Trends der Arbeit
Chancen der Wissensarbeiterinnen der Zukunft?
Lydia Düsterbeck, Soziologin, Psychodramatikerin und Organisationsberaterin
Vortrag mit Workshop-Anteilen 3.02. 2004
Ausgangspunkt des Vortrages:
Der Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft formt die Basis unserer Gesellschaft zunehmend und drastisch um. Soweit pfeifen das die Spatzen von den Dächern. Was aber bedeutet diese neue Entwicklungsrichtung für unsere Identität, unser soziales und berufliches Dasein? Was ist Arbeit überhaupt und welche Zuschreibungen hat Arbeit im Laufe der Geschichte erlebt? Wie verändert sich die Erwerbsarbeit heute und haben wir die Dimensionen des Wandels wirklich verinnerlicht? Welche inneren und äußeren Qualifikationen und welches Containment brauchen wir, um standzuhalten, uns selbst als erfolgreich definieren zu können? Welche Anforderungen erwarten Personen und Organisationen?
Welches Eintrittsbillet brauche ich, um mich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten?
Ablauf der Veranstaltung:
Frau Düsterbeck wird den Vortrag auf relativ wenige Thesen verdichten, die in der Workshopphase von Kleingruppen vertieft diskutiert werden können. Die Themen sollen so aufregend sein, dass die Diskussion in die anschließende Phase des Netzwerkens hineinreichen kann.
Die Workshop-Anteile:
Nach dem Vortrag finden sich Kleingruppen an Pinnwänden zusammen und diskutieren vorbereitete Thesen und Fragen. Im Plenum werden Kernthesen diskutiert. Die Diskussion kann beim „Netzwerken“ fortgesetzt werden.
Lydia Düsterbeck:
Trends der Arbeit - Wie sind meine Chancen für die Zukunft?
„Die Zukunft ist auch nicht mehr, was sie einmal war.“ Dieses Graffiti las ich kürzlich auf einer Berliner Häuserfassade – ausgerechnet auf dem Weg zu einem Kongress über „die beschleunigte Gesellschaft“. „Und die Arbeit ist auch nicht mehr, was sie einmal war“, könnte man hinzufügen. Die unserer Zeit eigene, selbstreferentielle Beschleunigung der Anwendung von Wissen, die Überwindung von Zeit und Raum, entfesseln komplexe, letztlich nicht vorhersehbare Prozesse, die sich auf das Arbeitsleben drastisch auswirken werden. Wir sind mitten drin in der Veränderung und sind besonders deshalb verunsichert, weil wir nicht wissen, wohin die Reise geht. Gleichzeitig spüren wir die Notwendigkeit des Aufbruchs. Nur die Route ist nicht bekannt und je nach Persönlichkeit, Alter und Lebenslage, empfinden wir dies als aufregendes Abenteuer oder beängstigendes Unternehmen. Es macht eben einen Unterschied, ob ich beispielsweise aus der Perspektive einer Altachtundsechzigerin in relativ gesicherten Verhältnissen in die Zukunft schaue oder als Studierende/r unter schwierigen Studienbedingungen und unsicheren Berufsaussichten. - Wovon die meisten hier im Raum wohl ein Lied singen können - Wie unser Blick auch sein mag, leider können wir diese Unsicherheit niemand so eindeutig vorwerfen, wenn wir die Komplexität einer entgrenzten Welt nicht einfältig reduzieren wollen. Die Veränderungen durch die globalen, informationstechnologischen Entwicklungen werden in den Sozialwissenschaften bereits als ein gesellschaftlicher Umbruch prognostiziert, der den Übergang von der Agrargesellschaft in die Industriegesellschaft übertreffen wird. Die zu ihrer Zeit viel gescholtene, gute alte Industriegesellschaft mit ihren sozialen Errungenschaften ist am Ende. Sie transformiert sich in eine Wissensgesellschaft, deren Beschleunigung unaufhaltsam ist. Immerhin leben und forschen 90% aller WissenschaftlerInnen, die je gelebt und geforscht haben, heute. Das Wissen, das sie produzieren, wird immer schneller umgesetzt.
Das stellt auch Bildungsseinrichtungen vor großen Aufgaben. Die Gefahr, Fertigkeiten und Kenntnisse mit Wissen und Bildung zu verwechseln, darf nicht unterschätzt werden. Wissen impliziert die Fähigkeit, Theorien und Weltbilder der Wissensagenturen in Frage stellen zu können. Das muss erhalten bleiben. Sie als Studierende erleben diese Auseinandersetzung im Moment hautnah. Sie wissen, weshalb sie streiken.
