Die Lust an der Unsicherheit
- Neugier als Karrierepromoter -
Termin: 28.5.2002,18:00
Ort: Hauptgebäude der Universität, Edmund - Siemers -Alleee 1, Flügel West, Raum 221
Gradlinige Karrieren, die dem herkömmlichen Verständnis von beruflicher Entwicklung entsprechen, sind nicht der einzige Weg zu beruflichem Erfolg und persönlicher Zufriedenheit. Der Mut, der eigenen Neugier zu folgen und zunächst wenig vielversprechenden Wege zu beschreiten, sind ein untypisches Karrieremodell, das gleichwohl vielfältig berufliche Möglichkeiten eröffnet. Zudem brauchen Wirtschaft und Gesellschaft mit ihren zunehmend schnelleren Veränderungen immer mehr Menschen, die Unsicherheit aushalten können und die gelernt haben, über die Gestaltung ihres beruflichen und persönlichen Weges sich wechselnden Anforderungen anzupassen.
Vortragende: Hannah Timmann, Unternehmensberaterin.
Hannah Timmann, Dipl.-Psych., DGTA, seit 1991 selbständige Beraterin und Trainerin mit den Schwerpunkten Kundenkommunikation, Einzelberatung und Gruppen-Outplacement. Erfahrungen in der Geschäftsleitung/Personalleitung eines mittelständischen Unternehmens in Italien, langjährige Tätigkeit in verschiedenen Bereichen der Erwachsenenbildung.
Zusammenfassung des Vortrags von Hannah Timmann
Die hilfreichen drei 'M'
Meßbar
Was genau will ich erreichen?
Woran werde ich merken, daß ich mein Ziel erreicht habe oder meinem Ziel deutlich näher komme?
(Bis) wann will ich es erreicht haben?
Machbar
Realistisch in den Möglichkeiten
Herausfordernd in den Annahmen
Motivierend
Was ist drin für mich?
Was kann ich gewinnen?
Was habe ich davon?
Macht es Sinn für mich persönlich? Macht es mir Spaß?
Sich auf Unsicherheit einzulassen, bedeutet gleichwohl, zielorientiert zu handeln.
Vermeiden von Unsicherheit
Motto: Sei bloß vorsichtig, denn es könnte...
· Und was ist, wenn du scheiterst? - Phantasien über mögliche Auswirkungen erzeugen Angst.
· Hast du auch gut überlegt, was du aufgibst? - Neues braucht Platz: von der Schwierigkeit, lieb gewordene Sicherheiten aufzugeben.
· Gehe auf Nummer sicher! - Eine deutsche Lebensphilosophie.
· Karrieremacher sind Ellenbogenmenschen, leben nur für den Job, ... Das ist nichts für mich! - Unser Verständnis von Karriere ist veraltet.
· Soviel Verantwortung - das ist zu riskant! Selbstständigkeit ist - zumindest am Anfang - Unsicherheit pur.
Sich einlassen auf Unsicherheit
Motto: Selbst wenn es nicht so läuft wie geplant, habe ich trotzdem etwas gewonnen.
· Neugier ist eine Tugend, die - nicht nur beruflich - weiterbringt! - Das konsequente Verfolgen einer wirklich wichtigen Vision wird belohnt.
· Mut zu neuem Aufbruch! - Zufälle, Krisen und Mißerfolge sind Chancen, sich auf etwas Neues einzulassen.
· Konsequenz ist nicht alles! - Nicht tragfähige Entscheidungen lassen sich revidieren.
· Flexibilität ist Bereitschaft, Neues zu lernen, sich neu zu orientieren! Wirtschaft und Gesellschaft brauchen Menschen, die veränderungsbereit und -fähig sind.
· Unsicherheit immer wieder neu aushalten ist ein lebenslanger Lernprozeß.
Der Vortrag selbst ist Beispiel für die Lust an der Unsicherheit. Vielleicht kennen Sie selbst ähnliche Situationen: Je näher der Vortrag rückte, desto mulmiger wurde mir und ich fragte mich: Worauf hast du dich eingelassen? Vorträge vor einem großen Publikum zu halten, ist nicht gerade mein täglich Brot und noch dazu zu einem für mich neuen Thema, wo ich nicht den Koffer voll habe mit meinem Know-How, das ich für meine Arbeit brauche. Was also hatte mich dazu getrieben?
Als ich gefragt wurde, ob ich bereit sei, im Rahmen dieser Vorlesungsreihe einen Vortrag zu halten, als ehemalige Studentin dieser Universität und (wie mir die Ansprechpartnerin sagte) erfolgreiche Selbständige, habe ich nur kurz überlegt, ob ich dafür etwas aus meinen Arbeitsfeld nehmen sollte, es schien aber nicht so recht in die Reihe zu passen. Wir kamen auf das Thema meiner eigenen nicht eben gradlinigen Karriere, (und da hat Frau Narjes Ihnen längst nicht alles verraten - es war so manche Schleife dazwischen, tiefgehende Krisen und trotzdem immer ging's immer wieder eine spannende und neue Wege) und auf Überlegungen, was davon denn für andere interessant sein könne. Und so reizte es mich plötzlich, mich einer Frage zuzuwenden, die mich in meinem Leben immer wieder bewegt hatte und die auch mein berufliches Leben geprägt hatte: Mich immer wieder auf Unsicherheit einzulassen und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb auch immer wieder erfolgreich zu sein. Und so stehe ich hier vor Ihnen mit all den Risiken einer solchen Situation und gehe der Frage nach, was hindert Menschen daran, sich auf Unsicherheit einzulassen und was fördert ihre Bereitschaft, es zu tun?
Meine Überlegungen dazu sind nicht abgeschlossene Erkenntnis, sondern können mehr als Denkanregungen für den Umgang mit der eigenen Karriere und dem eigenen Leben dienen. Als ich anfing darüber nachzudenken, dachte ich, daraus könnte man auch eine tiefergehende Forschungsarbeit machen. Noch aber ist es nicht soweit, und vielleicht wird auch nie etwas daraus, denn das, was ich Ihnen vorstellen möchte, versteht sich daher eher als Work in Progress und als Ermunterung, in der persönlichen Karriereentwicklung etwas zu wagen. Außerdem möchte ich mit Ihnen im Anschluß an den Vortrag über meine vielleicht manchmal gewagten Thesen diskutieren.
