UHH Newsletter

März 2012, Nr. 36

INTERVIEW

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Prof. Dr. Michel Clement und Dipl.-Kfm. Tim Prostka (r.) vom Institut für Marketing und Medien haben Fragen zur Studie „E-Books und E-Reader – Kauf und Nutzung“ beantwortet. Bild: privat



Kontakt:

Prof. Dr. Michel Clement
Institut für Marketing und Medien
Fachbereich BWL, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
t. 040.42838-8721
e. michel.clement-at-uni-hamburg.de


Dipl.-Kfm. Tim Prostka
Institut für Marketing und Medien
t. 040.42838-8709
e. tim.prostka-at-uni-hamburg.de

Buchbranche unter Druck? Interview mit Michel Clement und Tim Prostka

Ist das E-Book in Deutschland bereits angekommen? Wird das E-Book das gedruckte Buch verdrängen? Von welchen Faktoren wird das abhängen? Das sind Fragen, die die Buchbranche ganz erheblich bewegen. Antworten liefert nun eine Studie des Instituts für Marketing und Medien und des Research Center for Media and Communication (RCMC) der Universität Hamburg, die Anfang Februar erschien. Das Team um Prof. Dr. Michel Clement vom Institut für Marketing und Medien untersuchte das Kauf- und Nutzerverhalten von E-Books und E-Readern. Zu den Ergebnissen befragt haben wir Prof. Dr. Michel Clement und Dipl.-Kfm. Tim Prostka.
In den USA boomt der E-Book-Markt. Bereits über 1 Mio. Titel sind dort digital verfügbar. Wie sieht es hier in Deutschland aus?

Michel Clement: Unterschiede zwischen den Märkten bestehen aktuell weniger beim Angebot sondern vor allem bei der Nachfrage nach E-Books. Wie in den USA, sind auch in Deutschland sehr viele Neuerscheinungen zeitnah digital verfügbar. Damit haben die Verlage einen wichtigen Schritt getan, um potenziellen Nachfragern frühzeitig legale Bezugsmöglichkeiten anzubieten und ein Abwandern der Nachfrage in Richtung illegaler Quellen zu verhindern.

Im Vergleich zum US-Markt ist die Nachfrage jedoch noch verhalten. Wir haben in unserer Studie ermittelt, dass lediglich 14% der buchaffinen Befragten bisher E-Books gekauft haben, weitere 9% haben kostenfreie E-Books und Leseproben genutzt. (Zur Methodik der Studie s.u., Anm. d. Red.)

Woran liegt das?

Clement: Der US-Buchmarkt hat einen zeitlichen Vorlauf von mehreren Jahren vor dem deutschen Markt – dies ist vor allem begründet in der früheren Vermarktung von E-Book Lesegeräten in den USA. Hinzu kommt, dass das Buch als Kulturgut in Deutschland eine hohe Bedeutung hat und (noch) von vielen Lesern mit dem Konsum gedruckter Bücher verbunden wird.

Tim Prostka: Lesegewohnheiten und die Bereitschaft, Inhalte digital zu konsumieren, ändern sich langsam. Strukturell sind die Märkte jedoch vergleichbar. Die Lesegeräte für E-Books, E-Reader und Tablets, verkaufen sich auch in Deutschland sehr gut. Mit der zunehmenden Verbreitung wird in den kommenden Jahren auch die Nachfrage nach E-Books steigen.

Clement: Wir gehen davon aus, dass E-Books in den kommenden fünf Jahren auch in Deutschland im Weihnachtsgeschäft einen Anteil von 50% der Buchumsätze ausmachen werden.

Worin liegen nach Ansicht der Befragten die Vorzüge des gedruckten Buches?


Prostka: Es sind vor allem haptische Aspekte, wie die Möglichkeit, Bücher beim Lesen in die Hand zu nehmen oder sie ins Regal zu stellen. Zudem sind gedruckte Bücher auch praktisch – z.B. am Strand. Andererseits haben viele Befragte bisher keine E-Books gekauft, weil ihnen lediglich das passende Lesegerät fehlt.

Und wie sieht der typische E-Book-Nutzer eigentlich aus?

Clement: Der „typische“ E-Book-Käufer ist ein Vielleser, sowohl beruflich als auch privat. Während gedruckte Bücher tendenziell stärker von Frauen nachgefragt werden, sind E-Book-Käufer und -Leser mehrheitlich männlich und weisen eine erhöhte Neigung auf, neue Technologien frühzeitig zu nutzen.

In der Diffusionsforschung bezeichnet man diese Konsumenten als „Innovatoren“, die häufig gebildet und gut verdienend sind und in ihrem Umfeld als Meinungsführer fungieren. Dies untermauert die Zukunftsaussicht für E-Books: Buchleser haben ebenfalls einen höheren Bildungsstand und ein höheres Einkommen als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Ein Ergebnis Ihrer Studie lautet, dass sich der E-Book-Konsum in Deutschland in naher Zukunft nicht wesentlich ändern wird. Also können sich die Verlage zurücklehnen?

