UHH Newsletter

Juni 2010, Nr. 15

INTERVIEW

Datenschutz an Hochschulen: Interview Teil 2

Datenschutz und Google Books


Der Datenschutzbeauftragte der Stadt Johannes Caspar ist mit seinem erfolgreichen Einspruch gegen Google Street View gerade über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden. Sie hatten ja bisher in einem ganz anderen Bereich mit Google zu tun, mit Google Books, dem Digitalisierungsprojekt des Unternehmens, dessen Vorgehen, bis auf Widerspruch zunächst mal alles zu digitalisieren und online verfügbar zu machen, aus urheberrechtlicher Sicht äußerst problematisch war.

Wie stehen Sie – als Direktorin einer Staats- und Universitätsbibliothek – zu dem Projekt?


Google Books muss man differenzierter sehen, als das in der schnellen Tagespresse beschrieben werden kann. Zum einen ist Google Books ein amerikanisches Unternehmen und deshalb grundsätzlich an das US-amerikanische Copyright Law gebunden. Hier werden verwaiste und vergriffene Werke anders bewertet, als dies nach den Grundsätzen der kontinentalen Urheberrechtsgesetze der Fall ist. In Europa bedarf jede Verwertungshandlung der ausdrücklichen Zustimmung des Urhebers bzw. Rechteinhabers.

Ist ein Werk verwaist, d.h. ist weder der Urheber noch ein Rechtsinhaber auffindbar, darf das Werk nicht, z.B. digitalisiert und öffentlich zugänglich gemacht werden. Deshalb haben die Interessenverbände der Urheber und das Bundesjustizministerium zu Recht das Vorgehen von Google Books für Urheber in Deutschland „abgemahnt“. Das löst aber das Problem nicht.

Wir stehen vor einer gewaltigen Aufgabe, das kulturelle Erbe im Internet sichtbar zu machen. Zunehmend verschwindet aus unserem Bewusstsein, was nicht digital verfügbar ist. Wir können es an uns selbst bemerken, wie wir Mails der traditionellen Post vorziehen und uns schnell im Netz, z.B. bei Google und Wikipedia Informationen besorgen, anstelle ein Lexikon aufzuschlagen. Egal wie man dazu steht, verhindern wird man diesen Medienbruch nicht. Deshalb sei allen Kritikern empfohlen, die im Netz oft vermisste Qualität selbst herbeizuführen. Dazu gehört auch das Entstehen von Digitalen Bibliotheken.

Selbst wenn alle strittigen Rechte bei Google Books ausgeräumt sind, wäre es nicht sinnvoll, einem privaten Unternehmen allein die Digitale Weltbibliothek zu überlassen. Google Books wird Preise für den Zugang, sogar zu urheberrechtsfreien Werken erheben müssen und bei Kapazitätsproblemen nicht viel gefragte Werke vom Netz nehmen. Der Deutsche Bibliotheksverband hat deshalb dazu eine ausführliche Stellungnahme zum Google Books Settlements abgegeben (www.bibliotheksverband.de).


Online-Bibliotheken: Gefahr oder Chance?


Abgesehen vom Vorgehen Googles beim Book Settlement – sehen Sie eher eine Gefahr oder eine Chance in Digitalisierungsprojekten wie der Europeana, der europäischen Online-Bibliothek? Wird damit das Buch – als haptischer Gegenstand – nicht langfristig überflüssig gemacht? Und wie sehen die Perspektiven für Bibliotheken aus, wenn es nur noch „Digitalisate“ gibt?

Ich bin ein uneingeschränkter Befürworter der digitalen Bibliothek und hoffe auf noch mehr Unterstützung der Politik, als sie es bislang mit der Einrichtung eines Kompetenznetzwerkes zur Deutschen Digitalen Bibliothek, als Beitrag zur Europeana getan hat.

Die Digitalisierung ist eine herausragende Chance für die Wissensverbreitung und den Zugang zu Wissen für jedermann, jederzeit und global. Wir bauen hier in der Staats- und Universitätsbibliothek ein Portal zu „HamburgWissenDigital“ auf. Daran werden nicht nur wir mit unseren Beständen über Hamburg, sondern zugleich das Staatsarchiv und eine Vielzahl von öffentlichen und privaten Einrichtungen beteiligt sein.

Die digitale Technologie ermöglicht uns erstmals das Zusammentragen und die Zugänglichmachung unabhängig von Zeit und Ort. Durch die Vernetzung und Anreicherung dieser unterschiedlichen Informationen entstehen Mehrwerte, die ein Interessierter nur durch zeitraubende Suche und Wandern von Ort zu Ort vorher erreichen konnte.

