UHH Newsletter

Juli 2012, Nr. 40

INTERVIEW

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Ethnologieprofessorin und Bloggerin: Prof. Dr. Helena Ruotsala ist seit April DAAD-Gastdozentin an der Universität Hamburg. Foto: UHH/Werner



Kontakt:

Prof. Dr. Helena Ruotsala
Institut für Finnougristik/Uralistik
Johnsallee 35
20148 Hamburg

t. 040.42838-4835
e. helena.ruotsala-at-uni-hamburg.de


Homepage von Prof. Dr. Ruotsala (auf Englisch): www.hum.utu.fi/oppiaineet/kansatiede/en/personnel/helena.html

Blog von Helena Ruotsala: serendipitybyanethnologist-helena.blogspot.de

Über Stereotype von Deutschen und Finnen: Gespräch mit der Ethnologin Helena Ruotsala

Wie sieht das Leben in Deutschland durch die Augen einer Finnin aus? Insbesondere wenn sie Ethnologin ist und sich auf europäische Kulturen spezialisiert hat… Wir haben uns mit Prof. Dr. Helena Ruotsala von der Universität Turku getroffen, die derzeit DAAD-Gastdozentin an der Universität Hamburg ist. Ihre Beobachtungen in Deutschland hält sie in einem unterhaltsamen Blog fest – auf Finnisch.
An der Uni Hamburg haben Sie ein Seminar angeboten „Wie Finnen sind“. Wie sind denn die Finnen?

Ein gängiges Klischee ist, dass der Finne an sich schweigsam ist. Ich finde aber, dass ist nur ein Mythos. Ein Mythos, den die Finnen heute selbst aufrechterhalten und nähren – als finnische Exotik und Unterscheidungsmerkmal gegenüber den anderen Europäern. Immerhin haben wir Handys und die SMS erfunden…

Aber ich will in meinem Kurs ein vielseitiges Bild von den Finnen zeigen, hinter Stereotypen und Klischees schauen, einseitige Sichtweisen relativieren.

Wir sind zum Beispiel praktisch und machen das, was wir versprochen haben. Außerdem sind wir daran gewöhnt, ohne fremde Hilfe zurechtzukommen.

Und wie sehen andere die Finnen?

Laut einigen Büchern, geschrieben von deutschen Schwiegersöhnen, spinnen wir Finnen, haben merkwürdige Spiele und Sportarten – wie z.B. eukonkanto, „Frauentragen“ und suopotkupallo, „Matschfussball“ –, leben in der Wildnis mit Mücken und Elchen, haben „Sisu“ (etwa: Unnachgiebigkeit oder Kampfgeist, Anm. d. Red.), tanzen Tango und trinken viel Alkohol.

Außerdem – zumindest laut meinen Student/innen – haben die Finnen gute Heavy Metal- und Ethnomusikbands, schnelle Autofahrer und gute Eishockeyspieler. Meistens durchaus positive Stereotype, die aber auch etwas exotisch sind.

Und wie sind die Deutschen in den Augen der Finnen?

Stereotypen über die Deutschen sind z.B., dass sie Besserwisser sind, direkt, arrogant, ordnungsliebend, fleißig, pedantisch, effektiv, formell, sparsam oder eben geizig. Autorität ist ihnen sehr wichtig, aber auch sie können das Leben genießen. Und sie sind gute Fußballspieler.

Und wie entstehen solche Fremdbilder?

Wenn wir keine, wenig oder nicht genug Kenntnisse über fremde Leute haben, wenn die Kulturen fremd für uns sind. Stereotype helfen uns, uns in unterschiedlichen sozialen Kontexten zurechtzufinden. Sie ordnen und systematisieren unser Wissen. Stereotype vereinfachen und generalisieren, aber bieten darin auch die Möglichkeit, das Bild einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer Kultur neu zu überdenken und umzuformen.

Wir bauen solche Bilder von uns auch selbst; gerade das Bild von den schweigenden Finnen, siehe z.B. die Filme von Aki Kaurismäki.

Ich persönlich bin ein großer Fan von Aki Kaurismäki, der mein Finnland-Bild tatsächlich entscheidend geprägt hat. Welcher deutsche Regisseur bestimmt denn das Deutschland-Bild der Finnen?

