UHH Newsletter

August 2012, Nr. 41

CAMPUS

/onTEAM/newsletter/images/medi101344589518.jpg
3D-Modelle von den Zahnreihen eines Spitzmaulnashorns. Wissenschaftler im Forschungscluster „Zahnfunktion“ haben eine spezielle Software entwickelt, mit der Tiere und Menschen virtuell „Kauen lernen“. Durch Simulierung der Nahrung können sogar die Kräfte berechnet werden, die beim Kauen entstehen. Foto: UHH/Hallay



Kontakt:

Prof. Dr. Thomas M. Kaiser
Biozentrum Grindel und Zoologisches Museum Hamburg

t. 040 42 838-7653
e. Thomas.kaiser-at-uni-hamburg.de

Dr. Ellen Schulz
Biozentrum Grindel und Zoologisches Museum Hamburg

t. 040 42 838-5315
e. Ellen.schulz-at-uni-hamburg.de

Auf den Zahn gefühlt: 3D-Analyse von Tierzähnen verrät Essverhalten

„Zeig uns deine Zähne, und wir wissen, was du isst“ – nach diesem Motto arbeitet das Wissenschaftler-Team der Abteilung „Säugetiere“ des Zoologischen Museums der Universität Hamburg um Prof. Dr. Thomas Kaiser und Dr. Ellen Schulz. Es untersucht die Abnutzung von Tierzähnen und kann aus den Ergebnissen auf die Nahrung und das Essverhalten der Probanden schließen. Mit 3D-Analysen und erstmals auch mit industriellen Mess-Standards wurden unter anderem die Kauflächen von Affenzähnen betrachtet.
Es hat viel von geographischen Analysen, es geht um die Tiefe der Täler und die Höhe der Hügel. Doch bei der Arbeitsgruppe „Säugetiere“, stehen keine Landschaften im Fokus des Interesses, sondern Zähne. Mit einer 3D-Kamera werden Zahnabdrücke von allen Seiten fotografiert, im Computer werden die Bilder übereinander gelegt, ein dreidimensionales Modell entsteht. Durch moderne 3D-Drucker können diese sofort plastisch produziert werden, spezielle Laserscanner erlauben eine Analyse kleinster Oberflächenausschnitte.

Hamburger Pioniere auf dem Gebiet der Zahn-Analyse

Bisher ist die Untersuchung von Kauflächen in der Biologie noch Neuland, doch Prof. Dr. Thomas Kaiser, Leiter der Abteilung „Säugetiere“, erklärt: „Der Zahn ist beim Kauen die Schnittstelle zum Lebensraum. Daher muss man verstehen, was an den Zähnen passiert.“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg haben in diesem Bereich einen Schwerpunkt und werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen einer „Forschergruppe“ gefördert.

Mit industriellen Mess-Standards Affenzähne untersucht

In der aktuellen Ausgabe des „Journal of Human Evolution“ berichtet die Forschergruppe von einem Projekt, bei dem sie den Anteil von Früchten an der Nahrung acht verschiedener Affenarten untersuchte. Der im Wortsinn Knackpunkt der Analyse waren die Spuren der Fruchtkerne, die nach dem Zerbeißen auf den Zähnen der Affen zurückblieben. 3D-Laseranalysen machen die Kerben im Zahn sichtbar und ermöglichen es, die Zahn-Oberflächen auf Verschleißspuren hin zu untersuchen. Dabei kommt auch die am Zoologischen Museum entwickelte Methode „Dental Areal Surface Texture Analysis“ (DASTA) zum Einsatz.

Hierbei werden erstmals international genormte Mess-Standards angewandt, die aus der Qualitätssicherung in der Autoindustrie stammen. Dabei werden z.B. geometrische Eigenschaften der Kaufläche wie Tiefe und Weite der Spuren analysiert, die beim Kauen entstehen. Prof. Dr. Thomas Kaiser erzählt: „Wir sind die ersten, die ISO- und DIN- genormte Oberflächen-Messverfahren für die Biowissenschaften nutzen und haben inzwischen manchmal mehr Erfahrung damit als die Industrie.“

Bei den Affen zeigte sich, dass die Zähne der Tiere, die viele Früchte mit großen harten Kernen fressen, eine komplex vernarbte Oberfläche aufweisen und sich von denen anderer Arten unterscheiden, die hauptsächlich Gras rupfen. Mit diesen Erkenntnissen lassen sich auch Rückschlüsse auf die Ernährung bereits ausgestorbener Primaten ziehen.

Mit Zahnanalyse Arten retten

Die Zahnuntersuchungen geben also nicht nur bisher unbekannte Einblicke in die Ernährungsgewohnheiten lebender Tiere. Durch das bessere Verständnis der Lebensansprüche der Arten können bedrohte Spezies gerettet werden. Bei einem Projekt, das sich mit den Nahrungsansprüchen verschiedener Pferdearten befasst, konnte beispielsweise festgestellt werden, dass das Muster der Zahnabnutzung bei fossilen Exemplaren des stark dezimierten Przewalski-Pferdes dem moderner ausgewilderter Artgenossen gleicht. Die Wiederansiedlung war im Hinblick auf die Ernährungsbedürfnisse der Art also erfolgreich.

Zähne als Zeugen des Klimawandels

Mit den neuen Analyse-Methoden können zudem Evolutionsmechanismen aufgedeckt werden: Pflanzennahrung hinterlässt immer Spuren auf den Zähnen, und da die Pflanzen stark vom Klima beeinflusst werden, sind Säugetierzähne so etwas wie ein Klimaarchiv für vergangene Jahrmillionen. „Wir haben hier am Zoologischen Museum seit etwa fünf Jahren ein großes Archiv von Säugetierzähnen. Das ist unsere Arbeitsgrundlage“, beschreibt Thomas Kaiser den Fundus. „Die rund 50.000 Kunststoffabdrücke stammen von fast 1000 Arten und umfassen einen Zeitraum von 50 Millionen Jahren.“ Um Abdrücke zu erhalten, reisen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Museen in der ganzen Welt.
A. Priebe
 
 
Home | Impressum | Datenschutz | Kontakt