Als roten Faden, der Licht in die Frage noch der Bereitschaft sich auf Unsicherheit einzulassen bringen kann, habe ich ein Modell (Julie Hay) gewählt, das wir in unserer Arbeit mit Führungskräften benutzen, wenn es um das Thema Führen mit Zielen geht. Man kann es gut benutzen zur Überprüfung des eigenen Handeln und sich auch klar machen, welche persönlichen Ziele angestrebt werden können und was es dazu braucht.
Modell am Beispiel des Vortrags
· Sich auf Unsicherheit einzulassen, bedeutet gleichwohl, zielorientiert zu handeln
Auch wenn Umwege, massive Verunsicherungen oder Schleifen auftreten, so treibt dennoch eine starke Motivation sie an: etwas für die Person Wichtiges, das sie erreichen möchte, und wovon sie sich etwas verspricht. Und dies gilt in besonderem Maße für berufliche und persönliche Wege.
Eva Maria Geiblinger (Direktorin/Lt. Konzernkommunikation Degussa): „In sich hineinhorchen, um zu wissen, was man kann, in welche Richtung man sich entwickeln will. Aber man muß sein berufliches Ziel auch mit dem inneren Ego, mit sich selbst abstimmen. Sonst gibt es Diskrepanzen. Das Ganze funktioniert nur in einer gewissen Harmonie zwischen dem beruflichen Umfeld und der eigenen Person.“
Getrud T. Fischer (Managerin bei Scheu + Wirth AG): „Es ist wichtig, den eigenen Weg zu gehen, Spaß dabei zu haben, dann kann man auch erfolgreich sein. Man muß hinter dem, was man macht, voll stehen.“
Warum aber ist es so schwer, sich auf Unsicherheit einzulassen?
Dazu ein paar Thesen
Vermeiden von Unsicherheit - fünf Gründe sich nicht auf Unsicherheit einzulassen
Motto: Sei bloß vorsichtig, denn es könnte ...
· Und was ist, wenn du scheiterst? - Phantasien über mögliche Auswirkungen erzeugen Angst
Diese Schreckensvorstellung geht wohl jedem durch den Kopf, wenn der sich an etwas Neues heranwagt, einen großen Schritt plant. Scheitern kann alles mögliche bedeuten: Ich bringe zwar Know-how mit, aber es reicht nicht aus. Meine kleine Firma verträgt das angestrebte Wachstum nicht und ich muß Insolvenz anmelden; es gelingt mir nicht, mir in meiner neuen Führungsposition Respekt bei meinen Mitarbeitern zu verschaffen und muß zurück an meinen alten Arbeitsplatz oder vielleicht sogar an einen schlechteren; ich gewinne in meiner Selbständigkeit nicht genügend Kunden und verdiene nicht genug Geld zum Leben. Ich habe mich an ein Projekt herangewagt und schaffe es nicht, es zu einem erfolgreichen Abschluß zu führen. Ich habe meinen ersten Job bekommen und bin den Anforderungen nicht gewachsen.
Und natürlich gibt es diese Beispiele, wir alle kennen sie (ich aus der Arbeit, Sie vielleicht auch oder Sie haben Bekannte. Beispiel aus der Presse: ein Journalist, der sich ein Hotel aufgebaut hat, damit gescheitert ist und nun wieder in seiner alten Redaktion arbeitet) und möchten nicht in der Haut derjenigen stecken, denen so etwas passiert ist.
Im Vordergrund werden solch konkrete Auswirkungen gesehen, die sich Menschen ausmalen. Eine besondere Rolle spielt aber die Angst davor, wie werde ich dastehen, wenn ich nicht das erreiche, was ich vollmundig verkündet habe? Was werde ich an gesellschaftlichem Status einbüßen? Was werden die Menschen, die mir wichtig sind, dazu sagen? Wie werde ich selbst damit umgehen können, wenn ich mich überschätzt habe, wenn ich vor dem finanziellen Folgen stehe, wenn ich mir das Scheitern eingestehen muß? Was werde ich tun, wenn alles in Scherben liegt? Diese Phantasien können uns - im Nichtstun oder weiter dasselbe tun - erstarren lassen. Auch Glaubenssätze wie: Alles, was du nicht perfekt beherrschen kannst, brauchst du gar nicht anzufangen oder alles, was du anfängst, mußt du auch alleine zu Ende bringen. Die Schreckensvisionen sind eine Bremse, sich vor möglichem Scheitern zu schützen und sich gar nicht erst auf unsicheres Terrain zu begeben.
Zweites M - machbar. In Beratungen erleben wir oft, daß die negativen Auswirkungen möglicher Handlungen Übergroß phantasiert werden. Sich bei näherem Hinsehen oder kritischem Hinterfragen zumindest erheblich verkleinern.
Studie: Managerinnen, die Ende der 90er Jahre zu ihrer Karriere befragt wurden, sagen mehrheitlich, daß die Angst vor Veränderungen und mangelndes Zutrauen zu den eigenen Fähigkeiten Hindernisse auf dem Karriereweg sind: Frauen unterschätzen sich! Bei den meisten neuen Jobs, so Sylvie Seignette, eine dieser Frauen, Mitglied des Vorstands Chose Manhattan Bank, habe sie nie alles gekonnt.
Wenn man gelernt habe, daß man nicht immer das komplette Wissen habe am Anfang, dann traue man sich mehr zu. "Über den Schatten springen, selbst wenn man kleine Zweifel hat" ist ihre Devise.
Daß Frauen sich oft unterschätzen, wenn es darum geht, einen bestimmten Job zu bekommen, unterstreicht auch die Aussage von Monika Sieverding, Forscherin am FB Psychologie der FU Berlin:" Frauen legen oft die Meßlatte zu hoch. Sie vergleichen sich mit dem idealen Bewerber, statt zu sehen, daß auch die anderen Kandidaten nicht perfekt sind."
Drittes M - Dazu Barbara Bertrang ( Präs. Direktion Deutsche Telekom, Stuttgart) Wenn die Aufgabe Spaß macht, das Umfeld stimmt und der Chef nett ist, denken Frauen nicht an einen Wechsel. Damit gibt es keine Kompetenzerweiterung und Stärken werden nicht entwickelt. Ist die Motivation, etwas zu tun, jedoch groß genug, wächst die Bereitschaft mögliche negative Auswirkungen, darunter auch das Risiko zu scheitern zu akzeptieren.
