Kalenderprojekt an der Fakultät für Rechtswissenschaft„Es war schwer für Frauen, sich Gehör zu verschaffen“
11. Februar 2022, von Tim Schreiber
Foto: Carl Pietzner
Bis vor 100 Jahren waren Frauen in Deutschland vom Staatsexamen und juristischen Berufen ausgeschlossen – und noch lange standen sie im Schatten der Männer. Mit einem Kalender möchte Doktorandin Verena Kahl Leben und Werk herausragender Juristinnen sichtbar machen. Ein Interview zum internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft.
Frau Kahl, welche historische Juristin beeindruckt Sie am meisten?
Es fällt mir schwer, eine Frau aus dem bewusst divers gewählten Portfolio des Kalenders auszuwählen, aber an Bertha von Suttner lässt sich einiges zeigen. Sie ist im strengen Sinne keine Juristin, auch weil es zu ihrer Zeit Frauen nur schwer möglich war zu studieren, geschweige denn juristische Berufe auszuüben. Dennoch ist sie für das Völkerrecht eine sehr wichtige Frau, weil sie bereits im 19. Jahrhundert die Friedensbewegung entscheidend mitprägte. Sie war auch die erste Frau, die 1905 den Friedensnobelpreis erhielt. In ihrem Werk „Die Waffen nieder!“ hat sie ihre Sicht des Pazifismus beschrieben, und das war keine Idee, die damals nur auf Gegenliebe gestoßen ist. Auch im Völkerreicht war der Krieg zu dieser Zeit noch ein legitimes Mittel. Von Suttner durfte 1899 als einzige Frau an der ersten Haager Friedenskonferenz teilnehmen, damals noch als Beobachterin. Erst auf der zweiten Haager Friedenskonferenz 1907 war es ihr auch gestattet zu sprechen. An ihrem Beispiel können wir erkennen, wie schwer es für Frauen war, sich Gehör zu verschaffen und ihre Ideen zu transportieren. Zudem hat sie sich sehr für die internationale Frauenbewegung eingesetzt.
Aber nicht alle Frauen im Kalender waren auch Feministinnen, oder?
Es gibt durchaus viele Juristinnen, die die Frauenfrage zu ihrer gemacht haben, sowohl privat als auch beruflich. Hierzu gehören u.a. Ikonen wie Ruth Bader Ginsberg, Elisabeth Selbert als eine der Mütter des Grundgesetzes, aber auch die Costa Ricanerin Elizabeth Odio Benito oder die Menschenrechtlerin Navanethem Pillay. Aber wir zeigen auch andere Lebenswege. Rosalyn Higgins ist zum Beispiel die erste Frau, die an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gewählt wurde, und war auch dessen erste weibliche Präsidentin. Sie hat als Wissenschaftlerin Grundlegendes für das allgemeine Völkerrecht geleistet und war Vorreiterin für viele Frauen. Aber in ihrer Arbeit ging es nicht um Feminismus oder Frauenrechte im engeren Sinne.
Ab wann konnten Frauen denn juristische Berufe ergreifen?
Wir feiern dieses Jahr Jubiläum: Vor 100 Jahren erhielten Frauen mit dem „Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern der Rechtspflege“ vom 11. Juli 1922 Zugang zum Staatsexamen und damit auch zu den juristischen Berufen. Dass Frauen auch in der Wissenschaft einen schweren Stand hatten, zeigt sich bspw. in der Person von Magdalene Schoch. An der Universität Hamburg ist vielen bekannt, dass sie die erste Frau in Deutschland war, die sich überhaupt an einer rechtswissenschaftlichen Fakultät habilitieren durfte.
Wie sind Sie auf die Idee zu dem Kalender gekommen?
Ich habe mit Prof. Kotzur mehrere Seminare im Bereich des Völkerrechts gegeben und da ist mir aufgefallen, dass wir sehr viel über die Theorien, die Werke und die Ämter von Männern sprechen. Ich habe mich dann gefragt: Wo sind eigentlich die Frauen? So kamen wir auf die Idee, ein Seminar zu Frauen im Völkerrecht anzubieten, als aktive Gestalterinnen des Rechts. Im Seminar haben sich dann Studierende mit einzelnen Persönlichkeiten beschäftigt und viel recherchiert. Das Großartige ist, dass sich eine Gruppe von Studierenden und Forschenden gefunden hat, die daraus ein Projekt gemacht haben.
Was planen Sie zu dem Thema über den Kalender hinaus?
Wir haben als Reaktion auf den Kalender sehr viel Zuspruch bekommen, auch außerhalb von Hamburg. Es gilt natürlich zu bedenken, dass auf dem Kalender nicht viel Platz für Text ist. Um mehr Inhalte präsentieren zu können, lassen wir deshalb parallel einen digitalen Kalender laufen, der weitere Informationen zum Leben der Frauen, deren Werdegang und den Hindernissen auf ihrem Weg enthält. Über den Kalender hinaus ist die Idee entstanden, einen Podcast ins Leben zu rufen. In dessen Rahmen soll es um historische Frauen in der Rechtswissenschaft gehen, aber es sollen auch aktuelle Interviews mit Juristinnen geführt werden. Wir werden zur Zeit von der Stabsstelle Gleichstellung in unserem Vorhaben unterstützt und haben auch einen Forschungsförderantrag gestellt. So könnten wir neben Formen der Wissenschaftskommunikation auch ein Forschungsprojekt auf die Beine stellen, das in eine internationale Konferenz und entsprechende Veröffentlichungen münden würde. Je mehr wir uns mit dem Thema beschäftigen, desto mehr sehen wir, dass es viele Frauen in unserem Fach gibt, von denen wir noch nicht einmal gehört haben. Sie haben Herausragendes geleistet, stehen aber im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Deshalb ist natürlich auch eine neue Kalenderausgabe für 2023 geplant.
Über den Kalender
Das Kalenderprojekt wird vom Gleichstellungsreferat der Fakultät finanziert und auch von der Stabsstelle Gleichstellung der Universität Hamburg unterstützt. Der Kalender wird kostenlos am Infotresen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät sowie an der Zentralbibliothek Recht ausgelegt, ist aber auch zum Download verfügbar.