Wie wird die Arbeitswelt von morgen aussehen? Wie wird meine künftige Arbeit aussehen? Welche Chancen und Risiken sind mit den Veränderungen der Arbeit verbunden?
Diese Fragen bewegen uns und wir müssen damit leben, keine eindeutigen und einfachen Antworten zu bekommen. Und obwohl wir uns heute wegen dieser Fragen hier versammelt haben, werden Sie auch nach diesem Vortrag keine konkreten Antworten nach Hause tragen. Ich schildere generelle Trends der Arbeit aus Sicht einer Soziologin, Organisationsentwicklerin und Coachfrau. Welche Chancen Sie für sich angesichts dieser Trends sehen, müssen sie dann selbst entscheiden.
Die historische Entwicklung der Arbeit im europäischen Raum
In der historischen Entwicklung hat Arbeit unterschiedliche Besetzungen gehabt, die sich über den Lauf der Geschichte in ihrer Wertigkeit geradezu verkehrt haben.
In der Antike war Arbeit ein Merkmal der Unfreiheit, etwas für Sklaven, deren Frauen und Kinder. Heute würden wir sagen, Arbeit war ein Exklusionsmerkmal.
Frei war, wer nicht arbeiten musste, sondern sich mit den höheren Sinnfragen und Vergnüglichkeiten des Lebens beschäftigen konnte: Philosophie, Kunst, Religion, Eros. Also, Zeit für selbstbestimmte Tätigkeit, für das „Werk“ und Zeit für Muße hatte.
Nichtarbeit oder „Arbeitslosigkeit“ war ein Inklusionsmedium, ein Merkmal der Zugehörigkeit zur Polis, ein Merkmal des freien Menschen.
Auch im Mittelalter finden wir die Privilegierung von Nicht-Arbeit. Der Zufall der Geburt entscheidet in einer ständischen Gesellschaft darüber, wer welche Arbeit tut und wer von Arbeit verschont bleibt.
Erst in der Neuzeit werden Schichtzugehörigkeit und Arbeit nicht mehr gekoppelt. Durch Reformation und Aufklärung wird Arbeit zu einem Medium, das mehr Selbstbestimmung und höhere Freiheitsgrade ermöglicht, aber auch zu mehr Disziplinierung führt. Die protestantische Bewegung und die frühneuzeitliche Bürgerstadt entwickeln Arbeit zu einem zentralen Begriff. Sie wird zur sittlichen Pflicht eines jeden Christenmenschen. Nicht mehr der Ablass, sondern eigene, rechtschaffende Arbeit öffnet den Weg zu gesellschaftlicher Anerkennung und die Tür ins Himmelreich. Sie wird nicht nur zur Tugend, sondern auch zur Pflicht. Wo die Internalisierung durch die Religion nicht reicht, hilft die ständische Organisation, die städtische und staatliche Obrigkeit mit der entsprechenden Disziplinierungspolitik nach.
Im Verlaufe der revolutionären Bewegungen des Bürgertums gegen den Adel wird Nichtarbeit auch aus dieser Ecke anrüchig. Arbeit und Kapital führen zu Freiheit, Macht und Ansehen des Bürgertums. Der nichtarbeitende und finanziell vom Bürgertum abhängige Adel verliert an Bedeutung.
Mit der industriellen Revolution dann entsteht der neue Typus des Industriearbeiters, der aus einer ständisch-ländlichen Agrarwelt heraus, in die Stadt drängt. In diesem industriellen Urbanisierungsprozess findet er, trotz der anfänglichen Verelendung neue Freiheiten - entflieht ständischer Abhängigkeit.
Im Verlauf der Industrialisierung dann entsteht ein ganz neues Arbeitssystem, das wegweisend für die neue Industriegesellschaft ist: Die Trennung von Erwerbsarbeit, Eigenarbeit und Haushalt/Familie. Eine enge Koppelung zwischen Arbeit und Geld nimmt ihren Lauf.
Obwohl, oder gar weil Arbeit durch die marktorientierte Geldwirtschaft knapp wird, wird Erwerbsarbeit zum Inklusionsmedium.
Ob mit Hand oder Kopf, sein Geld verdienen muss jetzt jeder( und jeder meint zunächst wörtlich „jeder Mann“): Die durch die Industrialisierung ausgelöste Neukonstitution des Geschlechterverhältnisses und der Familie ist ein soziologisch interessantes und wichtiges Thema, führt hier aber zu weit. (Umbrüche in der Produktionsweise haben immer einen Einfluss auf die sozialen Verkehrsformen einer Gesellschaft.)
