Gender Trouble in Organisationen
Stereotype Kommunikationen, paradoxe Folgen
Termin: Dienstag 29. Juni 2004, 18:00
Ort: Universität Hamburg, Edmund-Siemers-Allee 1, Hauptgebäude Westflügel (neuer Anbau), Saal 221
In Führungspositionen von Wirtschaft und Wissenschaft sind Frauen weltweit immer noch eine verschwindende Größe, obwohl Qualifikation und Professionalisierung kaum noch geschlechtstypische Grenzen markieren. Im Gegenteil: Frauen sind längst zu high potentials avanciert. Genau dieser Umstand bewirkt, dass berufliche Erwartungen im Hinblick auf Chancengleichheit nachhaltig enttäuscht werden: Gender Trouble in Organisationen! Dieses geschlechtstypische Konfliktfeld wird eher als Beleg dafür gesehen, dass Gleichstellung im Schneckentempo vorangeht und immer wieder Rückschläge erleidet. In diesem Vortrag wird eine entgegengesetzte Perspektive eingenommen: Gender Trouble kann auch als Gradmesser für die Modernisierung von Organisationen gesehen werden. Als sozialer Konflikt markiert er ein historisch neues Phänomen, das Phänomen der Konkurrenz zwischen Frauen und Männern um gleiche Positionen.
Referentin: Dr. Ursula Pasero, Leiterin der Gender Research Group an der Universität Kiel
Zusammenfassung des Vortrags von Dr. Ursula Pasero
Die nachfolgenden Thesen, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Fishing for Careers" vorgestellt und diskutiert werden sollen, fußen auf einem Forschungsprojekt, das 2001-2003 durchgeführt wurde:
„Neue Führungsstile und das Glass Ceiling Phänomen: Ein Vergleich zwischen Organisationssystemen in Wirtschaft und Wissenschaft"
Forschungskooperation zwischen der Gender Research Group, Universität Kiel und dem Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre und Philosophie, Universität Witten/Herdecke.
Leitung des Projektes: Dr. Ursula Pasero, Universität Kiel und Prof. Dr. Birger Priddat, Universität Witten/Herdecke.
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Geschlechterkontlikte in Organisationen:
In Führungspositionen von Wirtschaft und Wissenschaft sind Frauen weltweit immer noch eine verschwindende Größe sind, obwohl Qualifikation und Professionalisierung kaum noch geschlechtstypische Grenzen markieren.
Vielmehr zeichnet sich die Umkehrung eines säkularen Trends ab: Frauen sind in den höheren Abteilungen der Bildungssysteme bereits in der Mehrzahl. Als Studienanfängerinnen haben sie ebenfalls die 50%-Marge überschritten. Mit ihren Hochschulabschlüssen sind sie längst zu „high potentials“ avanciert.
Die Diskrepanz zwischen akkumulierten Humankapital im Verhältnis zu den wenigen Führungspositionen bewirkt, dass die Erwartungen nachhaltig enttäuscht werden. Zugleich wird der ökonomische Kalkül des return on investment unterbrochen.
Dieses in Organisationen ausmachbare geschlechtstypische Konfliktfeld bezeichnen wir kurz und bündig als Gender Trouble.
In der Geschlechterforschung wird dieser Gender Trouble als weiterer Beleg dafür gesehen, dass Gleichstellung im Schneckentempo vorangeht und immer wieder Rückschläge erleidet.
Hier wird eine entgegengesetzte Perspektive eingenommen: Gender Trouble ist für uns ein Gradmesser für die Modernisierung von Gesellschaft. Als sozialer Konflikt markiert er ein historisch neues Phänomen, das Phänomen der Konkurrenz zwischen Frauen und Männern um gleiche Positionen.
Geschlechter-Arrangements in Organisationen:
Segregation
asymmetrische Kooperation
symmetrische Kooperation
Organisationen greifen nur in spezifischen Feldern ihrer Hierarchie auf gleichrangig ausgebildetes weibliches wie männliches Personal zu, nämlich da, wo Positionen mit hoher Qualifikation und Professionalität assoziiert sind (z.B. Management-Positionen).
Segregation:
Der gewöhnliche Arbeitsmarkt, vor allem aber die Basis-Bereiche von Organisationen, sind geschlechtstypisch segregiert, d.h. das Personal ist nach frauen- respektive männertypischen Tätigkeiten geordnet.
Diese "klassische" Arbeitsteilung ist das evolutionär älteste Modell. Geschlechterkonflikte sind hier durch Trennung der Reviere weitgehend ausgeschlossen.
Asymmetrische Kooperation:
Dieses Modell hält die wohlbekannte, geschlechtstypische Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern in der Familie - das Emährer/HausfrauenModell analog auch in Wirtschaftsorganisationen vor: das Chef/Sekretärin- oder Arzt/Assistentin-Modell. Entscheidend ist auch in diesem Arrangement, dass das Konkurrieren um Positionen weitgehend ausgeschlossen ist.