Clement: Das hängt von der Definition der „nahen Zukunft“ ab. Der Trend ist klar ersichtlich: Die Nachfrage nach E-Books steigt. Anders als befürchtet fällt die Kannibalisierung gedruckter Bücher jedoch geringer aus. Wir beobachten, dass E-Book-Käufer bisher nicht signifikant weniger gedruckte Bücher nachfragen als Nicht-Käufer, d.h. dass es eventuell nicht nur gedruckte Bücher sind, die ersetzt werden.

Zurücklehnen sollten sich die Verlage natürlich nicht. Vielmehr gilt es zu identifizieren, welche spezifischen Vorteile E-Books bieten, wie diese auf Produktebene umgesetzt und kommuniziert werden können. Mit der zunehmenden Nutzung von E-Books werden sich aber die Händlerstrukturen dramatisch verändern und neue, mächtige Player wie Amazon oder Apple werden dem traditionellen Buchhandel starke Einbußen bescheren. Es steht außer Frage, dass der Handel vor einer massiven Umverteilung der Marktmacht steht. Damit stehen auch neue Herausforderungen für die Verlage bevor.

Wie hat die Buchbranche die Ergebnisse Ihrer Studie aufgegriffen?


Prostka: Wir stehen in regem Kontakt mit den Unternehmen der Branche. Forschung und Management können gerade in der Frühphase des E-Book-Marktes viel voneinander lernen. Es gibt bisher nur wenige empirische Studien zu diesem Thema. Unsere Studie wurde daher freudig begrüßt und intensiv diskutiert.

Was empfehlen Sie den Verlagen, wenn es darum geht, der Gefahr von digitalen Downloads zu begegnen?

Clement: Die Erfahrungen in der Musikbranche zeigen, dass dies nur durch einen klaren Mehrwert legaler digitaler Produkte möglich ist. Dieser Mehrwert kann etwa geschaffen werden durch eine kundenorientierte Bepreisung von E-Books.

Prostka: Viele Buchleser können nicht nachvollziehen, dass E-Books preislich stark an gedruckten Büchern orientiert sind – ohne einen greifbaren Träger zu bieten und ohne die Möglichkeit, die erworbenen Produkte zu verleihen oder zu veräußern.

Clement: Hier können Publikumsverlage versuchen, moderat an der Preisschraube zu drehen. Auch die spezifischen Vorteile von E-Books können stärker herausgestellt werden. Im US-Markt etwa werden regelmäßig Aspekte des Umweltschutzes im Kontext der Buchnutzung diskutiert: weniger gedruckte Bücher = mehr verbleibende Bäume.

Prostka: Es gibt Buchleser, für die hier wesentliche Motive der Nutzung von E-Books liegen. Daneben können auch die Vorteile digitaler Bücher beim Konsum stärker kommuniziert werden: ein sofortiger Bezug über das Mobilfunknetz oder auch die Möglichkeit, eine große Anzahl von Büchern auf einem kleinen Endgerät zu speichern.

Clement: Digitale Inhalte sind auch für die Verleihe von Büchern prädestiniert. Aktuell werden solche Geschäftsmodelle, die auf das Verleihen von E-Books zielen, erprobt. Die Unternehmen der Branche sind gefragt, weiter mit solchen Vermarktungsoptionen zu experimentieren.

Und wie halten Sie beide es: Lesen Sie überwiegend digital oder analog?

Prostka: Da ich einen Großteil des Tages damit verbringe, Texte digital zu lesen, setze ich in meiner Freizeit zumeist auf analoge Buchversorgung… Auf meinem Smartphone befinden sich allerdings auch ein paar E-Books, die ich in Bahn und Bus lese.

Clement: Ich lese auf dem iPad und dort nutze ich den wunderbaren Service, bei dem man Bücher leihen kann – eine Flatrate für Bücher. Dort arbeitet im Übrigen auch einer unserer BWL-Absolventen im Management.



Eine Zusammenfassung der Studie „E-Books und E-Reader – Kauf und Nutzung“ kann angefragt werden unter: medienmanagement"AT"uni-hamburg.de


Zur Methodik der Studie:

Die Stichprobe ist quotiert (Alter, Geschlecht, Einkommen) und repräsentativ für die Bundesrepublik Deutschland. Zur Eingrenzung der Stichprobe auf buchaffine Befragte wurde ein zweistufiger Filter eingesetzt. Ausgehend von 2.597 Befragten wurden 974 Befragte ausgefiltert, die entweder angaben, in den vergangenen zwölf Monaten keine belletristischen Buchtitel gekauft oder gelesen zu haben, oder es als unwahrscheinlich bewerteten, mindestens einen belletristischen Buchtitel in den kommenden sechs Monaten käuflich zu erwerben. Nach der üblichen Bereinigung der Daten (z.B. unrealistisch schnelle Bearbeitungsdauer des Fragebogens) verbleiben 1.623 Befragte in der Stichprobe. Diese stellen die Datengrundlage der Studie dar.

Das Gespräch führte Giselind Werner.
 
 
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