Die moderne Gesellschaft, die weder auf Gott und Klerus noch den Adel als Klammer für gesellschaftlichen Zusammenhalt zurückgreifen kann, braucht neue strukturelle und funktionale Mechanismen, um sich zu erhalten (klassisch beschrieben bei Max Weber.)
Im Blick auf eine ständefreie, differenzierte Gesellschaft wird Arbeit als Erwerbsarbeit für alle, funktional. Geld und Arbeit gehören nun eng zusammen. Die Zeiten der Wertschätzung von Nichtarbeit sind vorüber. Kapital und Arbeit sind fest aneinander gebunden. In einem historischen Konflikt und Kampfbündnis entwickelt sich eine stets umrungene Partnerschaft, die im Sozialstaat mündet, von dem beide Seiten profitieren – und der gegenwärtig zur Debatte steht.
Die alte Partnerschaft wird im Zuge dessen, was wir heute unter Globalisierung des Kapitals zu fassen versuchen, einseitig durch das Kapital gekündigt. Die aufgewertete Arbeit, die Menschen im historischen Prozess – zumindest in den westlichen Industrieländern - zu Freiheit, Wohlstand und Wertschätzung verholfen hat, steht verlassen da - steht verlassen da und muss sich neu finden.
Ich beende jetzt diesen fast unverantwortlich gerafften Überblick zur Wertebesetzung von Arbeit in unserer Geschichte. Er zeigt, dass wir uns von der hohen Besetzung der Erwerbsarbeit frei machen müssten, um neu über Tätigkeit, Arbeit und Arbeitslosigkeit nachzudenken.
Ich komme auf diesen Aspekt zum Schluss zurück.
Der Paradigmenwechsel: von der industriellen Produktion zur Produktion von Wissen
In der industriellen Entwicklung besteht die wichtigste Quelle der Produktivität in der Dezentralisierung neuer Energiequellen, der Bindung an Orte und von menschlicher Arbeitskraft. Das ist vorbei. Der neue Produktionsfaktor heißt Wissen. Wissen ist allerdings nicht nur ein Produktionsfaktor, sondern wird zum eigenen Produkt..
Die Grenzen zum Transfer von Wissen und Erfahrung zwischen Kontingenten, Staaten und Städten lösen sich auf. Traditionelle Organisationsformen lösen sich auf in flexible Netzwerke von Netzwerken, in denen Umorganisation und Neuorientierung jederzeit schnell möglich ist.
Es entstehen globale, international sich gleiche Produktionsformen, Strukturen und Kulturen. Ideen treiben die Ökonomie voran. Ideen, die raum- und zeitunabhängig kommuniziert werden können. Die Aufhebung von Raum und Zeit ist wohl die gravierernste Veränderung in bezug auf heutige und vor allem zukünftige Arbeitsformen. Der Unterschied von „weit weg“ und „gleich hier“ ist aufgehoben. Raum wird belanglos, setzt dem Handeln keine Grenzen mehr. Arbeit zwischen New York, Hamburg und Tokio kann in Sekundenschnelle kombiniert, neu zusammengesetzt und kreativ gestaltet werden. Indische ProgrammiererInnen und chinesische IngenieurInnen treten als AnbieterInnen von Dienstleistungen auf dem hiesigen Arbeitsmarkt auf, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Indische RadiologInnen checken die Computer Tomografien amerikanischer PatientInnen, die Buchhaltung deutscher Großbanken wird in Portugal geführt, usw.. Jeder 4. von den 500 größten US Konzernen verlagert, mit progressivem Trend, Jobs nach Übersee. Diese Bewegungen werden in der arbeitswissenschaftlichen Literatur bereits mit einem Begriff belegt: Man spricht von „virtueller Immigration mit elektronischen Mitteln“.
Die Bindung an Menschen und Orte sichert keinen Vorteil mehr und das internationale Kapital flieht aus der lokalen Arbeitgeberverantwortung in die Schwalbenfabrik, die hier und da sein kann. Immer da, wo wenig Steuern zu zahlen sind und billige Arbeit zu haben ist. (Naomi Klein)
ArbeitnehmerInnen, so flexibel sie sich zeigen mögen, bleiben räumlich und zeitlich gebunden und können Arbeit ihrem Lebensraum entsprechend nicht beliebig billig anbieten. Sie sind machtlos, wenn Maschinen und Software ihre Tätigkeiten übernehmen und ihre Arbeit andernorts billiger angeboten wird.
Das Kapital, im Industriezeitalter fest mit Arbeit verwoben, ist flüchtig geworden. Die alleingelassene Arbeit muss sehen, wo sie bleibt. Das historische Bündnis zerbricht.