Sich nicht so schnell zufrieden geben, mit der eigenen Leistung, ist wichtig! Sagt dazu Sylvie Hombloch-Gesinn (Chefsyndicus bei der DG-Bank).
· Hast du auch gut überlegt, was du aufgibst? - Neues braucht Platz: Von der Schwierigkeit lieb gewordene Sicherheiten aufzugeben.
Die Bedenkenträger, was man alles verlieren kann, wenn man sich zu neuen Ufern aufmacht und vorhandene Sicherheiten oder vorgezeichnete Wege verläßt, sind nicht nur in uns selbst im inneren Dialog vorhanden, sondern um uns herum gibt es immer genügend Leute, die warnen: Eltern, Freunde, Partner, wichtige Bezugspersonen.
So war es auch, als ich mich kurz nach dem zweiten Staatsexamen entschied, meinen sicheren Beamtenstatus aufzugeben, um ein zweites Studium zu beginnen - noch dazu in einer Zeit, in der die Lehrerarbeitslosigkeit begann. "Da kommst du dann nie wieder rein", sagten alle - sie haben damit Recht behalten, aber das wollte ich in dem Moment nicht hören. Ich aber war 23 und dachte, das könne noch nicht alles gewesen sein, was das Leben zu bieten hätte. Mir war es wichtig noch etwas ganz Neues zu lernen und dazu schien mir der sichere Rahmen zu eng für meine persönliche Entwicklung. Gleichzeitig hatte ich aber natürlich auch viele Zweifel und dachte, wird es dir gelingen. Zu den Dingen, die ich aufgeben mußte, gehörte u.a. das sichere Einkommen, ein Job, der mir durchaus Spaß machte und ein gewisser gesellschaftlicher Status. Jetzt war ich wieder Studentin mit Nebenjobs. Diesen Schritt meine wirtschaftliche Situation auf Studentenniveau zurückzuschrauben, habe dann noch ein zweites Mal getan.
Die starke Motivation, das 3. M, hilft als Gegengewicht zum größeren Risiko und zu mehr Unsicherheit. "Wenn man sich über die eigene Motivation im Klaren ist, hilft das in Phasen der Unsicherheit, die auf jeden Fall auftreten, durchzuhalten" sagt Rose-Marie Hoppner meine Freundin und Partnerin im Geschäft zu ihrer Entscheidung sich selbständig zu machen. Sie war Personalverantwortliche für Nordeuropa in einen multinationalen Konzern mit einer klassischen Karriere im Hintergrund. "Ich wußte genau, ich kann das noch Jahre machen und wahrscheinlich auch noch weiter aufsteigen, aber es wurde leer. Es schlich sich das Gefühl ein, ausgehöhlt zu sein. Alles war da Status, Karriere und Geld. Aber es reichte nicht mehr, es gab zu wenig Anregung, neues Lernen. Es stellte sich die Frage, was ist drin für mich persönlich?" So wie sie äußern sich viele Managerinnen, die dann allerdings nicht unbedingt den Schritt in die Selbständigkeit tun, aber sich aus vertrauten Positionen verabschieden, obwohl die Entwicklungsmöglichkeiten noch nicht ganz ausgereift sind oder sie sich noch nicht umfassend für die neue Aufgabe gewappnet fühlen (Beispiel Anke), oder aber in ein anderes Unternehmen wechseln: im Schnitt nach 1- 3 Jahren.
Auch schon während der Ausbildung gibt es solche Wendepunkte. Texterin - Unterbrechung durch Texterausbildung - dann als kein Job Studium beendet, nebenberuflich getextet - Warnungen der Umwelt, mach erstmal dein Studium zu Ende.
Immer erst durch diese (manchmal weitreichende) Entscheidung, auf Sicherheit zu verzichten, war der Weg frei geworden für neue Entwicklungen. Mit anderen Worten: Lernen, Neues gewinnen, sich entwickeln braucht neben einer starken Motivation (3. M) und einen attraktiven Ziel, den Mut Platz zu machen für Neues.
· Gehe auf Nummer sicher! - Eine deutsche Lebensphilosophie
Dies ist ein kleiner Exkurs. Sicherheit ist - so erschien es mir noch meiner Rückkehr aus dem Ausland - in Deutschland ein außerordentlich hohes Gut. Wenn man sich dagegen entschieden hat, beruflich nur auf Nummer sicher zu gehen und außerdem auch einen Preis des Scheitern für die eigene Lust am Risiko bezahlt hat, läuft man hierzulande mehr als z. B. in Italien, wo ich sieben Jahre gelebt und gearbeitet habe, Gefahr als fahrlässig zu gelten.
Ich erinnere mich, als ich bei meinen Bemühungen in Deutschland neu beruflich zu starten, jemanden auf meinen Weg in die Selbständigkeit um Rat fragte, viel davon hörte, was es braucht um den Lebensvorstellungen in Deutschland zu entsprechen: Wohneigentum, eine Lebensversicherung und finanzielle Rücklagen usw. Von Zielen, Visionen, dem Mut sich aufzumachen, sich selbst zu verwirklichen oder einfach leben hörte ich hingegen wenig. Mir kam es vor wie eine Anleitung, mich gegen das Leben zu versichern und mein Ratgeber war offensichtlich auch der Meinung, daß dies ginge. Ich hingegen hatte bis zu diesem Zeitpunkt, durchaus den Eindruck, meine Berufstätigkeit erfolgreich gelebt zu haben und glaubte, daran mir eine neue selbständige Existenz aufbauen zu können.
Daraus ergab sich für mich ein Lebensgefühl des mehr für morgen als für heute leben, das ich in dieser Deutlichkeit wahrscheinlich nur deshalb wahrnehmen konnte, weil ich gerade aus einem Land kam, in dem vielleicht gerade weil nicht alles perfekt und sicher ist, vieles möglich wird, was unmöglich scheint. Unsicherheit zuzulassen, heißt sich diesem Lebensgefühl und den herrschenden Werten entgegenzustellen und es macht nicht gerade Mut, zum Quereinsteigen und dazu etwas für die eigene Selbstverwirklichung zu riskieren. In Deutschland heißt es eher: Scheitern verboten, und wer Risiken auf sich nimmt, kann scheitern. Karriereknicks, die Möglichkeit in der Selbständigkeit zu scheitern - in anderen Ländern durchaus kein Hindernis, neu zu beginnen (rebound), wenn man denn aus seinen Fehlern lernt - wird hier oft zu einer schier unüberwindbaren Hürde.