Es gibt so viele Bücher in den Archiven der Bibliotheken dieser Welt, jährlich erscheinen allein in Deutschland 90 Tausend neue Titel, Auflagen usw. Bis diese alle digitalisiert sind und Technologien für die Nutzung der Digitalisate in künftigen Betriebssystemen vorhanden sind, werden wir alle noch Bücher in den Händen halten. Die hybride Bibliothek ist auf lange Zeit noch die Bibliothek der Zukunft.

Bibliotheken werden trotz der hohen Verfügbarkeit von elektronischen Ressourcen immer stärker frequentiert. Die Besucherzahlen steigen, obwohl gerade wissenschaftliche Werke zunehmend online erscheinen. Die Staatsbibliothek zählt täglich durchschnittlich 4.000 Besucher und ist an allen Tagen der Woche geöffnet. Die Besuche im Netz liegen bei über 9 Mio., weil dort u.a. E-Books ausgeliehen werden können und andere Funktionen den Besuch in der Bibliothek sogar überflüssig machen.

Bibliothekare sind Lotsen durch die heutige hybride Informationsflut, sie lehren Informations- und Medienkompetenz und erschließen digitale Inhalte; Bibliotheken sind Lern- und Kommunikationsorte geworden und das ist ihre Zukunft.

Mir ist, gerade in einer digitalen Welt, um die Zukunft der Bibliotheken nicht bang.


Die Praxis an der SUB



Wie viel Prozent des Bestandes der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg liegt bereits digitalisiert vor?

23% des Bestandes sind elektronische Ressourcen. Dazu zählen vor allem elektronische Datenbanken, Journale, E-Books und Dissertationen. Des Weiteren gehört zu uns ein Open Access Verlag (Hamburg University Press), in dem Werke online erscheinen und parallel Druckausgaben bestellt werden können. Hier erscheinen zum Beispiel die international anerkannten Fachzeitschriften des German Institute of Global and Area Studies (GIGA), Open Access Publikationen des Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), aber auch die „Hamburger Universitätsreden“ der Universität Hamburg.

Bei der Digitalisierung von analogen Beständen haben wir uns auf den Hamburg-Bezug ausgerichtet, viele sind bereits über unsere Websites aufrufbar, oder werden zurzeit für das Portal „HamburgWissenDigital“ aufbereitet.

Und wie sind die Lizenzen derzeit geregelt: Können die Nutzer digitale Bücher ausleihen oder sind sie nur in der Bibliothek einzusehen? Gibt es Kopierbeschränkungen bei eBooks?

Soweit ein Werk nicht open access angeboten wird, erwirbt die Staats- und Universitätsbibliothek grundsätzlich Campuslizenzen, d.h. die digitalen Bücher, Zeitschriften und Datenbanken sind in der Regel für alle Studierende der Universität online zugänglich, ohne das man die Bibliothek betreten muss. Wir sprechen uns aber auch mit den anderen Hochschulbibliotheken ab, um bei Bedarf hochschulübergreifende Lizenzen zu erwerben. Meist sind vom Online-Zugang jedoch unsere so genannten Stadtleser, d.h. nicht Hochschulangehörige ausgeschlossen; sie müssen die Bibliothek aufsuchen, um einen Zugang zu erhalten. Jede Lizenz ist anders, der eine Nutzungsvertrag erlaubt das uneingeschränkte Kopieren, der andere nur kleine Teile in Hardcopy.

Ist das gegebene Urheberrecht aus der Sicht der Bibliotheken eine optimale Lösung oder sehen Sie darin eher eine Schranke für die digitale Nutzung von Büchern?

In der analogen Welt hielt das Urheberrecht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen exklusiven Rechten der Urheber und gesetzlichen Schranken für Bildung und Wissenschaft vor. Die Kompensation erfolgte durch die Entrichtung einer angemessen Vergütung durch Bund und Länder an Verwertungsgesellschaften. In der digitalen Welt ist diese Balance ins Wanken geraten.

Es gibt ein sehr starkes Bestreben, die Vertragsfreiheit, d.h. ausschließliches Lizenzieren durch Verlage und andere Anbieter, der Nutzung im Rahmen von gesetzlichen Lizenzen den Vorrang einzuräumen. Hier müssen die Interessenverbände für Bildung und Wissenschaft massiv Protest einlegen, damit der demokratische Zugang zu Wissen nicht künstlich verknappt werden kann.