Ein neues Bündnis, das dem Sprung von der industriellen Massenproduktion in die technologische Wissensproduktion gerecht wird, muss sich noch entwickeln.
Auch Organisationen stehen vor großen Herausforderungen, wenn sie den globalen Konkurrenzdruck überleben wollen.
Was bedeutet das für Organisationen? Hier spreche ich jetzt als Soziologin und als Organisationsentwicklerin, die manchen Überlebenskampf von Organisationen miterlebt hat: Sie müssen fähig sein, sich an ihre relevante Umwelt anzupassen, ohne Identität zu verlieren d.h. sie müssen bereit sein, sich zu verändern und neu zu erfinden.
Auch sie müssen Strategien entwickeln und Entscheidungen treffen, ohne genau wissen zukönnen, wohin diese führen.
Geschwindigkeit, Vereinfachung der Betriebsorganisation, extreme Lernfähigkeit und Innovation werden zu Überlebensfaktoren von Organisationen. Für den Unternehmenserfolg werden vor diesem Hintergrund Humanressourcen, also geeignete Personen, wichtiger denn je. Deshalb werden neue Schlüsselqualifikationen nachgefragt, die sich stark auf die Persönlichkeit, auf Haltungen beziehen: Flexibilität, Mobilität und lebenslanges Lernen. Das hat Auswirkungen auf Einstellungskriterien.
Ich will einige dieser Schlüsselqualifikationen, die bei der Personalauswahl in den verschiedenen Spielarten der Potentialeinschätzung getestet werden, zusammenfassen:
- Eigenverantwortung und Teamfähigkeit
- Individualität, Autonomie und Selbstmanagement
- Die Fähigkeit, standzuhalten bei hohem Leistungs- und Verantwortungsdruck
- Risikobereitschaft und Fehlerfreundlichkeit
- Entscheidungsfähigkeit
- Mobilität, Flexibilität, bei gleichzeitiger Integrationsfähigkeit
- Ergebnisorientierung: nicht Anwesenheit, sondern das Ergebnis zählt
- Permanente Lernbereitschaft
- Medien- und Kommunikationskompetenz
- Frustrationstoleranz: Die Fähigkeit, Höhen und Tiefen der eigenen Person und des Unternehmens aushalten. „Handeln statt Leiden“
- Arbeitsmarktfähigkeit, das meint die Bereitschaft, das Unternehmen, die Position, den Ort ohne viel Aufheben wechseln zu können
Für Menschen mit den relevanten Schlüsselqualifikationen und hoher Anpassungsfähigkeit auf unterschiedliche Sprach- und Kulturräume eröffnet sich – nicht nur virtuell - die ganze Welt.
Die alten Wertorientierungen der Industriegesellschaft: Unterordnung, Kontrolle, Disziplinierung und Konformität, eingebettet in ein stabiles, hierarchisches Räderwerk haben keine Konjunktur mehr. Genau wie gesicherte Karrieren, durch Alter, Betriebszugehörigkeit usw., obsolet sind.
Wir finden in der gängigen Literatur eine reichliche Anzahl von Metaphern, die einfangen, was auf uns zukommen mag: Ich gebe Ihnen eine kleine Kostprobe: „Brasialisierung der Verhältnisse“, „Bohemisierung der Arbeit“ „Nomadische Multiaktivität“ „Virtuosen unserer eigenen Arbeitskraft“ „ImprovisationskünstlerInnen für wechselnde Aufträge“, „Zickzack und Mosaiklaufbahnen“, „Arbeit auf Abruf“, „ArbeitskraftunternehmerInnen“, usw..
Diesen Bildern können wir entnehmen, dass wir zunehmend eigene Ideen entwickeln müssen, um bezahlte Arbeit zu finden und mehrere Jobs miteinander koordinieren werden müssen. Sie als Studierende, kennen das bestimmt schon, das Jobben im Patchworkmuster, vielen unterschiedlichen Tätigkeiten nebeneinander. Natürlich wird es auch in Zukunft noch eine Anzahl traditioneller Tätigkeiten geben und auch feste Anstellungen. Aber es wird nicht die Regel sein. Einerseits wird es hochqualifizierte und umworbene WissensarbeiterInnen als kleine Stammbelegschaften geben, vor allem aber eine große Anzahl flexibler Randbelegschaften mit wechselnden Projekt- und Zeitverträgen. Zwischen denen Zeiten der Arbeitslosigkeit liegen können. P. Glotz spricht von einer Entwicklung zur Zweidrittelgesellschaft: Die entscheidenden Wissensarbeiter an der Spitze der Informationswirtschaften, nehmen ein Drittel von rund zwei Dritteln der buntscheckigen Erwerbswirtschaft ein. Dem stehe ein Drittel „Arbeitsloser“ gegenüber.