Wer keine gradlinige Karriere hat, wird von vielen Personalchefs kaum noch gefragt, was man denn wirklich kann und über welche Erfahrungen man verfügt. So bleiben denn viele lieber in Tätigkeiten hängen, die ihnen keinen Spaß machen und keine Zufriedenheit bringen, weil es sicherer ist, am Bestehenden festzuhalten und wenn das Aufstehen am Morgen noch so schwer fällt. Und Frühpensionierungen wegen Burn-out-Symptomen oder Krankheit sind sicher nicht nur das Resultat hoher Arbeitsbelastungen, sondern auch Ausfluß dieser Unzufriedenheit. Im Ausland - wie z. B. in Italien - gibt es weniger festgelegte Karrierewege, Quereinstiege sind häufiger, die Fähigkeit auch mit dem und im Job zu improvisieren, ist ausgeprägter und Hochschulabschlüsse, bieten zwar keine Gewähr auf einen Job, sind aber unabhängig von der Fachrichtung Einstieg für unterschiedliche Karrieren.
In dieser Hinsicht sind wir durchaus noch lernbedürftig, darauf verweist auch der frühere Bundespräsident Roman Herzog 1997 in seiner sogenannten "Ruck-Rede": Wäre es nicht ein Ziel, eine Gesellschaft der Selbständigkeit anzustreben, in der der Einzelne mehr Verantwortung für sich und andere trägt und in der er das nicht als Last, sondern als Chance begreift? Eine Gesellschaft, in der nicht alles vorgegeben ist, die Spielräume eröffnet, in der auch dem der Fehler macht, eine zweite Chance eingeräumt wird. Eine Gesellschaft, in der Freiheit der zentrale Wert ist und in der Freiheit sich nicht nur durch die Chance auf materielle Zuwachse begründet.
Zwischenzeitlich schien es zu Zeiten der Booms der ‚New-Economy’, als wäre eine großflächige Änderung eingetreten. Nach dessen Ende aber schwingt das Pendel wieder in die andere Richtung, wie kürzlich einem Artikel, in der Beilage "Chancen" der Wochenzeitung DIE ZEIT zu lesen war, im Moment sind eher schlechte Zeiten für Quereinsteiger. Und das obwohl viele Unternehmen flexiblen Seiteneinsteigern oder mit Mitarbeitern mit ‚schrägen’ Lebensläufen sehr gute Erfahrungen gemacht haben.
Beim Blick auf die hilfreichen drei M unter solchen Vorzeichen, ergibt sich dann, daß die Chancen auf Machbarkeit bei der Erreichung eines risikobehafteten Ziels eher gering gewertet werden.
Gleichwohl gibt es Anzeichen, das außergewöhnliche Karrieren dennoch nicht ausgeschlossen werden müssen. Beispielsweise bei den großen Beratungsgesellschaften: McKinsey sucht nach wie vor den Nachwuchs auch unter Studenten, die Nicht-Ökonomen oder Juristen.
Sich im Ausland beruflich umzusehen, lohnt sich in jedem Falle. Das zeigen die Lebensläufe der Managerinnen der Studie. Und ganz unabhängig davon ist, allein die Tatsache, daß man ins Ausland geht, ist ein größerer Schritt als der von Hamburg noch Köln zu gehen und er eröffnet überdies die Chance, im Umgang mit Unsicherheit einiges dazu zu lernen.
· Karrieremacher sind Ellenbogenmenschen, leben nur für den Job, ... Das ist nichts für mich! - Unser Verständnis von Karriere ist veraltet
Gerade Frauen - so heißt es oft - riskieren nichts, wenn es darum geht, in die nächst höhere Position zu wechseln. Und in der Tat bestätigen, dies auch die Managerinnen (s.o.), befragt danach, warum so wenige Frauen in höheren Positionen zu finden sind. Warum das so ist? Neben der schon angesprochenen Unterschätzung ihrer Fähigkeiten (2.M - Machbar!), der Befürchtung nicht oder noch nicht gut genug zu sein, spielen sicher die oben angesprochenen Vorurteile eine Rolle.
Aber muß Karriere zwangsläufig heißen, daß man nur mit Härte re(a)giert und sich damit zum sozial unbeliebten Menschen macht, daß man immer bis zum Umfallen und in die Nacht arbeitet? Im Angelsächsischen - und das ist auch mein Verständnis von Karriere - bedeutet career nichts weiter als berufliche Laufbahn, es hat nicht den negativen und tendenziell sozialfeindlichen Beigeschmack wie im Deutschen. Lust auf Karriere heißt für mich vor allem, Berufstätigkeit aktiv zu gestalten, meinen Fähigkeiten, Interessen und meinem Lernbedürfnis, aber auch den Chancen, die sich mir bieten zu folgen. Mit dem Ziel mein Arbeitsleben so einzurichten, daß sich eine gute work-life-balance ergibt.
Ein interessantes Verständnis dieses Verhältnisses zwischen Arbeit und Leben fand ich in der Anzeige einer Unternehmensberatung: „Früher war die Welt zweigeteilt: Hier die Arbeit, da der Spaß. Das gilt nicht mehr, jedenfalls nicht überall. Inzwischen hat man gemerkt, daß zur guten Leistung auch Freude an der Arbeit gehört. Wir wissen das. Das bedeutet nicht, daß unsere Mitarbeiter witzige Bildchen in ihren Büros aufhängen. Wir stellen am liebsten Leute ein, die wirklich Freude an ihrer Arbeit haben, weil sie bereit sind Herausforderungen anzunehmen und meistern. Es bedeutet auch nicht, daß man vor lauter Spaß abends um zehn noch im Büro sitzt (obwohl das vorkommt). Sollten Sie der Meinung sein, daß intensive Arbeit nicht nur Spaß machen darf, sondern muß, dann...“
Wenn ich Karriere so definiere, lohnt es sich wieder auf die 3M zu schauen: Was genau will ich erreichen? Wie sieht das richtige Maß - für mich - zwischen realistisch und herausfordernd aus? Und was kommt für mich dabei herum? Das kann für jeden - je nach persönlicher Situation - individuell sehr unterschiedlich sein. Entscheidend ist, wo ich hin will und was ich davon habe. Dazu können auch Seitenwege gehören, die einfach für mich, für mein Leben wichtig sind. Den Nutzen, den sie mir bringen, dann anschließend oder auch durch vorherige Planung als Puzzlestein in die Karriere einzubauen, war für mich immer ein roter Faden.
