Mit „Patchwork-Arbeit“ aus der Krise
- weibliche Arbeitsbiografien als Erfolgsmodell für neue Karrieren? -
Termin: Di 26.04.2005, 18:00
Ort: Hauptgebäude der Universität, Edmund-Siemers-Allee 1, Flügel West, Raum 221
Die „Krise der Arbeitsgesellschaft“ ist ein Schlagwort, das seit einiger Zeit mit zunehmender Arbeitslosigkeit und massiven Kürzungen verbunden ist. Inwiefern ist es aber ein geschlechtsspezifisches Arbeitsmodell, von dem hier letztlich die Rede ist? Denn Frauen hatten & haben aufgrund der sozialen und kulturellen geschlechtsspezifischen Normen meist nie die klassische kontinuierliche – also männliche – Erwerbsbiografie.
Wenn Arbeit für Frauen aber in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich denkbar & lebbar ist, sollten dann die Fähigkeiten & Möglichkeiten, die in den weiblichen „Patchwork-(Arbeits)Biographien“ stecken, nicht besser genutzt werden, um die gegenwärtigen Veränderungen nachhaltig zu gestalten?
Um diese Verbindung zwischen Lebens- & Arbeitsgeschichten von Frauen, dem Bedeutungswandel des Arbeitsbegriffs und den aktuellen Umbrüchen der Arbeitsgesellschaft geht es bei dieser Veranstaltung.
Vortrag & Diskussion
Referentin: Dr. Alexandra Lübcke, Kulturwissenschaftlerin
Moderation: Frauke Narjes, Women's Career Center
Zusammenfassung des Vortrags von Dr. Alexandra Lübcke
Was ist Arbeit? Wann und wie arbeite ich richtig?
Erwerbsarbeit gilt seit der Aufklärung als Dreh- und Angelpunkt der sozialen Existenz der Menschen. Diese Grundannahme ist heute höchst problematisch. Die „Krise der Arbeitsgesellschaft“ ist seit kurzem ein Schlagwort, das sämtliche öffentlichen Debatten durchzieht. Es benennt die fundamentalen Umbrüche der postmodernen Arbeits- und Lebenswelten als eine Erschütterung ohne absehbares Ende. Die Grundlagen für die so genannte Normalerwerbsbiografie – eine lineare, kohärente (Berufs-)Lebenserzählung – sind in Auflösung begriffen. Unter dem Leitbild der „Flexibilisierung“ produziert die Wirtschafts- und Organisationsweise des neoliberalen Systems immer kurzfristigere, unüberschaubare und verunsichernde Rahmenbedingungen, in denen die Einzelnen ihr Leben gestalten müssen.
Dieser Wandel erweist sich vor allem dann fundamental, wenn das Modell der lebenslangen, ununterbrochenen Normalerwerbsbiografie die Norm in den Analysen bildet. Diese „Normalität“ war jedoch immer eine geschlechtsspezifische Konstruktion Das bürgerliche Arbeits- und Geschlechtermodell sah diesen Lebensverlauf für Frauen nie vor. Lohnbringende Erwerbsarbeit ist darin als „männlich“ definiert, unsichtbare Reproduktionsarbeit als weiblich.
Dieses Ideal ist allerdings trügerisch, denn die berufliche Enthaltsamkeit, die das Ernährer-Hausfrauen-Modell für Frauen vorgab, war aus ökonomischen Gründen für die wenigsten Familien und schon gar nicht für allein stehende Frauen lebbar. Der Widerspruch, der sich mit der Reibung an den ökonomischen Verhältnissen auftat, wurde scheinbar gelöst mit dem Konzept der „Zuverdienerin“.
Die aufgeregten Analysen des gegenwärtigen Zerfalls traditioneller Orientierungen und Sicherheiten betreffen also einen Großteil der Frauen gar nicht. Zum Aspekt dieser Geradlinigkeit gehören auch die realen ungleichen Aufstiegs- und Karrierechancen von Frauen.
Damit drängen sich Fragen auf: Wie stellen sich die Veränderungen für Frauen dar? Fand und findet Identitätsstiftung bei Frauen so zentral wie für Männer über Erwerbsarbeit statt?