Das hat auch Auswirkungen auf den Sozialstaat, er fängt diese Entwicklungen nicht mehr auf, das erleben wir bereits deutlich. Nationalstaatliche Regulierung überhaupt verliert angesichts globaler Vernetzung an Einfluss. Die Auswirkungen dieser gesellschaftlichen Umwälzungen werden davon abhängen, inwieweit die politischen Gestaltungsdebatten und Ziele neue, tragfähige Modelle für den gesellschaftlichen Zusammenhang entwickeln werden.
Angesichts dieses Rückzugs des Staates könnten auch Unternehmen eine Verantwortungsoffensive starten, um ihre Glaubwürdigkeitskrise zu überwinden. Vergleichbar den „Human Relation“ Managementkonzepten der Industriegesellschaft, könnten sie eine neue Form sozialer Verantwortung, übernehmen, die über Sponsoring-Kampagnen weit hinausführen. Das Interesse der Wirtschaft an De-Polarisierung und sozialem Frieden könnte alte unternehmerische Integrationsstrategien als Element globaler Geschäftspolitik wieder beleben. Es wäre wohl zu einfach, diese Möglichkeit nur als listige Strategie des entfesselten Kapitalismus abzutun, denn jede Regulierung kann ein Beitrag zu einer besseren Globalisierung sein. Auch global vernetzte Gegenbewegungen werden eine wichtige Rolle spielen und neue Formen vor Einflussnahme entwickeln. In diese Richtung ist bereits einiges unterwegs. Das wird nichts daran ändern, dass viele Akteure der Arbeitswelt ein „Tal der Tränen“ durchwandern, bis neue Formen von Arbeit und Leben entwickelt sein werden.
Herausforderungen an die Persönlichkeit
Die beschriebenen Tendenzen der Erwerbsarbeit, sind sowohl unvollständig und können sich auch rasant und unvorhersehbar wieder verändern. Aber so ist das im Leben, wir müssen auf die Dinge einstellen und vorbereiten um uns als handlungsfähig zu begreifen. Und dann kommt es häufig sowieso ganz anders.
Die folgenden Gedanken sage ich jetzt aus meiner Rolle als Coach heraus: Die zwanghafte Person, die Gewissheiten braucht, um handeln zukönnen und die in bürokratischen Systemen hoch funktional war, sieht schweren Zeiten entgegen. Deshalb machen Sie sich nicht zu viele Gedanken darüber, ob sie bisher das „richtige“ getan haben. Richten Sie Ihren Blick darauf, wofür sie das bereits erworbene Wissen nutzen können. In jedem Fall ist es Humus, auf dem Neues wachsen kann. Ergreifen Sie Chancen, die sich bieten und entwickeln sie das weiter, was in neuen Situationen erforderlich ist, anstelle zu grübeln, ob Sie das richtige angefangen haben.
Gefragt ist nämlich die flexible Persönlichkeit, die sich von der Vergangenheit lösen kann. Selbststeuerungskompetenz, flexible Anpassungsfähigkeit, permanente Lernbereitschaft und gelungene d.h. sichere Selbstpräsentation sind gute Voraussetzungen, in diesen Zeiten nicht aus dem Zug zu fallen. R. Sennett hat in seinem viel beachteten Buch „Der flexible Mensch“, kritisch mögliche Auswirkungen der flexiblen, „autonomisierten“ MitarbeiterIn auf den Charakter des Menschen und die Zerstörung seiner sozialen Zugehörigkeit beschrieben. Er fragt zu recht, wie Treue zu sich selbst und anderen möglich sein kann, wenn keiner mehr sicher sein kann, morgen noch zu tun, was er heute tat. Er fragt, wie wir Identität erhalten können, unter Verhältnissen, die zu einer Korrosion von Bindung führen. Das sind in der Tat die großen Herausforderungen an Menschen dieser Zeit: Trotz der notwendigen Flexibilisierung, nicht zum identitätslosen, angepassten und entwurzelten Menschen zu werden (diese Gefahr beschreibt Sennett) oder zum leitungsbe-zogenen Mitläufer. Das erfordert eine hohe Persönlichkeitsautonomie, soziale Vernetzung und die Leidenschaft, Tätig-Sein als individuelle Verwirklichung zu begreifen. Persönlichkeitsautonomie bedeutet auch, eigene Grenzen zu entdecken und setzen zu können. Vertrauen in Ihre Entscheidungen zu haben. Letztlich, die Paradoxie aufzulösen, bei hoher Flexibilisierung Identität zu wahren.