Darüber hinaus können wir heute ohnehin nicht mehr davon ausgehen, daß man sich einmal in seinem Leben für einen Karriereweg entscheidet. Durch die immer schnelleren Wechsel in Unternehmen und in den Berufsbildern werden Berufswege immer wieder neu überdacht und neu angeknüpft werden müssen. Klassische Karrieren, wie einmal Bank von der Pike auf gelernt, werden mehr und mehr der Vergangenheit angehören.
· Soviel Verantwortung - das ist mir zu riskant! Selbständigkeit ist - zumindest am Anfang - Unsicherheit pur
Selbständigkeit? Nein danke. Das scheint das Motto der Deutschen zu sein, glaubt man einer aktuellen Studie des Hamburger Freizeit-Forschungsinstituts: 89% der Deutschen fühlen sich als abhängig Beschäftigte wohl. Nur ein knappes Zehntel aller Erwerbstätigen möchte selbständig sein. Ähnliches fand McKinsey heraus: Neun von zehn Deutschen finden Selbständigkeit gut, doch ebenso viele überlassen es lieber den anderen selbständig zu sein. Zudem haben Unternehmer (lt. VDI-Nachrichten) kein besonders gutes Image, zwar werden sie überwiegend als willensstark und tüchtig gesehen, aber auch als egoistisch, nur an sich selbst denkend und ohne Verständnis für die Sorgen der kleinen Leute.
Wer hat da noch Lust, sich selbständig machen? Das größte Hindernis dürfte das Risiko sein, wenngleich - so eine Umfrage unter Studenten von Sternberg - die allermeisten Befürchtungen, Ängste und Vorurteile wenig mit der Realität zu haben. Wirklich bedenklich sei nur die Uninformiertheit und Unsicherheit, die zu diesem Thema herrsche. Und der Freizeitforscher Opaschowski setzt noch drauf: "Wagniskultur ist für die Jugend ein Fremdwort geblieben."
Wer das Leben von Selbständigen aus der Nähe kennt oder selbst selbständig ist, weiß, daß es einer gründlichen Überprüfung der Machbarkeit (2. M) und einer wirklich starken Motivation, um die Momente der Unsicherheit zu überwinden, die vor allem am Anfang in hohem Maße das Leben bestimmen. Ich erinnere mich gut an meine eigenen Sorgen: Gelingt es mir, genügend Kunden zu finden? Reichen die Aufträge, um genügend zu verdienen? Paßt das Angebot für den Markt? Bin ich zu teuer? Sie verließen mich auch nicht in Momenten, in denen ich nicht arbeitete - und das waren nicht so viele. Ein Kollege sagte mir damals: Selbständig zu sein, heißt nicht, anders zu arbeiten, sondern anders zu leben! Man übernimmt automatisch mehr Verantwortung für sich selbst und oft auch für Mitarbeiter und deren Einkommen. Besonders schwer war es am Anfang, einen Auftrag abzulehnen, weil er nicht hundertprozentig in meinem Kompetenzbereich lag, ich mich den Modalitäten des Vertrags nicht einverstanden war oder weil er nicht gut genug bezahlt war und mich wertvolle Zeit für Akquisition und Konzeption kostete und damit die Aussicht auf attraktivere Aufträge beeinträchtigte. Nein zu sagen, etwas, das sich am Anfang für Selbständige als großes Risiko darstellt, war eine meiner wichtigsten Lernaufgaben. Solche Situationen gibt es auch heute noch, allerdings nicht mehr so häufig.
Die Qualitäten von Selbständigen werden zunehmend auch von Angestellten gefordert, d. h. es wird in Unternehmen zukünftig mehr davon ausgegangen werden, daß Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Ergebnisse ihres Handelns die volle Verantwortung übernehmen. Typisch dafür sind Schlagworte wie der Unternehmer im Unternehmen.
Und dennoch der Gewinn an Freiheit, nicht an Freizeit und das Maß in dem ich mich selbst bestimmen und verwirklichen kann, ist ein Wert an sich und nicht zu unterschätzen. Da läßt sich die Frage, was habe ich davon einfach und eindeutig beantworten und ob ich meine Ziele erreicht habe, kann ich meist schnell beantworten, wenn wieder ein Jahr meiner Selbständigkeit herum ist.
Schon bei den Thesen zum Vermeiden von Unsicherheit habe ich versucht zu zeigen, daß die Glaubenssätze, die dieser Vermeidungshaltung zu Grunde liegen bei eingehender Betrachtung nicht haltbar sind und daß wie die Beispiele und Aussagen verdeutlichen, es darauf ankommt, sie gründlich zu überprüfen, wenn man Lern- und Entwicklungsschritte machen will. Was aber treibt Menschen an, die sich auf Unsicherheit einlassen?
Motto: Selbst wenn es nicht so läuft wie geplant, habe ich trotzdem etwas gewonnen - z. B. eine neue Erfahrung, ich kann aus meinen Fehlern lernen und es beim nächsten Versuch anders machen
· Neugier ist eine Tugend, die - nicht nur beruflich weiterbringt! - Das konsequente Verfolgen einer wirklich wichtigen Vision wird belohnt.
Ein wichtiger Beweggrund ist m.E. die Neugier, eine Eigenschaft, die im Alltag nicht immer so gut beleumundet ist. Für die berufliche Karriere ist sie jedenfalls ein Essential, wie viele Personalchefs bestätigen.
Ähnlich klingt es bei Eva Maria Geiblinger (Direktorin und Leiterin der Konzernkommunikation bei Degussa): "Hinausgehen in die Welt, neugierig sein, den kalten Wind um die Nase wehen lassen. Nicht die ausgetretenen Pfade nehmen, nicht das machen, was alle machen."