Für Finnen basiert das Deutschland-Bild meistens auf den deutschen Krimis; z.B. „Der Alte“, „Ein Fall für zwei“, „Bella Block“. Auch Rainer Werner Fassbinder oder Wim Wenders sind bekannt. Die deutschen Krimis und „Tatort“ sind sehr populär in Finnland. Aber für mich ist die Nummer 1 „Heimat“ von Edgar Reitz.

Und wer ist der entscheidendste deutsche Kulturträger bzw. der oder die bekannteste Deutsche in Finnland?

Rammstein. Absolut Rammstein.

So viel zum Auseinanderklaffen von Eigen- und Fremdbildern. Kommen wir noch auf einen anderen Teil Ihrer Forschung zu sprechen. Ein Fokus Ihrer Arbeit sind die Mari, die so genannten Wolga-Finnen, die auch heute weitestgehend traditionell leben. Was genau untersuchen Sie da?


In meinen Studien über die Mari untersuche ich die Effekte der Modernisierungsprozesse auf das Alltagsleben der Mari-Frauen. Ich habe ein Mari-Dorf besucht und untersucht, wo Frauen ihre Bereiche und ihren Raum haben. Inwiefern haben sich die Position und die Rolle der Mari-Frauen geändert? Das ist die Frage, der ich gefolgt bin.

Beobachten Sie so etwas wie Verlust an Kultur, bspw. durch die Globalisierung?

In der digitalen, globalen und mobilen Welt verlieren Distanzen ihre Bedeutung. Zeit und Raum werden komprimiert. Kulturen geraten in Austausch miteinander. Das gab es schon immer. Kulturen haben immer Impulse aus anderen Kulturen bekommen; das ist eine Bedingung dafür, dass die Kulturen leben und überleben.

Aber die kleinen Kulturen oder Völker wie die Saami und Mari sind Einflüssen von außen gegenüber weniger gewappnet, sie haben nicht die gleichen Möglichkeiten, ihre Kultur, Identität zu behaupten. Die kleinen Sprachen – auch die saamische Sprache in Finnland – sind in Gefahr, sie stehen unter dem Druck der Mehrheitssprachen. Aber was passiert mit einem Volk, wenn es seine Sprache verliert? Die Sprache ist eine Basis für ihre Kultur. Auch dieser Frage gehe ich in meiner Forschung nach.

In Ihrem Blog notieren Sie, was Ihnen so im Alltag auffällt. Jetzt sind Sie schon einige Monate hier. Was erstaunt Sie am Alltag in Deutschland immer noch am meisten?


Zum Beispiel bin ich erstaunt über manche unpraktischen Sachen im Alltag, wie Türen, die man doppelt abschließen muss. In Finnland lassen wir einfach die Tür ins Schloss fallen und sie ist zu.

Ungewöhnlich für mich ist auch die Praxis des Duzens und Siezens. Sogar alte Arbeitskollegen siezen sich. Oder auch, dass alle ausländischen Filme synchronisiert werden: Warum ist das so? Oft habe ich auch den Satz gehört, „ich bin nicht zuständig“.

Toll finde ich, dass man beinahe überall gute Bedienung bekommt – bei uns gibt es viel mehr Selbstbedienung in Cafés.

Ein sehr aktueller und spannender Unterschied ist die Rolle und Bedeutung des Fußballs: Er ist für die Deutschen sehr wichtig. Fußball-Fans bilden quasi einen eigenen „Stamm“. Der Fußball verbindet verschiedenste Menschen, Klassen und Gruppen. Ich habe mit großer Begeisterung (und mit Erstaunen) das Fußball-Fieber angeschaut. Aber warum müssen die Deutschen alles zu Tode analysieren, sie (zumindest einige Journalisten) sind niemals zufrieden…


Biografische Informationen:

Prof. Dr. Helena Ruotsala, 1957 in Kittilä, im zu Finnland gehörenden Teil Lapplands geboren, promovierte an der Universität Turku im Fach Volkskunde zum Thema: „Rentierhaltung im zu Finnland gehörenden Teil Lapplands und auf der Kola-Halbinsel“. Seit 2012 ist sie Professorin für Europäische Ethnologie an der Universität Turku. Im Zentrum ihrer Forschung stehen derzeit der grenzüberschreitende Alltag und die Multilokalität in der Zwillingsstadt Tornio-Haaparanta an der finnisch-schwedischen Grenze. Seit April 2012 ist sie DAAD-Gastdozentin am Institut für Finnougristik/Uralistik an der Universität Hamburg.
Das Gespräch führte Giselind Werner.
 
 
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