Ich glaube, dass Sie die erste Generation sind, die den beschriebenen Wertewandel aktiv erlebt und gestalten wird. In Anlehnung an die „virtuellen ImmigrantInnen“ sind Sie vielleicht die erste Generation der „ImmigrantInnen“ die aus der Industriegesellschaft in die Wissensgesellschaft einreist. Es wäre nützlich, Informiertheit, Gestaltungswillen, Mut und Selbstwert im Gepäck zu haben. Die alten Orientierungen, wie z.B. die auf den einen „richtigen“ Beruf, die Vorstellung, einmal getroffene Entscheidungen seien wegweisend für das ganze Leben usw., sind Ihnen vielleicht noch vermittelt worden. Ich vermute, das hat noch unmittelbaren Einfluss auf Sie: Aber Sie leben bereits etwas anderes: Sie bewältigen die momentane Verunsicherung an der Uni – Fachbereiche lösen sich in verdichtete „schools“ auf und keiner hat richtigen Durchblick, - nicht einmal die Beratungsstellen – wie ich hörte. Sie haben vielfach mehrere Jobs nebeneinander, gehen ins Ausland, sprechen mehrere Sprachen, durchlaufen nach dem und während des Studiums mehrere Praktika. Manche zumindest werden sich damit auseinandersetzen, wie Beziehung, Kinder und Beruf neu und anders zu den Eltern zu vereinbaren sind. Sie managen bereits Vielfalt und Unsicherheit. Niemand kann Ihnen genau sagen, wie es weitergeht an der Universität und Entscheidungen treffen müssen Sie trotzdem. Das ist eine der Qualifikationen, die immer wichtiger wird.
Sie könnten die beschriebenen Trends als Bedrohungsszenario Ihrer Zukunft begreifen und sich darauf fixieren, nur in dem sicheren Hafen einer festen Stelle Sicherheit zu erlangen. Sie können sich aber auch angesichts dieser Trends auf den Weg machen, achtsam zu werden für die Welt jenseits der gewohnten Muster. Sich einstellen auf die neuen Erwerbsmuster und darauf, eigene Gestaltungsformen zu finden. Vernetzungen zu organisieren und Wege finden, sinnvoll in die Entwicklung Ihrer Kompetenzen zu investieren. Deshalb haben Sie sich vermutlich auch für das Woman Carreer Center entschieden. Als Mitwirkende dieses Paradigmenwechsel – wenn ich so sagen darf – haben Sie die Wahl, an alten Werten und Hoffnungen festzuhalten und die Sehnsucht nach einer zurückliegenden Zeit zu kultivieren (die mit Sicherheit nicht mehr rückholbar ist) oder die neue Welt zu gestalten im Konzert mit anderen, die in ähnlicher Lage sind. Umbrüche bergen auch neue Möglichkeiten und Chancen. Die Beschleunigung, der damit verbundenen Abbau von Hierarchie und alten Werthaltungen führt auch zu höherer individueller Freiheit und Verantwortung. Indem zementierte Vorstellungen von Liebe, Familie und Arbeit sich auflösen, entwickeln sich Chancen zu Vielfalt und neuen Lebensentwürfen
Die Rollen von Frauen und Männern
Gestatten Sie mir noch ein Wort zu den unterschiedlichen Herausforderungen, der Rollen von Frauen und Männern. Frauen werden den Arbeitsmarkt immer stärker erobern, das ist ein stabiler Trend. Ihre Bildungssituation hat sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend verbessert, ihre Abschlüsse sind in der Regel besser als die von Männern. Trendforscher proklamieren in diesem Zusammenhang gern das so eben vergangene Jahrhundert als „Jahrhundert der Frau“. Ich muss hier nicht berichten, in welchen Ausmaß Frauen gleichwohl noch immer Diskriminierung, Karrierestaus und schlechterer Bezahlung ausgesetzt sind. Auf Spitzenpositionen sind sie fast noch gar nicht anzutreffen. Hier stoßen wir auf überlieferte, kulturelle Phänomene und Muster, die trotz vieler Errungenschaften feministischer Aufklärungsarbeit, nicht erklärt und schon gar nicht aufgelöst sind. Ich glaube, dieser Geschlechter Evergreen wird sich ändern. In Zeiten, in denen Traditionen und vor allem Hierarchien sich immer mehr auflösen, könnten Frauen Zukunft haben. Denn auch Männer werden den sicheren Karriereweg immer weniger gehen. Auch sie werden Halbtagsstellen, Einstiege und Ausstiege auf der Berufsbühne erleben. Männer müssen voraussichtlich mehr verändern in ihren Lebensentwürfen, als Frauen. Sie werden gezwungenermaßen mehr im Hause oder in Halbtagsbeschäftigungen tätig sein, das wird ihr Selbstverständnis als Mann und Vater verändern. Der Patriarchalismus in Familie (Patchworkfamilie), Wirtschaft und gesellschaftlichen Institutionen wird infrage gestellt werden und langfristig abdanken müssen. Bei nüchterner Betrachtung nämlich können Männer und Frauen auch auf allen Gebieten das gleiche leisten. Bis aufs Gebären und Stillen.