Bei fast allen Beispielen für ungewöhnlichen Karrieren findet sie sich die Neugier, die Suche nach neuen Lernerfahrungen: Neugier auf andere Menschen, auf mehr Wissen (wobei damit nicht unbedingt enzyklopädisches Wissen gemeint ist, durchaus aber so etwas wie Hintergründe, Methoden oder Erfahrungen anderer erfahren), auf fremde Kontexte wie z. B. Ausland, andere Branchen oder Tätigkeit und - das gilt für alle Beispiele neugierig auf Herausforderungen. Hier begegnet uns wieder das 2. M - Grenzen der Machbarkeit testen und das 3. M, eine starke Motivation, daß das was angestrebt genau das Richtige ist.
Ein typisches Beispiel dafür ist Anika Reuter, eine Psychologiestudentin und Werbetexterin aus Hamburg. Sie studierte Psychologie, als sie von einer Ausbildung zur Werbetexterin hörte und sofort das Gefühl hatte: Das ist es! Der Aufnahmetest war für sie nur die erste Hürde, in die Ausbildung hineinzukommen: "Mir war von Anfang an klar, daß ich es schaffen würde. Vielleicht war die Tatsache, daß ich so oft von dieser Ausbildung ein Hinweis dafür. Aber ich hätte auch sagen können: Ich bin versorgt mit dem Studium, das mache ich fertig, dann bin ich immer noch jung genug, um in die Werbung zu gehen. Aber ich glaube, sobald man weiß, was man will, sollte man es auch in die Tat umsetzen. Man muß nur auf den richtigen Zeitpunkt warten. Und für mich war der eben genau hier." Noch hat sie keinen festen Job als Texterin, sie macht nun doch ihr Studium weiter und textet nebenbei - "ohne die Texterschmiede hätte ich das ja auch gemacht. Früher oder später wäre ich sowieso da angekommen, wo ich jetzt bin. Der Weg wäre vielleicht noch etwas länger gewesen, vielleicht hätte ich während des Studiums Praktika in Werbeagenturen gemacht. Aber letztendlich ist es so, wie Peter Ustinov einmal gesagt hat: Jeder kommt da an, wo er auch auf anderem Weg gelangt wäre."
Neugier auf andere als die angestammten Arbeitsbereiche gepaart mit den Verfolgen einer für die Person wichtigen Idee, einem Ziel, führten auch bei der Juristin Barbara Winzer dazu, daß es ihr gelang, sich neben der Juristerei, die sie nicht ausfüllte und die sie für sich zu wenig kreativ fand, einen neuen Bereich zu erschließen: das Theater. Über Referendarstationen, die sie zum Teil im Theaterbereich absolvierte, knüpfte sie Kontakte. Entschloß sich dann aber doch mit zwei Partnern eine Kanzlei zu eröffnen. "Und so hätte es weitergehen können", sagt sie, "als Anwältin mit Hang zum Theater". Wenn nicht ... plötzlich zwei Angebote, sie doch noch dazu bewogen hätten, ans Theater zu gehen. Zunächst als Presserefentin, heute ist sie Dramaturgin in Dortmund. "Das war's! Diese Mischung aus Administration und künstlerischer Tätigkeit." Juristen finden sich ja ohnehin in vielen Felder und die Ausbildung ist eine gute Grundlage für viele Berufe, dennoch: "Natürlich habe ich zwischendurch immer mal wieder Ängste gehabt, ob ich das alles schaffe."
Eine konkrete Vision, was sie beruflich machen wollte hatte Britt Reinecke, Moderatorin, schon sehr früh. Mit 17 sagte jemand von ihr, sie habe eine "richtige Fernsehfresse" und seither hatte sie der Gedanke Moderatorin zu werden nicht losgelassen. Statt vielleicht so etwas Langweiliges wie BWL zu studieren, entschied sie sich für Angewandte Kulturwissenschaften mit Schwerpunkten Kommunikation, Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. Aber erst über Model-Jobs konnte sie die richtigen Kontakte knüpfen und wurde Nachrichtensprecherin bei einem Regionalsender. Von ihrer Vision aber war sie immer fest überzeugt und sie hat sich dafür weiter gezielt eingesetzt: "Ich glaube, wer einen festen Plan hat, richtet unbewußt alles danach aus. Zu diesem Zeitpunkt (als die Fotografin ihr die ersten Kontakte zum Fernsehsender verschaffte) hätte es nicht mehr lange gedauert, bis ich selbst aktiv geworden wäre. Die Fotografin hat's mir nur erleichtert." (Daniel Lebert)
· Mut zu neuem Aufbruch! - Zufälle, Krisen und Mißerfolge sind Chancen, sich auf etwas Neues einzulassen.
Zufälle als Chancen zu begreifen, hat nicht nur damit zu tun, daß sie einem immer zum richtigen Zeitpunkt vor die Füße rollen. Ich vermute, manch einem ist der Zufall als Chance gar nicht richtig bewußt geworden, weil er oder sie gar keine Antennen dafür hatte oder sie in dem Moment nicht hatte. Denn oft bedeutet Zufall eben auch die Entscheidung zu treffen, will ich dieses Risiko eingehen und was bin ich bereit dafür zu geben und/oder aufzugeben.
Ortswechsel und Positionswechsel hat die Leiterin eine Tradingmarketingabteilung in ihrer Karriere eine ganze Reihe erlebt und immer waren es Menschen, die sie zufällig zur richtigen Zeit getroffen habe, die ihren Karriereweg mitbestimmt haben, trotzdem wußte sie aber genau, was sie wollte und sagt, sie habe ihre Ziele klar formuliert: "Meine Vorgesetzten haben mir meine Wünsche nicht von den Augen abgelesen. Ich habe für meinen Erfolg gekämpft."
Augen und Ohren offen halten, damit der günstige Zufall nicht vorüberzieht, ist in solchen Fällen manchmal auch die Lösung einer aktuellen Krise. So kam auch Almut Schmidt zu ihrem Beruf. Ihr ursprünglicher Berufswunsch war bereits während der Praktika, die sie in der Schule machte, für sie fragwürdig geworden (ich bin kein Lehrertyp). Sie machte trotzdem Examen. Kurz vor dem Abschluß las sie etwas über den Beruf der Lektorin: "Da hat es schnipp gemacht, ich wußte, das wäre was für mich". Sie verband dies mit der Idee, ihr Pädagogikstudium und ihr Interesse für Kinder zu nutzen und machte sich auf, gegen die große Konkurrenz ihren Berufswunsch zu verwirklichen (etwas blauäugig, wie sie heute meint). Nach Praktika und Volontariat arbeitet sie heute als Lektorin.