Nur weil ein Werk digital erscheint, kann es nicht angehen, dass letztendlich der Geldbeutel über den Zugang zu Wissen entscheidet. Unbestritten müssen wir aber neue Geschäftsmodelle für die Nutzung und Vergütung von digitalen Werken finden und zu einer Stärkung des Urhebers zurückkehren. Denn nur weil ein Werk bequem von jedermann kopiert werden kann, darf der Urheber nicht seiner Lebensgrundlage beraubt werden.


Open Access: Enteignung des Urhebers?


Sie setzen sich auch sehr prominent für die Open-Access-Bewegung ein und wollen damit den freien Zugang zu wissenschaftlicher Literatur im Internet erreichen, eben jener wissenschaftlichen Literatur, die Ergebnis öffentlich geförderter Forschung ist. Diese Forderung wird von allen großen deutschen Wissenschaftsorganisationen unterstützt.

Von einer Realisierung der Forderungen ist man dennoch weit entfernt. Mit welchen Widerständen hat die Open-Access-Bewegung zu kämpfen?


Vor allem mit Vorurteilen. Das Gerücht, der Urheber werde beim Open Access enteignet, stimmt einfach nicht. Im Gegenteil, er übt ganz sein gesetzlich verbrieftes Recht aus, Dritten Nutzungsrechte einzuräumen. Diese heißen Open Access. Dann mit Schwarz-Weiß-Denken. Es gibt Befürworter, die Open Access für die einzige Publikationsform halten. Sie verkennen, dass renommierte wissenschaftliche Verlagserzeugnisse nicht ohne Grund dieses Renommee erreichen.

Die Begutachtung, die Qualitätssicherung, die Vertriebswege, das Marketing und nicht zuletzt die damit verbundene Reputation, die der Autor dort erlangt, machen den Wert von vielen Verlagserzeugnissen aus. Diese Voraussetzungen müssen Open-Access-Publikationen ebenfalls erfüllen, wenn sie auf dem Wissenschaftsmarkt die Autoren überzeugen wollen.

Die Diskussionen und Geschäftsmodelle sind aber seit der „Berliner Erklärung“ aus dem Jahre 2003, in der sich alle Wissenschaftsorganisationen für Open Access aussprachen, schon viel differenzierter geworden. Wir müssen unterscheiden zwischen dem so genannten goldenen und grünen Weg des Open-Access-Publizierens sowie zahlreicher Mischformen, auch zwischen konventionellen Verlagsprodukten und zeitgleichem bzw. mit verzögertem Open-Access-Zugang.

Das Kooperationsmodell zwischen dem de Gruyter Verlag und dem Verlag der Staatsbibliothek (Hamburg UP), das „Living Handbook of Narratology“ möchte ich hier als ein Beispiel anführen. Sechs Monate nach Erscheinen des gedruckten Verlagserzeugnisses beim deGruyter Verlag, wird auf der Website von Hamburg UP das Werk open access zugänglich sein. Einige Wissenschaftsverlage bieten bereits heute in ihren Verlagsverträgen den Autoren ein nicht kommerzielles Open-Access-Recht standardmäßig an.

Ein Widerstand soll abschließend nicht unerwähnt bleiben: auch Open-Access-Publizieren kostet Geld. Die Frage ist hierbei, wer zahlt? Der Autor, die Hochschule, das Forschungsinstitut? Der Nutzer jedenfalls nicht, denn der genießt die Vorteile des Open Access.

Wie lauten daher Ihre Wünsche, was die Zugänglichmachung wissenschaftlicher Publikationen betrifft?

Neues Wissen entsteht nur durch die Auseinandersetzung mit vorhandenem. Ich wünsche mir deshalb einen professionellen Verlagsmarkt, der sich wieder als Teil der Verwertungskette versteht und zu angemessenen Preisen aufbereitete wissenschaftliche Publikationen anbietet.

Den wissenschaftlichen Autoren wünsche ich mehr Bewusstsein als Inhaber der ausschließlichen Verwertungsrechte, um diese verantwortungsbewusst für den ungehinderten Zugang zum Wissen einsetzen zu können. Open Access ist dabei ein ernstzunehmendes Geschäftsmodell. Zweitverwertungsrechte nach Ablauf einer Veröffentlichungsfrist zugunsten der institutionellen Repositorien ein weiteres.

Und dann ist es dringend Zeit, wieder zu einer Interessenbalance im Rahmen der gesetzlichen Ausnahmen für Bildung und Wissenschaft zurückzukehren. Die Zugänglichmachung von Wissen darf nicht allein den Marktgesetzen unterliegen, das wünsche ich mir am meisten.

Frau Beger, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Giselind Werner.
 
 
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