Dieses „Mehr“ an Möglichkeiten hat Frauen bisher allerdings, zumindest in ihrer beruflichen Situation, behindert. Das könnte sich ändern. Frauen antizipieren mehr Vielfalt in ihren Lebensentwürfen. Sie entscheiden sich immer bewusster für oder gegen bestimmte Lebensformen. (Etwa jede dritte Frau entscheidet sich heute gegen Kinder.) Frauen kennen einen für sie unsicheren Arbeitsmarkt. Frauen wissen schon lange, dass sie mehr einsetzen müssen, als Männer, um erfolgreich zu sein. Und sie tun es immer mehr. Sie sind geübter in „Beziehungsarbeit“ und im Umgang mit Druck. Verbunden mit anderen Potenzialen, könnte das in Zukunft zur besseren Qualifikation werden.
Durch die zunehmenden Zick-Zacklaufbahnen, auch für Männer, wird z.B. in Familien, die Berufsarbeit der Frau genauso wichtig zur finanziellen Sicherung des Familienkommens, wie die des Mannes. Oder zeitweise gar die einzige. Auch durch diese materielle Situation, neben der Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit und einem wachsenden Selbstbewusstsein von Frauen, wird das Geschlechterverhältnis sich verändern – anschlussfähig vorbereitet von feministischen Vorkämpferinnen. Ich sehe trotz sicherlich schwieriger Übergänge, große Chancen für eine neue Kultur des Geschlechterverhältnisses und der Geschlechtervielfalt auf allen Ebenen. Neue Produktionsformen schaffen neue Gesellschaftsstrukturen. Das war schon immer so.
Zurück zum Arbeitsbegriff
Ich schließe den Kreis zum eingangs beschriebenen Arbeitsbegriff, der durch die veränderten Bedingungen gewissermaßen einer „Häutung“ unterzogen wird und in erneuerter Gestalt wohl auch weiterhin ein Grundpfeiler gesellschaftlicher Ordnung sein wird. Erwerbsarbeit ist in der Industriegesellschaft ein Zugehörigkeitsmerkmal geworden. Der Verlust der Teilhabe an der Erwerbsgesellschaft ist damit eben nicht nur ein Konsumproblem, sondern wesentlich eines in unseren Köpfen und Herzen.
Wir werden Denk- und Kommunikationsblockaden lösen müssen, die verhindern, dass wir in einer sich radikal verändernden Welt auch neu denken und handeln. Unter Arbeit verstehen wir heute noch, ganz im Ethos der Industriegesellschaft, bezahlte Tätigkeiten. „Ar-beits-los“ können wir damit lediglich in bezug auf bezahlte Arbeit werden. Damit ginge es weniger um Arbeit, als vielmehr um die Verteilung von Geld.
In der Antike und Feudalherrschaft waren Geld und Arbeit entkoppelt. Die Industriegesellschaft führte zur Kopplung dieser Phänomene. Ich vermute, in der Wissensgesellschaft wird es wieder zu einer Entkopplung kommen müssen.
Für diese Entkoppelung brauchen wir neue Modelle von Arbeit im Sinne von Tätigsein. Arbeit als Möglichkeiten des sinnvollen Tätigseins gibt es genug: Sei es im Kultur -, Gesundheits-, oder ökologischen Bereich. Ich brauche diese Möglichkeiten hier nicht auszuführen, bisher fehlen Zahlungsmodelle für diese Form der Arbeit.