Auch ich habe mit Krisen und Mißerfolgen noch fast dreißig Jahren Berufstätigkeit ein gerüttelt Maß an Erfahrungen gesammelt. So können auch persönliche Krisen - wie bei mir - ein Auslöser sein, sich auf etwas zu besinnen, das man wirklich immer schon machen wollte. Dazu sagt G.B. Shaw: "Krisen sind ein produktiver Zustand, man muß ihnen nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen."
Anfang der 80er war ich persönlich und beruflich in einer handfesten Krise und mußte eine Menge Kraft aufwenden, um mich wieder neu zu motivieren und zu überlegen, was kannst du tun, um das Ruder herum zu reißen. Ich wollte immer schon einmal ins Ausland gehen und dort arbeiten. In meinen bisherigen Arbeitsleben bei staatlichen Institutionen hatte es dafür keine Anknüpfungspunkte gegeben. So überlegte ich, was ich in meinem persönlichen Koffer hatte an beruflicher Ausstattung und entschied ich mich, für ein Jahr auf eigene Faust mein Glück in Italien zu versuchen. Daß aus dem geplanten Jahr sieben wurden, hat wiederum damit zu tun, daß mir noch einem Jahr die Chance geboten wurde, eine Führungsfunktion zu übernehmen, die für meine heutige Arbeit als Selbständige einen wesentlichen Erfahrungshintergrund darstellt.
Krise - RH oder Managerinnen "Neues angehen, wenn Altes vorbei / an die Grenzen"
Mißerfolge wie z. B. der Verlust eines Unternehmens sind nicht so leicht wegzustecken, vor allem wenn davon auch noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen sind. Vielen Existenzgründern der New-Economy ist es so ergangen. Ein Beispiel dafür ist ein Informatiker, der nach Erfahrungen in den USA hier ein Unternehmen aufbaute, zunächst für einige Jahre eher im Garagenformat. Dann begann mit dem allgemeinen Boom ein schnelles, wie er heute weiß zu schnelles Wachstum. Das Unternehmen wuchs innerhalb von zwei Jahren auf fast 80 MA und das Venture-Capital wurde ihm geradezu hinterher getragen. Dann begann der noch schnellere Abstieg. Welche Fehler er gemacht hat, ist ihm bewußt. Heute arbeitet er in den Resten seines Unternehmens, das von anderen gekauft wurde. Ich bin mir aber ziemlich sicher, daß dies nur eine Schleife ist, denn er wollte immer selbständig sein.
Krisen und Mißerfolge lassen sich als Chancen, als Freiraum für Neues betrachten und überwinden. Es ist deutlich von Vorteil, wenn man eine klare Motivation (3.M) hat und weiß wo man hin will. Schleifen und Umwege können helfen aus dem Tal wieder herauszukommen und zu überlegen, welche der Fehler beim Neustart zu vermeiden sind.
Und die berühmten Zufälle stellen sich bei näherem Hinsehen, oft als etwas heraus, das nicht in eine Chance umgewandelt worden wäre, wenn es nicht schon vorher ein Ziel und eine Idee gegeben hätte. Es kommt dann nur noch darauf an, zu checken, ob man sich für den neuen Weg gut genug ausgestattet fühlt.
· Konsequenz ist nicht alles! - Nicht tragfähige Entscheidung lassen sich revidieren.
Bei aller Zielorientierung kann es natürlich trotzdem passieren, daß man eine Entscheidung trifft, bei der man über kurz oder lang merkt, daß sie nicht trägt. Die Gründe dafür können vielfältig sein.
Ein Beispiel, das mir dazu immer zuerst in den Sinn kommt, ist das einer Freundin, die ich in Mailand kennenlernte. Sie studierte Gesang, hatte aber bereits eine Ausbildung als Politikwissenschaftlerin und Journalistin in England gemacht. Bereits als Jugendliche hatte sie in der Freizeit mit der Gesangsausbildung angefangen und der Wunsch, dies zu ihrem Lebensinhalt zu machen, war auch während ihrer ersten Ausbildung sehr lebendig geblieben. Und so nahm sie das Studium ernsthaft auf, mußte sich dann aber nach einer Reihe von Jahren eingestehen, daß sie niemals in diesem Beruf Erfolg haben würde, weil ihre Stimme dafür nicht ausreichte. Es hat sie nicht daran gehindert, beruflich erfolgreich zu sein. Heute arbeitet sie in Jerusalem als Journalistin und hat inzwischen als Fotografin mehrere internationale Ausstellungen bestritten. Sie kann davon nicht leben, wie viele Künstler, aber es war ihr immer wichtig, sich künstlerisch tätig zu sein und dieses Ziel hat sie beständig verfolgt.
Auch für mich hieß an Beginn meiner Berufstätigkeit, umzudenken. Noch dem Ende meines zweiten Studiums habe ich einem Forschungsprojekt gearbeitet, das thematisch das Thema Erwachsenenbildung fortführte, das ich während des Studiums in meiner Diplomarbeit und in Nebenjobs zu meinem Schwerpunkt gewählt hatte. Ich konnte mir eine Hochschulkarriere gut vorstellen, mußte dann aber doch erkennen, daß mir der ständige Druck zu publizieren, und das hieß allein am Schreibtisch zu sitzen, für mich nur Unzufriedenheit zur Folge hatte.
Entscheidend war, dann ein neues Ziel in Visier zu nehmen und neu zu starten. Der Mut, eine falsche Entscheidung zu revidieren, verhindert möglicherweise lebenslangen Frust, aber es ist Teil der Unsicherheit und es braucht Mut, sich von einem Ziel zu trennen, auch dann wenn es sichtbar die falsche Richtung ist. Für mich bedeutet das: das aktive Übernehmen von Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung. Es ist wohl deshalb so schwer, sich von einem nicht einlösbaren Ziel zu verabschieden, weil man sich in jedem Falle gut überlegen muß, ob es sich nicht lohnt etwas Angefangenes zu Ende oder weiter zu führen oder ob man möglicherweise einer momentanen Krise aufsitzt, die sich überwinden ließe.