Ein Projekt zu lebensgeschichtlichen Interviews mit 24 Hamburger Frauen aus drei Generationen bietet Antworten auf diese Fragen an. Es zeigte sich, dass durch die Generationen hindurch gesellschaftliche Umbrüche existierten. Das klassische Familienmodell mit der entsprechenden Rollenverteilung wurde eigentlich nie das ganze Leben lang gelebt. Die Möglichkeiten und Modelle zusammenzuleben waren schon immer vielfältig, wurden aber erst in den letzten Jahren gesellschaftlich akzeptiert. Erwerbsarbeit und Familienarbeit wurden in den verschiedenen gesellschaftlichen Zeiten immer wieder anders bewertet. So nimmt die jüngere Generation so genannte Auszeiten auch ohne Familienphase in Anspruch.
Frauen weisen demnach nur selten eine ununterbrochene, geradlinige Erwerbsbiografie auf. Ihre Erwerbsbiografie ist in vielen Fällen verbunden mit Phasen, in denen Erwerbsarbeit zurücktritt hinter andere Dinge wie Beziehungen, Kinder, Reisen. Für Familienphasen oder Partnerschaft wurde Erwerbsarbeit zurückgestellt bis zum Wiedereinstieg in das Berufsleben. Nach Phasen der Arbeitslosigkeit markierte die neue Erwerbstätigkeit einen allgemeinen „Neubeginn“. In diesem Zusammenhang stehen auch Qualifikationen oder auch Ortswechsel verbunden mit Arbeits- und Berufswechseln.
Auch politische Tätigkeiten und Ehrenämter nahmen oftmals mehr Raum und Zeit in den Erzählungen ein als die Erwerbstätigkeit und waren den Interviewpartnerinnen wichtiger. Dies kann mit der Familientradition verknüpft sein oder erhält in der Biografie der Interviewten zu unterschiedlichen Zeiten mal einen höheren und mal einen niedrigeren Stellenwert als Erwerbstätigkeit.
Einen neuen Abschnitt leitet auch die Pensionierung ein, die für viele Interviewte eine neue Phase mit neuen Aktivitäten markierte.
Viele Frauen bevorzugten z. B. eine Zeit lang die Familienphase ausdrücklich, redeten aber dann von einer Unzufriedenheit damit; in den Generationen existierten jedoch andere persönliche und gesellschaftliche Möglichkeiten (z. B. Ehemänner, die die Erwerbstätigkeit der Frauen unterstützen oder ablehnten, Qualifikationen, soziale Akzeptanz wie unterstützter Wiedereinstieg in den 1980ern, Arbeitsmarkterfordernisse, Kinderbetreuung).
Sowohl die Nichterwerbstätigkeit als auch die Erwerbsarbeitsphasen haben das Leben der Interviewten zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Phasen strukturiert.
Doch muss dies nicht zwangsläufig angsteinflößend sein, da diese Alternativen eine Ressource an Erfahrungen und Modellen bieten können. Die Patchwork-Biografien verweisen auf die individuelle Gestaltbarkeit, aber auch auf die Abhängigkeit von sozialen und politischen Mindeststandards.
Bleibt zu fragen:
Haben Frauen das Gleiche zu verlieren wie Männer? Was kann aus der Analyse der Geschlechterordnung der Arbeitsgesellschaft an Neugestaltungspotenzial gewonnen werden?
1. Frauen haben zu gewinnen, wenn die Norm der lebenslangen, ununterbrochenen Erwerbsbiografie aufbricht und die Möglichkeiten für Lebensentwürfe sich vervielfältigen.
2. Wenn auch nicht zur neuen Norm, so werden Patchwork-Biografien doch zur neuen Normalität, insofern verlieren weibliche Biografien auch das Stigma des Mangels.
3. Gewonnen haben Frauen auch dadurch, dass sich das traditionelle Familienernährer-Modell verabschiedet hat und es Identifikationsmöglichkeiten jenseits von Hausfrau und Zuverdienerin gibt.
4. Zu verlieren haben sie allerdings, wenn die sozialen Standards weiter zurückgeschraubt werden und sie durch ihre spezifische Ausgangssituation durch die Raster des scheinbar geschlechtsneutralen Konkurrenz- und Leistungsprinzips fallen.
Aber vor allem haben Frauen und Männer zu gewinnen, wenn Erwerbsarbeit aus dem Zentrum des Lebenssinns und der Existenzmöglichkeiten rückt.
Hierzu wäre ein gewandelter Arbeitsbegriff eine der wichtigsten Voraussetzungen.
Dr. Alexandra Lübcke, Kulturwissenschaftlerin, Universität Hamburg
Interviewprojekt
„Frauen als Konstrukteurinnen ihrer (Arbeits-)Biografie“ (1998/1999)
Dr. Alexandra Lübcke, Dr. Claudia Lenz
In Kooperation mit der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte und dem Museum der Arbeit (Dr. Elisabeth von Dücker)