Eine Neudefinition der Arbeit steht momentan noch nicht auf der Tagesordnung. Dafür sind die persönlichen und gesellschaftlichen Wertmuster noch zu aktiv. Ich bin überzeugt, sie wird kommen. In einer zukünftigen Definition wäre es z.B. möglich, zu einem Begriff von Arbeit zu kommen, wie Hannah Arendt ihn in ihrem Buch „Vita Aktiva“ bereits 1967 angedacht und A. Gortz ihn heute weiterentwickelt hat: Eine skeptisch optimistische Vision davon, wie die voraussichtlich unausweichliche Reduzierung der Erwerbsarbeit zu einem Gewinn für Individuen und die Gesellschaft werden könnte: Eine Mischung aus bezahlter Tätigkeit, unbezahlten sozialen, kulturellen oder ökologischen Tätigkeite und selbstbestimmter Freizeitsbeschäftigung. Modelle gibt es dafür genug (dritter Sektor, New Work, Bürgergeld, garantiertes Grundeinkommen, negative Einkommenssteuer und wie die Konzeptionen heißen mögen. Oder ganz andere, noch nicht gedachte Modelle). C. Offe fordert zu recht eine Theorie, die den Umstand erklärt, weshalb bereits entwickelte, weiterführende Modelle von Politik und Wirtschaft nicht angenommen, weiterentwickelt oder umgesetzt werden. Erst eine solche Theorie würde vermutlich den Weg zu neuem Denken und Handeln öffnen.
Wir wissen nicht, wie es ausgeht. Wir wissen aber, das sich viel ändern muss, damit es gut wird. Niemand kann wegen der Vernetzung aller Faktoren und Bewegungen eine zuverlässige Prognose geben. Ich habe es vorgezogen, nicht nur auf die Schattenseite zu schauen. Denn die Art, wie wir die Dinge betrachten, bestimmt unser Handeln und damit das Ergebnis. Ich wünsche Ihnen allen auf dieser riskanten und doch spannenden Reise in die Zukunft alles Gute!
Zusammenfassung der Eckpunkte und Trends des Strukturwandels
- Der klassische, vor allem männliche Dreiklang des Biographiemusters: Ausbildung, Einbindung in monogame Berufstätigkeit, Ruhestand wird dissonant.
- Vollbeschäftigung und feste Arbeitsverträge werden immer seltener.
- Die Rolle der in einem eindeutigen Berufsbild- und -feld angesiedelten ArbeitnehmerIn mit Zugehörigkeit zu einer bestimmten Firma wandelt sich zur ArbeitskraftunternehmerIn (Pongratz). Diese braucht hohe Schlüsselqualifikation und Selbstmanagementkompetenzen, um sich in der neuen Arbeitswelt zurecht zufinden.
- Unterschiedliche Vertragsarrangements. (Zeit- und Projektarbeit, flexible Teilzeitbelegschaften, die neuen Selbstständigen, die “Freelancer“) nehmen zu.
- Schnelle Abgänge von einer Beschäftigungsbühne zu nächsten Auftritten werden selbstverständlicher. Die Anzahl „buntscheckiger“, „prekärer“ Arbeitsverhältnisse erhöht sich generell.
- Die Beziehungen zwischen Kolleginnen werden zunehmend virtuell. Man kann sich virtuell sehr nahe sein und körperlich ganz fremd und fern
- Die Bindung zwischen ArbeitnehmerInnen und Unternehmen nimmt ab. Neue Formen von Bindungsmustern müssen erst entwickelt werden.
- Flexible Arbeitsmarktmodelle setzen sich durch, die Menschen müssen sich der Auslastung von Produktionskapazitäten und kundenorientierten Terminbindungen unterordnen. Arbeitszeiten werden den Projekt- oder Produktionskapazitäten angepasst.
- Die Vergütung erfolgt nach Arbeitsergebnissen in flexiblen Arbeitszeiten. Das Ergebnis, formuliert in Zielvereinbarungen, und nicht die Anwesenheit wird bezahlt
- Hierarchien werden abgebaut, sind zu unbeweglich, sie werden ersetzt durch Teilautonomie und Selbstmanagement. Das erfordert neue Formen von Strategieentwicklung und Führung.
- Interaktive Computernetzwerke schaffen neue Formen und Kanäle für Kommunikation. Die universelle, digitale Sprache des Computers wird zur Selbstverständlichkeit.
- Karrieremuster verändern sich. Wer weiterkommen will, muss global und mehrsprachig unterwegs sein.
- Lebenslanges Lernen im Sinne schneller Aneignung von sich rasch veränderndem Wissen und Kenntnissen ist bedingungslose Voraussetzung. Für Menschen mit relevanten Schlüsselqualifikationen und hoher Anpassungsfähigkeit auf unterschiedliche Sprach- und Kulturräume und der Bereitschaft, den eigenen Lebensrhythmus den betriebliche Erfordernissen unterzuordnen, eröffnet sich – wörtlich - die ganze Welt. Nicht nur virtuell - sondern real.
- Frauen erobern erfreulicherweise den Arbeitsmarkt immer stärker. Die dem Konstrukt „weiblich“ zugeschriebenen Kompetenzen werden immer mehr nachgefragt.