· Flexibilität ist Bereitschaft, Neues zu lernen, sich neu zu orientieren - Wirtschaft und Gesellschaft brauchen Menschen, die veränderungsbereit und -fähig sind.
Wirtschaft und Gesellschaft brauchen mit ihren zunehmend schnelleren Veränderungen immer mehr Menschen, die Unsicherheit aushalten können und die gelernt haben, über die Gestaltung ihres beruflichen und persönlichen Weges sich wechselnden Anforderungen anzupassen. Und wenn in Stellenanzeigen Flexibilität gefordert wird, so ist damit, meine ich, nicht nur Mobilität gemeint, sondern, das zeigen meine Erfahrungen in Unternehmen, ebenso die Bereitschaft, Neues zu lernen und die Fähigkeit, sich neu zu orientieren zu können. Fusionen, Konzentrationsprozesse und zahlreiche Veränderungen in den Unternehmen - wie ich es gerade jetzt in Banken aus der Nähe erlebe - garantieren nicht mehr, daß man automatisch darauf bauen kann, an der Stelle zu bleiben, wo man gerade arbeitet. Sichere Jobs und quasi turnusmüßige Beförderungen sind auch in früher ‚sicheren’ Branchen wie Banken oder Versicherungen in Zukunft nicht mehr zu erwarten. Nur wer das Risiko einer Veränderung aktiv angeht, hat Chancen, gut am Ball zu bleiben.
Von den Managerinnen, die im Schnitt alle zwei Jahre die Position wechseln, war schon die Rede. Eine von ihnen Susanne Heffner (Werkspersonallt. bei Bayer) plädiert dafür, den Wandel als Chance zu begreifen. Sie sagt von sich: "Es reizt mich, mich selbst über größer werdende, komplexe Aufgaben und Anforderungen weiterzuentwickeln und mich zu verändern und bis an meine Grenzen zu gehen." Andrea Grimm (Managerin bei IBM) spitzt es sogar soweit zu, daß sie sagt, man solle nicht zu lange auf einer Stelle verweilen, weil man sonst in der Gefahr ist, für interesselos gehalten zu werden. Sie empfiehlt, nicht zu warten, bis man gefragt wird, sondern sich klar äußern, welche Ziele man hat. Daß daraus kein ungeplantes Job-Hopping werden sollte, ist dabei selbstverständlich: Veränderungen erkennen, sich darauf vorbereiten und dann die Chance ergreifen.
Ein Beispiel das solche Flexibilität exemplarisch zeigt, ist das der Chefredakteurin der Wirtschaftszeitung brandeins Gabriele Fischer, die vom Posten der stellvertr. Chefredokteurin noch im Spiegelverlag ein neues Magazin konzipierte und auf den Markt brachte. Und die, als der Verlag es nicht mehr weiterfahren wollte, das Magazin in Eigenregie übernahm und damit Unternehmerin wurde. An ihrem Beispiel kann man gut erkennen, daß Visionen, klare Ziele und eine hohe Motivation schier Unmögliches möglich machen. Sie entspricht sicher in jeder Hinsicht dem, was Herzog in seiner Rede gefordert hatte.
· Unsicherheit immer wieder neu auszuhalten, ist ein lebenslanger Lernprozeß.
Und es hört nie auf. Fortgeschrittenes Lebensalter bietet keine Gewähr gegen sich verändernde Lebens- und Berufssituationen. Sei es, daß man wie ich überlegt, wie lange man sich den Stress des vielen Reisens auf sich nimmt oder bestimmte Aufträge anfangen sich zu sehr ähneln. Gleichgültig ob am Anfang oder im Verlauf der beruflichen Karriere: es wird immer auf's Neue Situationen geben, in denen Sie sich ändern müssen (Job fällt weg) oder sich ändern wollen, weil's langweilig wird, was sie tun und das heißt, sich mit Unsicherheit auseinanderzusetzen.
Kann man lernen mit der Unsicherheit umzugehen? Es scheint so, wenn ich den Worten eines gestandenen Vertriebsteamleiters einer Bank aus dem deutschen Osten glauben darf, der sagt daß sein Team weil schon vorher durch die schwierige Wirtschaftslage im Osten durch etliche Veränderungsprozesse mit den dazugehörigen Unsicherheiten gegangen ist und sich nunmehr den aktuell anstehenden Veränderungen mutiger und zupackender stellt, als er das im Westen erlebt und mit seinen MA im Westen erlebt hat.
Das trifft auch meine Erfahrungen. Beim zweiten und dritten Mal wird's leichter. Nur ein Patentrezept gibt's leider nicht. Die 3 M sind aber eine gute Unterstützung, um die Entscheidung, in welchem Maße Unsicherheit individuell tragbar erscheint, zu treffen und zu entscheiden, wohin die Reise gehen soll.
Heute weiß ich, daß meine Fähigkeit, mich immer wieder neu auf ungewohnte Situationen einzustellen und auch immer wieder auf neue Herausforderungen einzulassen, mich gestärkt hat, mir geradezu Sicherheit gegeben hat: ich weiß, daß ich auf jeden Fall immer wieder Arbeit finde oder mir selbst schaffe, die mir Spaß macht - notfalls, indem ich mein Lebensniveau herunterschraube. Ich profitiere heute nicht nur von den Funktionen, die hatte, sondern auch davon, daß ich unterschiedliche Wirtschaftsbereiche kennengelernt habe. Nur merke ich heute, daß mir die Entscheidung, mich von etwas zu trennen, was mich nicht mehr so ausfüllt, mir aber Sicherheit gibt, nicht mehr so leicht fällt.
Und ich hätte nie in meinem Leben auf meine Neugier verzichten wollen. Ohne sie wäre ich nicht in Italien gewesen. Selbst wenn's nicht weiter Karriereförderliches erbracht hätte, gewonnen habe ich neben der beruflichen Erfahrung eine neue Sprache, in der ich mich auch heute noch fließend unterhalten kann (am Ziel, in Italien mit meiner heutigen Profession zu arbeiten, bin ich dran) und ein verändertes Lebensgefühl, das mich begleitet - das braucht allerdings ab und zu Auffrischung vor Ort. Auch wenn's schiefgegangen wäre, hatte ich das sicher gewonnen.