die Kernanhängerschaft der Gruppierung, aber es ist unklar, wie groß die wirklich ist, weil die Organisation jahrzehntelang eine illegale Organisation war und vielleicht bald wieder sein wird, d.h. es gibt keine verlässlichen Zahlen über die Anhängerschaft der Gruppe.

Derzeit sind Sie beim GIGA angestellt als Islamismus-Expertin. Wie stellen Sie sich Ihre weitere wissenschaftliche Karriere vor?

Im Fokus steht jetzt auf jeden Fall die Publikation der Doktorarbeit, möglichst bei einem guten Verlag. Die Arbeit wurde ja auf Englisch verfasst und viele der britischen und amerikanischen Verleger verlangen eine mehrmonatige Überarbeitung des Textes, so dass ein gut lesbares Werk dabei herauskommt. Das hat jetzt auf jeden Fall Priorität und dann habe ich auch schon für die nächsten zwei, drei Jahre Ideen für das nächste Forschungsprojekt.


Annette Ranko biographisch:

Annette Ranko hat Arabisch, Französisch und Neugriechisch an den Universitäten Paris Diderot, Paris Sorbonne und Mainz-Germersheim studiert und anschließend den Studiengang „Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien“ an der Universität Passau. Ein einjähriges Auslandsstudium hat sie an der Universität Kairo absolviert. Anschließend legte sie den Master of Arts in „Near and Middle Eastern Studies“ an der Universität London ab. Ihre Doktorarbeit verfasste sie an der Universität Hamburg als Mitglied im Doktorandenprogramm des Instituts für Nahost-Studien, Leibniz-Institut für Regionale und Globale Studien (GIGA) in Hamburg. Seit März 2011 arbeitet sie dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit dem Zuständigkeitsbereich Islamismus, islamische Bewegungen.

Deutscher Studienpreis:

Mit dem Deutschen Studienpreis zeichnet die Körber-Stiftung unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Norbert Lammert die wichtigsten Dissertationen des Jahres aus. Die drei mit je 30.000 Euro dotierten Spitzenpreise gingen 2013 an Annette Ranko von der Universität Hamburg, Philip Mader von der Universität zu Köln und Anne Jung von der Universität des Saarlandes.

Das Gespräch führte Giselind Werner.
 
 
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