Symmetrische Kooperation:
In der Wirtschaft und auch in der Wissenschaft haben sich die Anforderungen an Führungsstile erweitert. Hier beginnt etwas Unvertrautes: das Erfordernis, Frauen und Männer auf gleicher Ebene miteinander kooperieren zu lassen. Die gleichrangige Zusammenarbeit zwischen den Geschlechtern ist bislang das am wenigsten eingeübte Geschlechtermodell.
Geschlechterkonflikte:
Konkurrenz um gleichrangige Positionen und Sichtbarkeit von Frauen auf gleicher Ebene aktiviert Stereotypen, um Unterschiede zu markieren.
Die mit vergleichbarem Humankapital ausgestatteten Frauen gelten noch nicht als wirkliche Substitute. Die ungewöhnlich scharfe Aktivierung von Stereotypen hängt gerade damit zusammen, dass von der Seite der formalen Anforderungen her die Möglichkeit der Substitution signalisiert wird.
Stereotype Kommunikationen:
An dieser Stelle werden Unterscheidungsmarker zwischen Frauen und Männern kommuniziert und plausibel gemacht. Die bekanntesten Stereotypen werden im Folgenden vorgestellt:
das "Token-Phänomen "
das "Head of the Table-Phänomen"
das "Think manager, think male-Phänomen"
Weitere Unterscheidungs-Marker:
Kleidung, Habitus, Stimme.
Kern aller Unterscheidungen: die Unterstellung einer von Männern abweichenden zeitlichen Verfügbarkeit.
Gender Hybrids:
Rekombination von Geschlechter-Stereotypen
Organisationen und ihre Netzwerke sind relevante gesellschaftliche Arenen, in denen Individuen miteinander kooperieren müssen. Die gleichrangige Kooperation zwischen Frauen und Männern - jenseits geschlechtstypischer Zuarbeit und Subordination - ist unvertraut.
Eine solche symmetrische Kooperation könnte paradoxe Folgen haben, weil auch hier mit der Aktivierung von Geschlechterstereotypen gerechnet werden muss:
Die Anforderungen von soft skills wie Kommunikations- und Moderationsfähigkeiten werden vorrangig an weibliche Führungskräfte adressiert. Es geht hier um die Beobachtung von Zuschreibungseffekten, ... und das ist in gewisser Weise ein ambivalenter Mechanismus, der sich in zwei Richtungen entfalten kann:
in die eine Richtung der Wiederholung des Mechanismus komplementärer Arrangements der Geschlechter (s. G. Höhler: Wölfin unter Wölfen).
Es kann aber auch ein anderer Effekt einsetzen:
Indem Frauen die Kompetenzzuschreibungen für soft skills als "Eintrittskarte" für Führungsfunktionen nutzen, um in der Praxis dann auch hard skills einzuüben, könnte der paradoxe Effekt entstehen, dass schließlich auf diese komplementär gebauten Zuschreibungen verzichtet werden kann und sich Frauen ebenso wie Männer aller Kompetenzen bedienen, was den Zirkel komplementärer Geschlechterarrangements sogar auf der Führungsebene durchbrechen würde.
Diese Möglichkeit führt zur These der Entstehung von
Gender-Hybrids
In der Kooperation wird also nicht nur der gender mix eingeübt, sondern zugleich ein Stereotypen-Mix aktiviert, der männliche und weibliche Stereotype zu hybriden Gesamtprofilen verbindet, die dann nicht mehr eindeutig auf Frauen oder auf Männer zugerechnet werden können.
Das unerwartete Resultat wäre die Überführung der klassischen Komplementarität - Frauen vertreten die soft skills und Männer die hard skills - in ein tatsächliches Substitutionsverhältnis, wo sich Individuen als Individuen profilieren und unterscheiden müssen und der Unterschied der Geschlechter dann auch keinen Unterschied mehr macht, weil er zu einem unter vielen anderen individuellen Merkmalen geworden ist.
Fazit
Die Gender-Messlatte reicht gegenwärtig von der Stufe der Geschlechtersegregation über asymmetrische Arrangements bis hin zur Konkurrenz von Frauen und Männern um gleiche Positionen. Noch wird an dieser Stelle allerdings der Gender Trouble ausgelöst, da Frauen als ernsthafte Konkurrentinnen letztlich nicht in Frage kommen.
Gender-Kooperation ist das kommende Modell, das männliche und weibliche Stereotype zu hybriden Gesamtprofilen verbindet. Diejenigen Organisationen, welche diese Gender-Kooperation erreichen, können sich möglicherweise besser am Markt behaupten als andere, weil sie die individuellen Leistungspotenziale ihres Personals nutzen.
Der Gender-Kooperationslevel ist ein Maß für die Flexibilität und Modernität von Organisationen. Er ist nicht der einzige mögliche Maßstab, aber ein hinreichend guter - und vor allem: ein neuer Maßstab.